
"Wiener Zeitung":Herr Nitsch, wie ist es zu der Zusammenarbeit mit Herrn Reiss gekommen?
Hermann Nitsch: Seit ich mich erinnern kann, hat meine Familie bei seiner Fleischhauerei eingekauft. Das waren immer sehr nette Leute. Ich habe den Schwiegervater von Herrn Reiss noch gekannt. Ein großartiger Fleischhauer! Den habe ich einmal gebeten, mir für eine Aktion etwas zu verkaufen. Seither arbeiten wir zusammen.
Edi Reiss: Es hat sich halt so ergeben. Hermann Nitsch brauchte Verpflegung für die Gäste des Orgien Mysterien Theaters. Das Fleisch dafür haben sie bei uns eingekauft. Und so kleinweise haben wir dann immer mehr dafür gemacht.

Sind Sie beide befreundet?
Nitsch: Zumindest auf keinen Fall verfeindet.
Reiss: Wir sind immer gut miteinander ausgekommen. Ich habe nie schlechte Erfahrungen mit ihm gemacht. Im Gegenteil: Wenn man von Herrn Nitsch etwas braucht, dann ist er da. Meine Tochter hat eine Maturaarbeit über ihn und sein Werk geschrieben. Dabei hat er ihr sehr geholfen. Wir sind gemeinsam zu ihm hingefahren und er hat ihr zwei Stunden lang erzählt, was sie wissen wollte. Und mit einem Leberkässemmerl kann ich den Herrn Nitsch jederzeit locken (lacht).
Wie ist die Kooperation mit Herrn Nitsch für Sie?
Reiss: Das ist eine ganz normale Arbeit für mich. Hermann Nitsch zahlt mich - und ich mach das. Wir machen Geschäfte. Gute Geschäfte, und das soll auch so bleiben. Wenn der Herr Nitsch sagt, er braucht einen Stier, dann bekommt er einen. Er kann auch zwei haben, wenn er will.
Nitsch: Oder wenn ich Blut brauche, dann bekomme ich auch das bei ihm.
Reiss: Und wenn er ein Leberkässemmerl braucht, dann bekommt er ein Leberkässemmerl!
Herr Nitsch ist also ein ganz normaler Kunde für Sie?
Reiss: Bei mir gibts nix Abnormales. Ein Stier ist immer ein Stier, egal, für wen.
Nitsch: Es ist wichtig zu erwähnen, dass wir nur jenes Fleisch für unsere Aktionen verwenden, das sowieso für den Verzehr durch den Menschen bestimmt ist.
Reiss: Ja genau. Und es wird immer bakteriologisch und serologisch kontrolliert. Und nach der Aktion muss es verarbeitet und gegessen werden.
Nitsch: Einmal haben meine Frau und ich über ein Jahr lang an einem Aktionsstier gegessen. Der liegt nach dem "Spiel" in kleinen Portionen in meiner Gefriertruhe und wird nach und nach verkocht.
Reiss: Es wird nix verschwendet oder weggeschmissen.
Sie liefern aber nur tote Tiere an Herrn Nitsch?
Reiss: Früher wurden auch lebende Stiere nach Prinzendorf gebracht und dort erschossen. Das darf wegen der Tierschützer aber nicht mehr sein. Da war ja ein Aufstand, das glaubt man gar nicht!
Warum haben Tierschützer so viel gegen eine Schlachtung bei Ihnen, wenn das Supermarktfleisch um 3 Euro pro Kilo viel mehr Tierquälerei beinhaltet?
Nitsch: In meiner Rolle als Dramatiker will ich quasi wie ein Voyeur den Tod und die Schlachtung zeigen. Aber die Tierschützer glauben eben, dass wir für unsere Aktionen mutwillig töten. Das ist natürlich ein Blödsinn. Diese Tiere werden sowieso geschlachtet, um gegessen zu werden. Menschen sind Allesfresser und Raubtiere. Sehen Sie sich doch Ihre Eckzähne an.
Reiss: Außerdem bringe ICH diese Tiere um und ich verstehe mein Handwerk. Ich mache das zigtausend Mal im Jahr.
Herr Nitsch, wieso ist der Stier für Sie ein so ein wichtiges Tier?
Nitsch: Jedermann will meine Arbeit natürlich symbolisch erklärt haben. Manches passiert einfach. Früher habe ich, ohne darüber nachzudenken, immer Ochsen verwendet. Es gibt aber nicht so viele Ochsen. Also ist es eines Tages ein Stier geworden. Das hat nichts mit dem Mithraskult oder anderen Archetypen zu tun.
Muss es zumindest ein besonderer Stier sein? Gibt es spezielle Anforderungen an Herrn Reiss?
Nitsch: Von meiner Seite nicht.
Haben Sie 2005 im Burgtheater wegen der Tierschützer nicht schlachten dürfen?
Reiss: Das wäre auch technisch nicht möglich gewesen. Ich kann ja nicht garantieren, dass mir der Stier nicht davonläuft. Das Vieh hat lebend 600 bis 700 Kilogramm. Den kann man allein nicht bändigen. Dazu brauch ich spezielle Räumlichkeiten - und die habe ich nur in meiner Fleischhauerei. Wenn sich jemand findet, der behauptet, er kann einen lebenden Stier halten, dann schlachte ich ihn auch im Burgtheater. Aber ich glaube nicht, dass das geht.
Nitsch: Es gibt auch Theatergesetze. In der Oper darf es zum Beispiel keine Blumen geben. Alles was Sie sehen, sind Kunstblumen. Diese Regeln auf Theaterbühnen betreffen natürlich auch den Umgang mit lebenden Tieren.
Reiss: Den Stier habe ich bei mir daheim geschlachtet. Dann haben wir ihn auf einen Lastwagen geladen, nach Wien gebracht - und gemma! Dort gab es einen Lastenaufzug zur Bühne. Dort drinnen hat es nachher ausgeschaut, das kann man sich gar nicht vorstellen: Blut, Fleisch, Weintrauben, Paradeiser, alles im Lift verteilt.
Nitsch: Das war die Krönung unserer Zusammenarbeit.
Herr Reiss, haben Sie die Vorführung in der Burg gesehen?
Reiss: Was heißt gesehen. Ich war ein Akteur. Ich habe auf der Bühne dem Stier die Haut abgezogen und ihn ausgeweidet. Die Leute vom Nitsch sind mit Weihrauch über die Bühne gerannt, weil meine Arbeit doch ein bisserl gerochen hat. Das war lustig.