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Birgit Minichmayr: "Ich bin nicht besessen vom Beruf"

Von Petra Paterno

Reflexionen

Burg-Schauspielerin Birgit Minichmayr über die Betriebsgeheimnisse des Theaters, Authentizität auf der Bühne, Händchenhalten am roten Teppich und das Gemüseschneiden - in der Kindheit am Bauernhof und heute im Film.


Wiener Zeitung: Bereits als junge Schauspielerin eroberten Sie das Publikum des Burgtheaters im Sturm. Haben Sie je mit dem Gedanken gespielt, als dessen erste Direktorin in die Theatergeschichte einzugehen?Birgit Minichmayr: Nein, um Gotteswillen. Das wäre ein überaus anstrengender Job und reizt mich überhaupt nicht.

Sie wirkten in zahllosen Theater-, Film- und TV-Produktionen als Darstellerin mit. Würde es Sie reizen, selbst zu inszenieren?

Die Lust, die eigene Handschrift über eine künstlerische Produktion zu legen, kann ich gut nachvollziehen. Es liegt mir aber nicht, ins Blaue hinein über solche Ambitionen zu sprechen. Wenn ich ein konkretes Angebot hätte, würde ich darüber nachdenken.

Sie haben mit vielen namhaften Regisseuren gearbeitet, etwa Frank Castorf, Martin Kušej und Michael Haneke. Wodurch zeichnet sich eine gute Beziehung zwischen Akteuren und Regisseuren aus?

Wichtig ist mir die Zusammenarbeit auf Augenhöhe, bei der man sich gegenseitig ernst nimmt und die wechselseitigen Verantwortungen anerkennt. Hierarchisches Gefälle und Unhöflichkeiten kann ich nicht ausstehen. In der Theater- und Filmarbeit geht es oft um Emotionen. Das sollte aber niemand als Freibrief interpretieren, sich schlecht benehmen zu dürfen, um seine Wichtigkeit zu demonstrieren.

Anfang September feierte "Glanz und Elend der Kurtisane" in der Volksbühne Berlin unter der Regie von René Pollesch Premiere. In dieser Woche wurde die Polesch-Inszenierung "Cavalcade" am Akademietheater uraufgeführt, in der Sie ebenfalls zu sehen sind. Laborieren Sie bereits an einer Überdosis Pollesch?

Im Gegenteil. Ich kann derzeit nicht genug von René bekommen.

Pollesch ist dafür bekannt, dass er in vielen seiner Stücke theoretische Diskurse mitverhandelt. Auf welche Weise gelangte in Wien die Theorie auf die Bühne?

Proben verlaufen bei diesem Regisseur gänzlich anders, als man das am Theater gewohnt ist. Das beginnt damit, dass es keinen fertigen Text gibt. Bei Pollesch hat man es zuallererst mit einem Autor zu tun. Wir führen lange Gespräche, setzen uns intensiv mit Inhalten auseinander: Das ist die eigentliche Hauptarbeit. Die Bühne erarbeiten wir uns später, der Text wird bis zuletzt umgestellt.

Entspanntes Proben muss man sich wohl anders vorstellen.

Mich stört das überhaupt nicht. Ich werde nicht nervös, wenn zwei Tage vor der Premiere eine Masse an neuen Texten auf mich zukommt. Es gibt bei Pollesch keinen Erfüllungsauftrag, keine festgeschriebenen Rollen - und damit auch keine Zielgerade, die man bis zur Premiere unter allen Umständen zu überqueren hat. Das kann unglaublich befreiend wirken, das heißt aber nicht, dass es kein Interesse an einem wirkungsvollen Abend gäbe.

Pollesch sieht die Theorie auch als Instrument, um das eigene Leben genauer unter die Lupe zu nehmen. Kann das funktionieren?

Etwas gedanklich zu verstehen, bedeutet ja nicht automatisch, das auch umsetzen zu können oder zu müssen. Ich kann diesem Blick auf das Leben, den man sich in der Auseinandersetzung mit kritischen Denkern aneignet, viel abgewinnen.

Das Verhältnis von Bühnenrolle und "echtem" Leben ist ein weiteres zentrales Pollesch-Thema. Handelt auch "Calvacade" davon?

Ja. Auf der Bühne kann es nie um ein authentisches Leben gehen. Ein Beispiel eines Textes, den ich in Berlin sage: Wenn sich eine Schauspielerin beim Schlussapplaus noch heulend verbeugt, weil sie annimmt, sie wäre noch in der Rolle, dann kann ich nur sagen, sie war auch in der Rolle nur sie selbst. Und das ist ein grundlegendes Missverständnis. Es wird immer gefragt: Was hat die Rolle mit einem gemacht und nicht, was hat man mit der Rolle gemacht. Und das passiert mir auch öfters, dass immer angenommen wird, ich spiele mich teilweise selbst. Es ist und bleibt immer eine Rolle.

Wie halten Sie es bei Ihren Auftritten?

Natürlich habe ich Spaß daran, mich einzubringen. Habe ich auf der Bühne einen Salto zu schlagen, will ich diesen fantastisch machen. Gegenüber dem sogenannten Method Acting, bei dem alles über die vermeintlich wahrhaftige Empfindung gespielt wird, hege ich zunehmend Zweifel.

Warum?

Je älter ich werde und je länger ich diesen Beruf ausübe, desto mehr plädiere ich für Betriebsgeheimnisse. Ich will gar nicht so genau wissen, was ein Schauspieler in seiner Rolle empfunden, wie eine Schauspielerin in die Figur gefunden hat. Warum schreibt ein Autor den ersten Satz? Wie führt ein Maler den Pinsel? Künstlerische Prozesse kann man ohnehin nie restlos erklären. Schauspieler üben einen schillernden Beruf aus, der keineswegs künstlich aufpoliert werden muss, indem man ununterbrochen davon redet, wie sehr man wegen einer Figur gelitten, mit einer Rolle gehadert hat. Es ist für mich unverständlich, auf solche Art über diesen Beruf zu sprechen. Schließlich sind Schauspieler keine Schwerstarbeiter.

Vielleicht lässt sich Ihnen doch ein Geheimnis entlocken. In Michael Hanekes historischer Gewaltstudie "Das weiße Band" schneiden Sie Gemüse wie eine Bäuerin. Wo haben Sie das gelernt?Das habe ich meiner Oma abgeschaut. Ich wuchs auf einem Bauernhof in Pasching auf. Meine Großeltern waren Bauern, mein Vater übernahm den Hof und führte ihn bis zum EU-Beitritt als Nebenerwerbsbetrieb. Seitdem hat er ihn verpachtet.

Nicholas Ofczarek als Grenzjäger und Birgit Minichmayr als Weib in Karl Schönherrs Drama "Der Weibsteufel", das in Martin Kuejs Inszenierung am Burgtheater zu sehen war.
© Foto: ©Georg Soulek

Halfen Sie im Betrieb mit?

Selbstverständlich. Ich war beim Erdäpfelsetzen und beim Rübenernten dabei, fuhr auf dem Traktor mit, war ständig unterwegs. Als Fünfjährige ging ich allein in den Kindergarten, was heute wahrscheinlich schon undenkbar ist.

Kinder sind zuweilen brutal. Wurden Sie Ihrer roten Haare wegen gegängelt?

Ich war die Rotkupferte. Natürlich wurde ich gehänselt. Gut möglich, dass ich mit Pippi-Langstrumpf-Sprüchen konterte. Ich kann aber nicht sagen, dass mich das traumatisiert hätte.

Haben Sie viel gelesen?

Erst mit 14, 15. Mit einem ehemaligen Kindergartenfreund las ich Rimbaud und Rilke. Wir gerierten uns wie Dandys und träumten von einem Leben als Bohémiens.

Bereits als Schülerin nahmen Sie Tanz-, Klavier- und Gesangsstunden. Waren das die ersten Schritte zum Beruf der Schauspielerin?

Damals war ich vom Tanzen fasziniert. In einer Linzer Tanzschule lernte ich Ballett, Modern Dance und Steppen. Im Sommer trainierte ich wiederholt bei den Wiener Tanzwochen, einmal absolvierte ich einen dreiwöchigen Tanzkurs in New York. Dennoch war ich nicht gut genug - und gab es deshalb schließlich auf . . .

. . .worauf Sie ans Max-Reinhardt-Seminar wechselten. Haben Sie das Seminar abgeschlossen?

Nein, weil ich nach dem dritten Studienjahr bereits an der Burg engagiert war.

Nach Erfolgen als Nachwuchsdarstellerin an der Burg gingen Sie 2004 an die Berliner Volksbühne. Wie erinnern Sie sich daran?

Ich wurde mit neuen Regisseuren und einer anderen künstlerischen Ausrichtung konfrontiert, es war ein hochpolitisches Theater. Die Volksbühne war ein Ort, an dem es die üblichen Zurichtungen und Konzessionen an den Betrieb nicht gab - man musste keine Abonnenten bedienen, das Spielzeitprogramm stand nicht schon Monate im Vorhinein fest, man konnte tatsächlich autonomen Akteuren begegnen. Ein für mich prägender Abschnitt.

Sie pendeln regelmäßig zwischen Wien, Berlin und München. Haben Sie vom vielen Fliegen nicht langsam genug?

Derzeit ist Birgit Minichmayr im Wiener Akademietheater in René Polleschs "Cavalcade or being a holy motor" zu sehen. Hier spielt sie in einer Szene mit Martin Wuttke.
© Foto: © Reinhard Werner

Das Fliegen macht mir gar nichts aus. Mich nervt höchstens, wenn ich bereits um sieben Uhr in der Früh im Flugzeug sitzen muss, um rechtzeitig auf Proben zu gelangen. Ich bin alles andere als eine Frühaufsteherin und brauche meine acht Stunden Schlaf, weil ich sonst unausstehlich bin.

Wie wichtig ist Ihnen die Trennung zwischen Kunst und Leben?

Ich ziehe keine Trennlinie zwischen Privatleben und Beruf. Das Nachdenken hört ja nach dem Ende der Proben nicht automatisch auf. Dennoch bin ich nicht besessen vom Beruf. Ich fände es schrecklich, nichts anderes als meine Arbeit zu haben.

Wie gehen Sie damit um, dassder Boulevard an Ihrem Privat- und Liebesleben gesteigertes Interesse zeigt?

Ich hatte noch nie das Bedürfnis, mein Liebesleben nach außen zu tragen, und ich werde das auch in Zukunft nicht tun. Ich zerre meinen Freund nicht mit auf den roten Teppich. Ich muss bei öffentlichen Auftritten auch nicht demonstrativ Händchen halten.

Sie haben einmal gesagt, man müsse als Schauspieler aufpassen, dass man nicht zum Material verkomme. Wie meinten Sie das?

Als junge Schauspielerin wurde ich in der Kantine Zeugin folgender Szene: Ein älterer Kollege beklagte sich damals über eine Produktion und jammerte: "Es hilft mir keiner." Ich dachte bloß: "Oh mein Gott, lass mich nie so einen Satz sagen!" Mir ist es wichtig, mich auf die Rolle vorzubereiten, mir eigene Gedanken zu machen. Ich plädiere für das selbstverantwortliche Schauspiel.

Als Akteurin arbeiten Sie zwangsläufig im Team. Sehnen Sie sich bisweilen nach Einsamkeit?

Es kommt vor, dass ich mir einen Beruf herbeiwünsche, bei dem ich mich nicht dauernd auf neue Leute einstellen und einlassen muss. Es gibt ab und zu Kollegen, mit denen das Zusammenspiel nicht so gut funktioniert, das hat aber nichts mit deren schauspielerischen Qualitäten zu tun, sondern man verpasst sich in den Impulsen, man nimmt einander falsch wahr, das kommt vor.

Beim Spiel auf der Bühne hindert einen das aber nur peripher. Zugleich weiß man, dass man mit einem anderen Partner in ganz andere Dimensionen vordringen könnte.

In vielen Interviews wechseln Sie zwischen Hochdeutsch, Dialekt und prononciert norddeutscher Aussprache. In welcher Sprachmelodie fühlen Sie sich zu Hause?

Erzähle ich von daheim, vom Leben in Pasching, falle ich automatisch in den Dialekt. Für die deutsch-deutsche Aussprache wurde ich viel kritisiert. Würde ich mich allerdings nur auf den Wiener Dialekt beschränken, hätte ich etliche Rollen nicht bekommen. In der Wolf-Haas-Adaption "Der Knochenmann" bin ich wieder nur im oberösterreichischen Dialekt zu hören. Sprache ist meine Musik, ich mische und variiere ständig.

Mit Campino, dem Sänger der deutschen Punkband "Die Toten Hosen", nahmen Sie kürzlich das Duett "Auflösen" auf. Streben Sie eine Karriere als Sängerin an?

Ich forciere das nicht. Ergibt sich ein interessantes Projekt, sage ich bestimmt nicht nein. Vielleicht werde ich mit 50 Chansonsängerin oder entdecke den Schlager neu.

Sie haben also keine Angst vor dem Alter?Überhaupt nicht. Ich bin 36. Sicher spüre ich, dass sich der Körper verändert. Ich sollte mehr Sport treiben, der Haaransatz verlangt nach künstlicher Farbe. Das muss man mit Humor nehmen und kein Drama daraus machen.

Petra Paterno arbeitet als Feuilleton-Redakteurin und Theaterkritikerin bei der "Wiener Zeitung". 2013 erschien in der "Edition Atelier", Wien, ihr theaterwissenschaftliches Buch "Lichterloh. Das Wiener Schauspielhaus unter Hans Gratzer von 1978-2001".

Zur Person
Birgit Minichmayr, geboren 1977 in Linz und aufgewachsen auf einem Bauernhof in Pasching, gehört zu den wichtigsten Schauspielerinnen ihrer Generation. Während ihrer Ausbildung am Max Reinhardt Seminar, wo Klaus Maria Brandauer zu ihren prägendsten Lehrern und Mentoren zählte, wurde sie ans Burgtheater engagiert. Sie debütierte 1999 als Dirne in Schnitzlers "Der Reigen". Die zierliche Nachwuchsschauspielerin mit der rauen Stimme spielte bald Titelrollen wie Medea in Stefan Kimmigs Marathon-Inszenierung von Grillparzers "Das goldene Vlies" (2004) und war eine der prägenden Akteurinnen der Ära Klaus Bachler. Trotz der außerordentlichen Erfolge suchte sie einen Gegenpol zum Burgtheater und nahm in dieser Zeit ein Engagement an Frank Castorfs Berliner Volksbühne an. 2007 wurde Minichmayrs Rückkehr an die Burg mit großer medialer Aufmerksamkeit bedacht. Luc Bondy besetzte sie als Narr in "König Lear" an der Seite von Gert Voss. In Martin Kušejs Inszenierung "Der Weibsteufel" feierte sie als femme fragile in der Dreiecksgeschichte einen ihrer größten Bühnenerfolge. Von 2010 bis 2013 spielte Minichmayr die Buhlschaft und Nicholas Ofczarek die Titelrolle im Salzburger "Jedermann".
Die hochenergetische Schauspielerin ist dafür bekannt, ihren Figuren eine starke emotionale Glaubwürdigkeit zu verleihen. Diese besondere Begabung bringt die vielfach ausgezeichnete Akteurin gleichermaßen auf der Bühne wie im Film ein. In über 20 Spielfilmen wirkte sie mit und wurde vor allem für ihre Darstellung in Maren Ades Generationenfilm "Alle Anderen" (2009) hochgelobt und mit dem Darstellerpreis der Berlinale bedacht. Als Sängerin nahm Birgit Minichmayr das Duett "Auflösen" mit "Toten Hosen"-Frontmann Campino auf, mit dem ihr auch eine Affäre nachgesagt wurde.
Birgit Minichmayr lebt und arbeitet vor allem in Wien, Berlin und München, wo sie an Martin Kušejs Residenztheater engagiert ist. Die Uraufführung von René Polleschs "Cavalcade or Being a holy motor" im Akademietheater ist für Minichmayr die erste Wiener Neuinszenierung seit drei Jahren.