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"In meinem Kopf läuft ein Film ab"

Von Irene Prugger

Reflexionen
"Unbewusst reagiere ich beim Schreiben wohl Aggressionen ab. Meine Kinder dürfen meine Romane jedenfalls erst ab 15 lesen" Bernhard Aichner
© Foto: Irene Prugger

"Wiener Zeitung": Herr Aichner, wir befinden uns im altehrwürdigen Innsbrucker Café Central, wo Sie oft mit Ihrem Laptop sitzen und an Ihren Büchern schreiben. Brauchen Sie diese Umgebung für Ihre Kreativität?Bernhard Aichner: Ich bin beim Schreiben gern unter Leuten; ich mag es, wenn es um mich herum wuselt und lebendig ist. Ich bin ja trotzdem weit weg und ganz auf meine Geschichte konzentriert, habe meine Stöpsel in den Ohren und höre Musik. Sanfte Popsongs, auch kitschig-romantische Schmachtfetzen, manche davon höre ich 70 Mal hintereinander. Weil ich die Lieder schon so gut kenne, werde ich davon nicht abgelenkt, sondern angenehm inspiriert.

Sie werden von kitschig-romantischer Musik zu literarischen Grausamkeiten inspiriert?Das ist kein Widerspruch. Liebe und Tod, Leben und Sterben, das gehört alles zusammen. Mein Roman "Totenfrau" ist nicht nur ein Thriller, sondern auch eine Liebesgeschichte. Die Hauptfigur, Bestatterin Blum, ist eine durch ein Kindheitstrauma seelisch zutiefst verletzte Frau, deren Wunden durch die Liebe Heilung erfahren. Sie lebt viele Jahre glücklich mit ihrer Familie. Als ihr Mann, ihre große Liebe, ermordet wird, brechen die alten Wunden wieder auf und sie wird zum Racheengel.

Man könnte auch sagen, sie ist eine Psychopathin und kaltblütige Massenmörderin . . .

Als Psychopathin habe ich sie eigentlich noch nie gesehen. Sie wird von ihren Emotionen zu ihrer gnadenlosen Selbstjustiz getrieben. Und sie hat aufgrund ihrer Bestatterinnentätigkeit gute Möglichkeiten, unentdeckt zu morden. Sie denkt nicht lange nach, sie tut es einfach.

Sie setzt sich einfach aufs Motorrad oder ins Auto, fährt los und bringt Leute um . . .

Ja, aber nur die Bösen. Das ist ganz wichtig für den Roman, dass es wirklich abgrundtief böse Menschen sind. Hätte ich nur jeweils fünf Sätze mehr zu diesen Opfern geschrieben, etwa, dass sie nicht nur Verbrecher, sondern auch treusorgende Familienväter sind, würde der Roman nicht mehr funktionieren. Er lebt davon, dass man ohne schlechtes Gewissen auf der Seite der Mörderin steht und es beim Lesen gut findet, dass sie meuchelt und mordet. Man will, dass sie davonkommt. Ich wollte es auch. Ich werde ja eine Blum-Trilogie schreiben. Aber ich wollte es auch deshalb, weil ich sie mag.

Dennoch verzichten Sie darauf, Blums Charakter detailliert auszuloten. Manchmal wirkt sie wie eine Figur in einem Videospiel, die immer wieder aufsteht und losrennt. Auch ihr Aussehen beschreiben Sie nicht näher. Warum nicht?

Ich schreibe, dass sie schön ist, das genügt. Die Leser können sich ihre eigene Vorstellung von ihr machen. Ich beschreibe auch keine Landschaften. Der Roman spielt in Innsbruck, aber ich wollte kein Lokalkolorit hineinbringen, keinen Reiseführer schreiben. Meine Romane haben ein hohes Tempo, was sich auch in den oft staccato-artigen Satzfolgen niederschlägt. Schilderungen von unbedeutenden Äußerlichkeiten würden die Dramaturgie bremsen. Bei der "Totenfrau" käme das Getriebensein dieser Person nicht mehr zum Ausdruck.

Andererseits recherchieren Sie sehr genau und haben für die "Totenfrau" sogar ein halbes Jahr in einem Bestattungsunternehmen gearbeitet. Wie ist es Ihnen dabei ergangen?

Gar nicht so schlecht, ich habe mich mit dem Tod vertraut gemacht. Meine Angst davor ist jetzt nicht mehr so groß. Natürlich war es zuerst eine Überwindung, Leichen den Mund zuzunähen, aber es muss gemacht werden und mit der Zeit gewöhnt man sich daran. Allerdings habe ich mich von Unfallopfern oder verstorbenen Kindern ferngehalten. Das hätte ich nicht verkraftet. Selbst wenn ich im Schreiben gerne den voyeuristischen Blick bediene, so hat er doch seine Grenzen. Obwohl ich Pressefotograf war, kann ich es oft nicht verstehen, welch abscheuliche Fotos man heute veröffentlicht. So etwas will ich mir gar nicht ansehen.

Mit der Beschreibung von Grausamkeiten sind Sie allerdings nicht zimperlich. Wenn man etwa an die Angstfantasien des Taxifahrers in Ihrem Roman "Nur Blau" denkt . . .

"Gute literarische Unterhaltung, da bin ich zu Hause": Bernhard Aichner mit "Wiener Zeitung"-Mitarbeiterin Irene Prugger.
© Foto: Irene Prugger

Ja, aber es ist ja nur ein Roman, eine Spielwiese für Fantasien, und es kommt das skurrile Element dazu. Ein schwarzer Humor, den ich nie ganz unterdrücken kann, selbst dann nicht, wenn ich einen ernsten Roman schreiben will, wie zum Beispiel "Totenfrau".

Die Situationen, in die Sie Ihre Figuren schicken, sind nicht immer bis ins Letzte glaubwürdig, aber originell und kreativ. Schütteln Sie manchmal selber den Kopf über Ihre Einfälle?

Und ob! Es ist schon ziemlich wild, was sich manchmal in meinem Kopf abspielt. Mitunter bringen mich auch Freunde auf Ideen. Jemand sagt zum Beispiel, ich soll eine meiner Figuren in einem Eimer ertränken. Dann stelle ich mir vor, wie das ist, jemanden in einem Eimer zu ertränken, und beschreibe es. Unheimlich ist das und aufregend, manchmal macht es auch Spaß, vor allem dann, wenn es die Bösen sind und noch dazu scheinheilige Obrigkeiten wie im Fall der "Totenfrau". Das funktioniert wie in einem Märchen. Unbewusst reagiere ich dabei wohl unterschwellige Aggressionen ab. Meine Kinder dürfen meine Romane jedenfalls erst ab 15 lesen.

Wie wichtig ist der fotografische Blick beim Schreiben?

"Neulich habe ich mir wunderschöne Schuhe gekauft. Als ich sie trug, dachte ich stolz: Die habe ich mir erschrieben!"
© Foto: Irene Prugger

Sehr wichtig. Ich erzähle in Bildern. In meinem Kopf läuft ein Film ab, diesen möchte ich so unmittelbar wie möglich an die Leser weitergeben. Das bringt Dynamik, das bringt Spannung.

Die Bestatterin Brünhilde Blum hat Sie mit ebenso atemloser Dynamik in die Bestsellerlisten katapultiert. Bis jetzt wurden rund 60.000 Exemplare verkauft, Übersetzungen in elf Sprachen kommen im Frühjahr auf den Markt, auch in Amerika wird das Buch verlegt. Danach erscheinen die Taschenbuchausgaben. Die Rechte für die Verfilmung sind ebenfalls schon vergeben. Wie hat sich Ihr Leben dadurch verändert?

Die wichtigste Veränderung: Ich kann jetzt vom Schreiben leben und mir auch die Zeit dafür nehmen, die ich brauche. Ich habe ja immer schon selbstständig gearbeitet, als Fotograf. Dabei hatte ich nie existenzielle Ängste, aber dass ich nun meine Familie allein durchs Schreiben ernähren kann, habe ich mir immer erträumt - und das macht mich glücklich. Das Fotografieren nimmt jetzt die Position eines schönen Hobbys ein. Neulich habe ich mir wunderschöne Schuhe gekauft. Als ich sie trug, dachte ich stolz: Die hab ich mir erschrieben!

Sie haben einmal gesagt, der Erfolg habe Sie nicht überrascht, Sie hätten immer damit gerechnet. Das klang auf sympathische Art unbescheiden, aber vor allem aufrichtig. Was hat Sie so sicher gemacht?

Ich kann kein Buch schreiben ohne die Zuversicht, dass es viele Leser findet. Wenn ich selber nicht an das glaube, was ich tue, wird auch sonst niemand daran glauben. Außerdem bin ich ein Romantiker. Ich mag es, wenn Geschichten gut ausgehen, und ich hatte auch immer eine romantische Vorstellung von einem erfolgreichen Schriftstellerleben. Jetzt merke ich, dass es sehr, sehr fordernd ist, schon alleine durch das viele Unterwegssein bei Lesetourneen. Aber auch wenn es spießig klingt: Ich habe immer sehr diszipliniert und fleißig meinen Weg verfolgt.

Sie haben neben dem Schreiben von beliebten Büchern und genauen Recherchen auch sonst einiges für den Erfolg getan, haben sich eine erfolgreiche Literaturagentur gesucht und sind vom renommierten, aber kleinen Innsbrucker Haymon-Verlag zum großen deutschen Thriller-Verlag btb gewechselt. Ein nötiger Schritt für hohe Auflagen?

Stand wochenlang auf den Bestsellerlisten und wird verfilmt.

Haymon ist ein großartiger Verlag, dem ich auch weiterhin verbunden bleibe. Aber um den bundesdeutschen Buchmarkt kommt man nicht herum, wenn man gut verkaufen will. Um einen guten Agenten kommt man auch nicht herum, denn dieser platziert einen dort, wo man hinpasst, bietet das Manuskript den Verlagen an. Literaturagenten treffen heute bereits eine Vorauswahl für die Verlage. Sie suchen nach außergewöhnlichen Büchern, die sie dann verkaufen können. Mein Manuskript habe ich fünf namhaften deutschen Agenturen angeboten, drei davon wollten mich unbedingt vertreten. Ich hatte mein Bewerbungsmail mit Exposé um 9 Uhr morgens losgeschickt, um 12:30 Uhr war bereits die erste positive Antwort da. Ich konnte es nicht fassen. Als sich dann auch noch die Verlage mit Angeboten überschlugen, dachte ich, ich sei in einem Traumland. Sieben Verlagshäuser wurden kontaktiert, fünf wollten das Buch, darunter btb, mein Traumverlag, bei dem ich letztlich gelandet bin, weil meine Verlegerin von Anfang an Feuer und Flamme für die "Totenfrau" war. Ich bekam damals ein Mail von ihr, darin stand nur ein Satz: "Was wünscht sich der Autor?" Ich formulierte nicht ganz ernst gemeint sieben fast wahnwitzige Wünsche - sie wurden alle erfüllt!

Selbst mein sehr erfahrener Agent, Georg Simader, hatte solch einen Run selten zuvor erlebt. btb verkaufte noch vor Erscheinen des Buches wichtige Übersetzungs- und die Filmrechte. Die Verträge für die nächsten Blum-Bücher sind bereits bei btb unterschrieben, der vierte Max Broll-Krimi wird 2016 bei Haymon erscheinen.

Sind Sie jetzt in der Bestsellermaschinerie? Müssen Sie nun einen Krimi nach dem anderen schreiben?

Ich will und ich sehe das sehr positiv. btb macht einen verdammt guten Job. Ich stehe als Spannungsautor auf den Bestsellerlisten, es ist also nur klug, vorerst in diese Richtung weiterzugehen. Ich liebe Spannung, deshalb werden meine nächsten drei Bücher auch Thriller sein. Aber ich werde auch weiterhin Theaterstücke und Hörspiele schreiben. Nebenbei nimmt eine Liebesgeschichte Form an, die ich seit langem schreiben will. Da wird dann auch niemand ermordet, da wird vermutlich nicht einmal natürlich gestorben. Darauf freue ich mich schon, weil ich im Grunde ein ganz Sanfter und Netter bin. Wobei meine Grundthemen Schicksal und Ohnmacht wieder vorkommen werden. Und ein paar Grausamkeiten werden wohl auch wieder dabei sein . . .

Grausamkeiten, die Sie so gekonnt und poetisch zu beschreiben verstehen, dass Ihnen auch die strenge Literaturkritik vielfach Beifall zollt. Oder hat sich das inzwischen geändert?

Ich freue mich über Kritik. "Totenfrau" wurde großartig besprochen. Ich bin sehr dankbar dafür und es ist eine erfreuliche Entwicklung, dass der Kriminalroman auch literarisch immer mehr wahrgenommen wird. Ich schreibe meine Geschichten in meiner Sprache, erzähle mit meinem Sound. Literarisch, ja, weil mir Sprache sehr wichtig ist. Ebenso wie eine gute Geschichte, die zu fesseln und unterhalten vermag. Gute literarische Unterhaltung, da bin ich zu Hause.

Franzobel, der 2014 auch einen Krimi veröffentlicht hat ("Wiener Wunder"), nannte in einem Interview Georges Simenon als Inspirationsquelle. Zitat: "Ich fand das, was ich las, so erhebend, das mir klar wurde: Literatur und Krimis muss sich nicht ausschließen." Haben auch Sie literarische Vorbilder?

Hat sich ein halbes Jahr lang in einem Bestattungsunternehmen mit dem Tod vertraut gemacht: Bernhard Aichner.
© fotowerk aichner

Ich habe John Grisham immer gut gefunden, obwohl er aus literarischer Sicht oft nicht ernst genommen wird. Wie er es schafft, eine Handlung über mehrere hundert Seiten voranzutreiben und die Spannung aufrecht zu erhalten, ist große Kunst. Und es imponiert mir, mit welch ausgefeilter Sprache die Französin Fred Vargas ihre Krimis schreibt. Diese beiden Talente zu kombinieren, das ist wohl der Trick.

Wie weit sind Sie mit Ihrer Blum-Trilogie?

Der zweite Band ist bereits fertig geschrieben, er wird im September 2015 erscheinen und "Totenhaus" heißen, wird sich aber sehr von "Totenfrau" unterscheiden. Ich kann Blum nicht immer nur morden lassen, das wäre langweilig. Ein Kripobeamter, der meine Geschichten auf Glaubwürdigkeit durchliest, hat gesagt: "Irgendwann kommt alles ans Licht. Irgendwann klingelt es an der Tür." Und so wird es also auch bei Blum klingeln. Und dann geht es los.

Irene Prugger, geboren 1959 in Hall, lebt als Autorin und freie Journalistin in Mils in Tirol. Zuletzt sind von ihr die Bücher "Südtiroler Almgeschichten" (Löwenzahn 2012) und "Nerven wie Seile - die Bergrettung im Einsatz" (Löwenzahn 2014) erschienen.

Zu Person
Bernhard Aichner, geboren 1972 in Osttirol, arbeitete fünf Jahre als Fotograf für die österreichische Tageszeitung "Kurier". Im Jahr 2000 gründete er mit seiner Frau Ursula, ebenfalls einer Fotografin, in Innsbruck das Fotoatelier "fotowerk aichner". Parallel dazu begann er eine literarische Karriere, wobei er sich vor allem der "Spannungsliteratur" widmete. Mehrere Literaturpreise und -stipendien, zuletzt der Burgdorfer Krimipreis (2014). Zahlreiche Theaterstücke, Hörspiele sowie Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien. Bei HAYMONtb erschienen die Max Broll-Krimis "Die Schöne und der Tod" (2010), "Für immer tot" (2011) und "Leichenspiele" (2012) sowie der Roman "Nur Blau" (2012). Seine Romane "Das Nötigste über das Glück" (2002) und "Schnee kommt" (2009) sowie sein Erzählband "Babalon" (2000) erschienen bei Skarabaeus .

Zuletzt veröffentlichte Bernhard Aichner den Thriller "Totenfrau" (btb, 2014) und schrieb sich damit auf Anhieb in die Bestsellerlisten. Im Frühjahr 2015 erscheint das Buch in elf europäischen Ländern und in Amerika, die Filmrechte sind bereits verkauft. Bernhard Aichner lebt mit seiner Frau und seinen Kindern in Innsbruck.
Website Bernhard Aichner