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"Das ist eine echte Revolution"

Von Piotr Dobrowolski

Reflexionen

Roland Stelzer, einer der Pioniere des 3D-Drucks in Österreich, erklärt, warum diese Technologie zu einem Riesenhype geworden ist.


"Jedes Werkzeug kann missbräuchlich verwendet werden, auch ein 3D-Drucker. Trotzdem wäre ich gegen zu strenge Auflagen oder Beschränkungen", meint Roland Stelzer.
© J.J. Kucek

"Wiener Zeitung":In den USA hat man unlängst mit einem 3D-Drucker einen ganzen Affenarm ausgedruckt und ihn erfolgreich einem Versuchstier angenäht. Was kommt als Nächstes: der 3D-Golem?Roland Stelzer: Das wird hoffentlich noch dauern. Und die Geschichte mit dem Affenarm kann ich jetzt auch nicht bestätigen, ich kenne sie nicht. Eine verwandte Sache sind aber Prothesen aus dem 3D-Drucker, die in den USA von Menschen gefertigt werden, die sich professionelle Hilfen um zehn- oder zwanzigtausend Dollar nicht leisten können. Und diese Prothesen funktionieren. Das zeigt schon die Richtung, in die es geht: Mit etwas Kreativität ist es mit 3D-Druck möglich, als Privater in Fertigungsbereiche vorzudringen, die bisher nur den Großkonzernen vorbehalten waren.

Das heißt, in Zukunft werde ich, wenn die Bremsbeläge in meinem Auto kaputt sind, mir in der Früh schnell welche ausdrucken, bevor ich zur Arbeit fahre?

Bremsbeläge sind vielleicht kein gutes Beispiel, weil die kein besonders individualisiertes Produkt sind und zweitens auch noch von jemand anderem in das Auto eingebaut werden müssen. Aber im Prinzip wird die digitale Fertigung den Konsumenten in die Lage versetzen, Dinge nahezu unbeschränkt digital zu designen und sie dann auch selbst zu fertigen.

Deshalb spricht man ja auch vom "Internet der Dinge". Allerdings ist der 3D-Druck nur eines der digitalen Verfahren. Es gibt auch andere wie Lasercutten oder CNC-Fräsen. Das Entscheidende ist ja auch nicht das Verfahren an sich, sondern die Tatsache, dass diese Geräte, sowohl was den Preis als auch was die Bedienbarkeit betrifft, massentauglich werden. Das ist die große Revolution.

Der große Hype betrifft aber trotzdem vor allem den 3D-Druck. Warum?

Das liegt wohl daran, dass sich unter einem Drucker fast jeder etwas vorstellen kann, unter einer CNC-Fräse aber nicht mehr unbedingt. Und außerdem hat der 3D-Drucker den Vorteil, dass er sehr einfach zu bedienen ist und man damit - jedenfalls in der Theorie - alles, was am Computer darstellbar ist, auch tatsächlich drucken kann. In der Praxis gibt es dann doch Einschränkungen. Die Bauraum-Größe zum Beispiel: Ich kann nur Dinge drucken, die im Bauraum meines Druckers Platz haben. Eine andere Beschränkung sind die Materialien: bestimmte Kunststoffe oder Metallpulver lassen sich sehr gut mit 3D-Druck verarbeiten, andere Materialien wiederum gar nicht. Und nicht jede Form gelingt gleich gut. Wir stehen aber immer noch am Anfang dieser Technologie. Die ersten PCs der späten siebziger Jahre waren ja auch nicht sofort die großen Bringer.

Apropos Materialien: Barilla arbeitet eigenen Angaben zufolge an einem 3D-Drucker für Nudeln. Das Ziel ist, zwanzig Nudeln in einer halben Stunde drucken zu können.

Da möchte ich aber nicht hungrig daneben stehen und warten. Wahrscheinlich ist das ein PR-Gag und ein Zwischenschritt, um zu testen, was vom Material her überhaupt möglich ist. Überlegungen, den 3D-Druck in der Gastronomie einzusetzen, gibt es aber schon länger: zum Beispiel im Konditorei-Bereich, wo man aus Marzipan individualisierte, anlassbezogene Toppings für Torten druckt. Das erscheint mir auch sinnvoller als den 3D-Druck bei Massenprodukten wie Nudeln einzusetzen. Aber auch da könnte man mit dem 3D-Drucker individualisierte Ware nach Kundenwunsch machen.

"Mit etwas Kreativität ist es mit 3D-Druck möglich, als Privater in Fertigungsbereiche vorzudringen, die bisher nur den Großkonzernen vorbehalten waren": Roland Stelzer (r.) im Gespräch mit "W.Z."-Mitarbeiter Piotr Dobrowolski.
© Dobrowolski

Ein großes Schlagwort, das im Zusammenhang mit dem 3D-Druck immer wieder auftaucht, lautet: Der Konsument wird zum Produzenten. Ist das realistisch? Ich kann mir heute zwar die Kappe für meinen Kuli ausdrucken oder einen Plastikhaken für das Geschirrtuch. Im Geschäft gibt’s das alles aber schneller und billiger.

Außer Sie wollen eine ganz spezielle Kappe. Oder Sie haben einen speziellen Kuli, auf den nur eine bestimmte Art von Kappen passt. Oder Sie haben eine Idee für eine Innovation, die andere auch brauchen könnten, die Idee wird aber von der Industrie nicht umgesetzt, weil sich das erst bei einer Millionenstückzahl rechnen würde. In all solchen Fällen ist der 3D-Druck ideal und da kann der Konsument dann tatsächlich Produzent werden. Und erst recht bei der Entwicklung von neuen Produkten. Mit dem 3D-Druck kann ich ganz günstig Einzelstücke, Prototypen herstellen, ohne dass ich dafür gleich einen Investor bräuchte, der mir erst einmal die Produktionslinie vorfinanziert. Auf der Vertriebsseite ist es ähnlich: Ich kann zuerst den Markt mit Einzelstücken abtesten und erst dann in Serie gehen, wenn sich der Erfolg einstellt. Damit ist eine riesige Kostenbarriere weg, die bisher die Entwicklung von neuen Produkten behindert hat und die dafür sorgte, dass die meisten Innovationen im Kopf ihrer Erfinder geblieben sind und nie den Weg in die Realität geschafft haben.

Digital entwickelt wird allerdings schon lange.

Ja, aber der letzte Schritt hat gefehlt. Man konnte früher nicht schnell und vor allem kostengünstig einen Prototyp fertigen, um zu sehen, wie das Ding in echt aussieht, um dann Anpassungen zu machen, und zwar so lange, bis man wirklich zufrieden war. Jetzt geht das. Wir haben am Wiener "Happylab" eine ganz Reihe solcher Geschichten miterlebt. Einige davon sind am Ende auch ein kommerzieller Erfolg geworden.

Zum Beispiel?

Ein Low-Cost-System für die Wasserdesinfektion in der Dritten Welt. Das basiert darauf, dass Sonne Keime im Wasser abtötet. Man braucht Wasser eigentlich nur in Plastikflaschen zu füllen und lange genug in der Sonne stehen zu lassen, um dann Trinkwasser zu bekommen. Das Pro-blem ist allerdings, dass man von außen nicht sehen kann, wann das Wasser so weit ist. Am Happylab gab es Leute, die einen Schraubverschluss mit Sensor entwickelt haben, der genau das misst und obendrein billig ist. Nach ersten Proben ist das System erfolgreich in Serie gegangen. Oder es gab jemanden, der bei uns ein Gefäß für Protein-Shakes entworfen hat. Auch der verkauft bereits kommerziell. Und auch Roboter, für die sich die Wiener Feuerwehr interessiert, sind bei uns als Prototypen gemacht worden. Daran sieht man also schon, dass der Zugang zu Technologien wie 3D-Druck, CNC-Fräsen, Lasercutten, den kleine Entwickler früher aus Kostengründen nicht hatten, einen enormen Innovationsschub bedeuten kann.

Öffentliche Stellen und erst recht die Wirtschaft müssten an dieser Entwicklung großes Interesse haben und daher auch bereit sein, sie zu fördern. Tun sie das?

Das Happylab ist zwischen 2008 und 2010 in Wien aus einem EU-Projekt im Bereich der Robotik entstanden. Wir haben damals ein Labor mit Geräten für die digitale Produktion gehabt, nutzten die aber natürlich nicht permanent. Daraus hat sich die Idee ergeben: Wenn wir es nicht ständig brauchen, können wir es ja für andere öffnen. Förderungen dafür gab es aber kaum. Inzwischen erkennt die Politik aber sehr wohl, dass der Bedarf an Fab-Labs, also Orten wie das Happylab, wo Private neue Technik wie den 3D-Druck nützen können, sehr groß ist. Wir haben heuer im Herbst ein Happylab in Salzburg eröffnet, in Graz und Linz besteht ebenfalls Interesse. Auf der Wirtschaftsseite ist die Haltung noch ziemlich ambivalent.

Vielleicht, weil die Fab-Lab-Bewegung auch etwas Kapitalismuskritisches hat: Wenn jeder Konsument seine Sachen selbst entwirft und dann im Fab-Lab um die Ecke mit dem 3D-Drucker ausdruckt, wo bleibt dann die Macht der Konzerne?

Der Gedanke einer demokratischeren Wirtschaft stellt sich in diesem Zusammenhang ja tatsächlich. Für mich bedeutet Demokratisierung, dass der Konsument in den Produktionsprozess eingreifen kann und nicht mit Produkten beglückt wird, die er vielleicht gar nicht braucht. Da kommt freilich auch die ganze Open-Source-Problematik ins Spiel, die Frage, ob Firmen die digitalen Baupläne ihrer Produkte verstecken oder im Gegenteil öffentlich machen sollten, um sie für Verbesserungen zugänglich zu machen. Die einen sehen das als Chance, andere als Bedrohung. Letztlich passiert derzeit auf der Produktebene dasselbe, was in den letzten zwei Jahrzehnten mit Information passiert ist. Früher konnten die meisten Menschen Information nur konsumieren, die Produktion war im Wesentlichen einer kleinen Gruppe vorbehalten: den Journalisten. Heute kann jeder Videos ins Netz stellen, Blogs schreiben und seinen Senf dazu geben. Auf der physischen Ebene kommt das jetzt auch. Der Konsument will eben mitreden, ob die Couch so oder so breit ist, so oder so weich. Man könnte fast sagen, auf die Demokratisierung der Information folgt die Demokratisierung der Produktion, das Internet der Dinge eben.

Wobei es im Internet auch jede Menge Schrott zu sehen und zu lesen gibt. Werden wir in Zukunft neben kruden Verschwörungstheorien und schlecht recherchierten Blogs auch noch tollpatschig designte Tische der Marke Eigenbau haben, selbst gebastelte Schränke und Selfie-Betten, die beim Sex zusammenbrechen?

Vielleicht. Und wenn es so kommt, werden wir lernen, damit umzugehen. Noch vor zwanzig, dreißig Jahren konnte jeder bei einem Buch, einem Artikel davon ausgehen, dass diese Texte irgendeine Form der Selektion, der Qualitätskontrolle durchlaufen. Bei Informationen aus dem Netz ist das heute meist nicht der Fall. Und trotzdem können die meisten von uns auch im Internet die Spreu vom Weizen trennen. Es haben sich außerdem letztlich auch im Internet Formen der Qualitätskontrolle etabliert wie Bewertungen von Blogs in anderen Blogs, Klickraten, Ratings, was auch immer. Im Internet der Dinge wird es ähnlich sein. Aber natürlich wird nicht alles, was auf den Markt geworfen wird, perfekt sein. Das ist es heute aber auch nicht.

Beim Thema Open-Source darf natürlich auch die Frage nach geistigem Eigentum nicht fehlen. Wenn Musik digital verfügbar ist, ist die Versuchung, sie zu klauen, groß. Bei Bauplänen auch. Erst recht, wenn ich die Dinge selbst ausdrucken kann.

Das ist sicher eine Herausforderung. Andererseits zeigt gerade die Musikindustrie, dass es möglich ist, hier einen Weg zu finden. Die Musikindustrie lebt ja ganz gut im neuen Zeitalter. Und abgesehen davon greift der Schutz durch das Urheberrecht in der Realität ohnehin sehr selektiv. Wie viel Schutz hat schon ein einzelner Designer gegenüber einem Konzern, der ihm eine Idee stiehlt? Der Konzern hält im Notfall einen Rechtsstreit ja viel länger durch. Deshalb gibt es ja auch die Idee, Innovationen nicht zu verstecken, und zu hoffen, dass das Patent eines Tages von einem Großkonzern gekauft wird, sondern stattdessen Vertriebswege zu finden, wo man größere Mengen direkt an die Leute bringt. Bei Produkten, die mit einem 3D-Drucker ausdruckbar sind, kann man zum Beispiel das Design um einen kleinen Beitrag auf einer Internetplattform zum Download anbieten. Ausdrucken soll es der User dann selbst.

Wenn man Dinge verschenkt oder fast verschenkt, ist irgendwann niemand mehr bereit, dafür einen angemessenen Preis zu bezahlen. Bei Medieninhalten im Internet ist genau das heute der Fall: der User erwartet, dass der Content gratis ist.

Ich weiß nicht, ob das immer stimmt. Aber selbst wenn es so wäre: Im Elektronikbereich gibt es viele Unternehmen, die gerade deshalb erfolgreich sind, weil sie ihr geistiges Eigentum gratis hergeben. Ein gutes Beispiel ist Arduino, ein Hersteller von Mikrokontrollern. Arduino stellt die Baupläne seiner Mikrokontroller ins Netz. Jeder kann die gratis runterladen und ganz legal nachbauen. Trotzdem geht es dem Unternehmen gut, weil eben nicht jeder die Lust und die Zeit hat, sich seine Kontroller selber zusammenzulöten. Gleichzeitig profitiert Arduino aber davon, dass es auch Leute gibt, die die Kon-troller selber bauen, weil dadurch unglaublich viel Know-how entsteht, das Arduino nutzen kann. Und auch außerhalb der Elektronikbranche kann sich ein offenes System lohnen. Bei Ersatzteilen kann es billiger sein zu sagen: Bevor ich den Aufwand für Verwaltung, Verpackung, Versand habe, verschicke ich lieber den Bauplan an den Kunden und der soll sich das selbst ausdrucken.

Vorausgesetzt, er hat zu Hause einen funktionstüchtigen 3D-Drucker. Wird in zehn Jahren wirklich jeder so ein Gerät daheim haben, das ihm alle möglichen Dinge des täglichen Bedarfs produziert?

Das ist schwierig zu beantworten. Im Prinzip glaube ich schon, dass 3D-Drucker ähnlich populär sein werden wie heute normale Computerdrucker. Andererseits gibt es wie bei herkömmlichen Druckern auch hier Beschränkungen. Ich kann zum Beispiel nur Dinge drucken, die im Bauraum meines Druckers Platz haben. Das heißt, für große Dinge brauche ich auch große Geräte und die werden die meisten User nicht unbedingt daheim stehen haben wollen. Am Ende wird es wohl so sein: Für manche Anwendungen wird man Geräte zu Hause haben, wie heute für den Druck im A4-Format, für andere Anwendungen wird man mit seinem Datenträger zu einem Dienstleister gehen. So wie heute, wenn Sie etwas in einem großen Format ausdrucken wollen.

Wie real ist die immer wieder erwähnte Gefahr, dass man mit 3D-Druckern auch Waffen ausdrucken kann, in Zukunft vielleicht sogar Bomben?

Mit etwas bösem Willen kann auch heute jeder höchst gefährliche Dinge zu Hause produzieren. Ich muss kein Chemiker sein, um im Internet zu recherchieren, wie man eine Bombe baut. Aber es stimmt schon: Jedes Werkzeug kann missbräuchlich verwendet werden, auch ein 3D-Drucker. Trotzdem wäre ich gegen zu strenge Auflagen oder Beschränkungen. Wenn einer, warum auch immer, Gewalttaten begehen will, wird er das auch ohne 3D-Drucker schaffen.

Ein anderer Einwand ist: Der 3D-Druck bedeutet das Ende des Handwerks, weil wenn jeder selbst designen und produzieren kann, niemand mehr Einzelstücke produzieren lässt, zum Beispiel beim Tischler.

In den allermeisten Fällen haben die Leute auch heute keine handgefertigten Einzelstücke vom Tischler, sondern eher Ikea-Möbel. Insofern kann der 3D-Druck zu deutlich mehr Vielfalt führen als heute. Derjenige, der sich ein teures Einzelstück nicht leisten kann, aber auch nicht den Einheitsbrei der großen Hersteller haben will, kann hier tätig werden. Das teure Designerstück vom Handwerker wird deshalb nicht aussterben.

Piotr Dobrowolski, geboren 1965, war u.a. Außenpolitik-Chef bei "Format" und Chefredakteur des Nachrichtenmagazins "Frontal" und ist nun als freier Journalist tätig.

Zur Person
Roland Stelzer (37), gebürtiger Oberösterreicher, hat in Derby (GB) Computerwissenschaften studiert und dann am Zentrum für Computer-Intelligenz der De Montfort University in Leicester promoviert. Nach der Tätigkeit in einem österreichisch-slowakischen Robotik-Forschungsprojekt war Stelzer 2010 einer der Gründer des Wiener "Happylab", das Teil der weltweiten "Fab-Lab"-Bewegung ist. Heute leitet er das Happylab als Geschäftsführer.

Neben dem 3D-Druck und der Idee einer demokratischen Produktion gehört auch Roboter-Segeln zu Stelzers Interessen. Er leitet die Österreichische Gesellschaft für innovative Computerwissenschaften, ein unabhängiges Forschungsinstitut, welches das "ASV-Roboat" entwickelte, das bisher weltweit erfolgreichste Roboter-Segelboot. Bereits vier Mal gewann es die Weltmeisterschaften im Robotersegeln.

Das Happylab will Stelzer als einen Ort verstanden wissen, an dem Privatpersonen Zugang zu neuen industriellen Produktionsverfahren wie 3D-Druck bekommen. Als Einstieg gibt es jeden Mittwoch um 19.00 Uhr eine kostenlose Happylab-Führung, eine Voranmeldung ist nicht nötig. Die Nutzerstruktur des Happylab ist vielfältig: von Privatpersonen, die gern mit Technik experimentieren, über Studenten, die ihre Modelle fertigen, bis zu Start-Ups, die im Happylab Prototypen bauen.

Mehr Infos gibt es unter www.happylab.at oder vor Ort: Haussteinstraße 4/2, 1020 Wien.