Elisabeth Heller in jungen Jahren. - © Privates Familienarchiv Fritz Heller
Elisabeth Heller in jungen Jahren. - © Privates Familienarchiv Fritz Heller

Elisabeth Heller, 1,79 groß, 100 Jahre alt, ist eine Erscheinung, elegant vom schlohweißen Scheitel bis zu den akkurat geputzten Ferragamo-Schuhen. "Sie ist eine Institution, alle empfinden sie als Ereignis und in Hietzing ist sie ein Wahrzeichen", sagte ihr Künstlersohn André Heller in einem der Interviews, die ich für den ORF-Dokumentarfilm "Die Jahrhundertfrau" mit ihr führte.

André Hellers Mutter stand zum Zeitpunkt der Dreharbeiten in ihrem 98. Lebensjahr. Sie bezauberte das Filmteam mit ihrer Eleganz und ihrer Energie, ihrem Humor und ihrer Freude am Leben, mit ihrer unvergleichlichen Fitness und unermüdlichen Disziplin: Dreimal, auch viermal stieg sie für die Kamera die Treppen bei der Gloriette oder im Burgtheater hinauf und hinunter, freihändig und behände. Auf ebenen Wegen schritt sie so flott aus mit ihren langen Beinen, dass die Verfolgerkamera kaum mithalten konnte. "Ich kann nur schnell gehen, sonst wird mir schwindlig," sagte sie.

"Sie ist willens, nicht zu stranden im Alter und das betreibt sie als ihr Hauptprojekt mit diesem eisernen Willen, jeden Tag für sich auf die Barrikaden zu gehen", meinte An-dré Heller, bewundernd und zugleich besorgt, dass seine Mutter sich übernehmen könnte mit all ihren täglichen Kraftakten, dem selbstständigen Alltagsleben, den vielen Kino-, Konzert- und Theaterbesuchen, den Dreharbeiten, den Reisen, die sie mehrmals im Jahr unternahm.

Ihre vorläufig letzte Reise an ihr Lieblingsziel, André Hellers Villa im Giardino Botanico Heller in Gardone am Gardasee, endete vor wenigen Wochen abrupt und dramatisch durch eine Oberschenkelfraktur. Ihren 100. Geburtstag am 9. August muss Elisabeth Heller im Krankenhaus feiern - obwohl sie wundersamerweise schon wieder auf den Beinen ist. "Das Gehen geht schon recht gut - aber ich bin halt noch schwach", erzählte sie am Telefon.

Sommerliche Besuche im Pustertal

Meine Faszination durch diese starke und ungewöhnliche Frau hat ihre Wurzeln in meiner Kindheit. Damals, in den 1960er Jahren, kam sie als "Hasi" in Begleitung ihrer "Pips" genannten Mutter Lotte fast jeden Sommer nach Niederrasen, das kleine Dorf im Südtiroler Pustertal, in dem meine Großeltern lebten. Die beiden Wiener Damen, Freundinnen meiner Großmutter, erschienen mir kleinem Landmädel als schöne, rätselhafte Sendbotinnen einer fernen weiten Welt.

Beide klagten meiner Großmutter viele Male ihr Leid über einen gewissen "Franzi", den "unmöglichen" jüngeren Sohn der Hasi, der nur zu Hause in Hietzing auf dem Sofa liege, warte, dass er berühmt werde und sich zum Geburtstag eine weiße Gitarre wünsche.

Ich kannte nur den Fritz, den älteren Sohn der "Hasi", gleichaltrig mit meiner Mutter und Freund meiner Eltern. Er brachte uns Südtiroler Kindern immer Unmengen von Sackerln mit "Wiener Zuckerl" und schachtelweise "Schokotop" aus der damals berühmten Zuckerlfabrik der Familie Heller mit.

Als ich ein Teenager war, schenkte mir die "Hasi" bei jedem Besuch die neuesten Schallplatten von den Beatles. "Lady Madonna spielt der Franzi fast jeden Tag als Discjockey bei Ö3", erklärte sie mir. Eines Sommers nahm sie mich für zwei Wochen mit nach Hietzing in ihre von Adolf Loos umgebaute Villa in der Elßlergasse. Wir waren jedoch selten daheim, zogen ein von ihr voll durchorganisiertes Kulturprogramm durch. Das Leben der "Hasi" jenseits der naiven Kinderperspektive habe ich erst als Journalistin näher kennen lernen dürfen.

Das Ehepaar Elisabeth und Stephan Heller mit dem älteren Sohn Fritz. - © Privates Familienarchiv Fritz Heller
Das Ehepaar Elisabeth und Stephan Heller mit dem älteren Sohn Fritz. - © Privates Familienarchiv Fritz Heller

Als ich von Deutschland wieder nach Wien zog, sie nach Jahrzehnten wiedersah, weit über 90 noch so fesch, so kultiviert und kulturbewegt wie eh und je, kam mir die Idee, einen Film über sie zu machen. Ehrlichere und liebevollere, nachdenklichere und offenere Gespräche als die mit Elisabeth Heller, mit ihren beiden Söhnen Fritz und André habe ich in meinem Berufsleben nie führen dürfen.

Niederrasen in Südtirol. Elisabeth Heller mit ihrem Wiener Glanz ist dort keineswegs eingeschwebt wie ein UFO. Ihre Großmutter Karoline Scholdan war eine gebürtige Südtirolerin, die uneheliche Tochter des Weinbarons Di Pauli, der ihr zur Hochzeit mit dem Wiener Weinhändler Scholdan ein Haus in der Walfischgasse schenkte. Ihre eigene Ehe war nicht glücklich, die ihrer Tochter Lotte mit dem Wiener Hans Wenig scheiterte schon vor der Geburt der Tochter Elisabeth.

Der Erste Weltkrieg brach aus, Karoline Scholdan suchte mit ihrer Enkelin Zuflucht in der Heimat, mietete ein Haus am Waldrand hoch über dem Dörfchen am Eingang zum Antholzer Tal. Dreißig Kilometer weiter, an der Dolomitenfront, lieferten sich Österreicher und Italiener blutige Schlachten. Klein Elisabeth ging derweil mit Kinderfrau, Großmutter und einem zahmen Raben durch den Wald und die Wiesen, an den sie lebhafte Erinnerungen hat: "Er saß beim Spazierengehen immer auf der Schulter meiner Großmutter."

Als die beiden nach dem Ersten Weltkrieg nach Wien zurückkehren, spricht Elisabeth reinsten Pustertaler Dialekt. Zum Entsetzen ihrer Mutter Lotte, die mittlerweile geschieden, vom katholischen zum evangelischen Glauben übergetreten und mit ihrer ersten großen Liebe verheiratet ist: Fritz Reimers, dem Sohn des damaligen Burgtheaterstars Georg Reimers. "Ich habe ihn sehr gern gehabt", sagt sie über den zweiten ihrer insgesamt drei Stiefväter, "meinen eigenen Vater habe ich ja erst mit zwölf Jahren kennen gelernt. Er hat mich manchmal mitgenommen zum Heurigen."