
Wer sind diese Menschenhändler?
Es gibt drei große Verbrechen auf dieser Welt: Drogen, Waffen und Menschenhandel. Hinter allen dreien steckt die Mafia, also organisiertes Verbrechen. Sie operiert von Indien aus und hat ihr Netzwerk bis in die kleinsten Dörfer Nepals.
Können Sie das Ausmaß von Menschenhandel in Nepal ungefähr abschätzen?
In Nepal selbst gibt es kaum Bordelle oder richtige Rotlichtmilieus. Nichtsdestotrotz werden jedes Jahr mindestens 1200 unserer Mädchen über die Grenze nach Indien verschleppt. Wohin es danach weitergeht, wissen wir noch nicht genau. Wir vermuten aber, dass rund die Hälfte als Zwangsarbeiterinnen verkauft wird. Die andere Hälfte endet in Indiens Bordellen.
Stoßen Sie mit Ihrer Arbeit auch auf Widerstand? Gibt es Menschen, die Ihnen wegen Ihres Einsatzes negativ gegenüberstehen?
Menschen werfen nur Steine auf Obstbäume, die Früchte tragen. Niemand wirft Steine auf einen leeren Baum. Was Menschen über mich reden, fühle ich nicht. Mir ist das egal. Sogar innerhalb meiner eigenen Familie gab es zu Beginn großes Misstrauen. Mein Schwiegervater sagte immer: "Vielleicht arbeitet sie für all diese Prostituierten? Vielleicht ist sie selbst auch eine Prostituierte?" Das war sehr hart für mich. Aber der Elefant trampelt weiter, auch wenn die Hunde um ihn herum bellen.
Wurden oder werden Sie mit dem Tod bedroht?
Ja, aber ich fürchte mich nicht. Ich weiß nicht, wie das System vor der Demokratie war, da ich nie damit zu tun hatte, aber danach - und es tut mir sehr leid, wenn ich jemandem damit zu nahe trete, aber man kennt mich dafür, dass ich unverblümt rede - ist es ein Witz geworden. Ich denke, in jedem Land der Welt haben Häftlinge keinen Zugang zu Mobiltelefonen. Außer natürlich in Nepal. Ich bekomme regelmäßig Drohanrufe: "So, du gehst also gerade zur Bank?!", "Du warst heute am Markt einkaufen!", "Heute haben wir dich noch verschont!", "Wir wissen, wo deine Kinder wohnen!", "Wir können dich jederzeit auslöschen!"
Ich antworte dann immer: "Ich wünschte, du würdest vor mir stehen, von Angesicht zu Angesicht. Denn, wenn du mir von hinten ein Messer in den Rücken rammst, kann ich mich nicht wehren. Du magst zwar ein Mann und stärker sein, aber ich werde mich dennoch verteidigen. Vielleicht schlägst du mich zweimal, aber einmal schlage ich dich zumindest auch."
Gibt es denn etwas, wovor Sie sich fürchten?
Ich fürchte mich vor drei sehr wichtigen Dingen: Gott, was auch immer Gott ist, denn auch wenn ich eine katholische Schule besucht habe, bin ich keine Katholikin. Aber ich genoss eine Erziehung des Glaubens. Ich fürchte Gott, da er derjenige ist, vor dem ich mich zu allerletzt verantworten muss. Zweitens: vor meinen Eltern. Und drittens: Schlecht über andere zu sprechen, da das beinahe immer zu Missinterpretationen führt. Ich mag diesen Klatsch und Tratsch nicht.
Aber nicht mögen ist ja nicht dasselbe wie fürchten . . .
Ich fürchte mich tatsächlich davor, denn dadurch entstehen Mythen und Missverständnisse, die wiederum Freundschaften und Beziehungen zerbrechen können. Man muss sich nicht nur vor Schlägereien und Messerstechereien fürchten. Der mögliche Bruch einer Freundschaft ist eine ebenso große Gefahr.
Wie und warum haben Sie diese Aufgabe begonnen? Gab es einen spezifischen Moment oder eine Erinnerung, die Ihr Leben verändert haben?
1990 war gegenüber von meinem Haus die Organisation ABC Nepal, die sich um Opfer von Menschenhandel kümmert und gute Arbeit macht. Allerdings hatten sie keine Unterkünfte für die befreiten Mädchen. Eines Tages retteten sie Geeta, die erste HIV/Aids-infizierte Frau Nepals. Niemand wollte sie aufgrund ihrer Krankheit aufnehmen. An meinen freien Tagen schaute ich nach Geeta und irgendwann fragte mich die Organisation, ob ich nicht bereit wäre, Geeta bei mir zu Hause aufzunehmen. Gesagt, getan.
Von nun an teilten sich mein Sohn und ich ein Bett und Geeta bekam das andere - und das in einem einzigen Raum. Ich hatte alle diese bösen Geschichten über Aids gehört - und plötzlich teilte ich mein Heim mit einer dieser Aids-Patientinnen. Geeta würde mich nicht schlafen lassen. Jede Nacht erzählte sie mir entsetzliche und herzzerreißende Geschichten. Sie vertraute mir und schüttete ihr Herz aus, da ich ihr ein Zuhause gab. Nachdem ich ihre Horrorgeschichten gehört hatte, dachte ich: "Anuradha, du solltest. . ." Das war der Beginn.
Geeta ist schlussendlich an Aids verstorben. . .
So wie viele andere Mädchen auch, um die ich mich gekümmert habe. Ich brachte ihren Leichnam zum Pashupatinath Tempel, um sie dort zu kremieren. Normalerweise kostet das 800 Rupees, aber als ich meine toten Mädchen dort hinbrachte, verlangten sie das Zehnfache von mir.
Weil die Mädchen HIV-positiv waren?
"Weil deine Mädchen Aids haben und wir dadurch auch Aids bekommen können", sagten die Bestatter. Diese Ereignisse werde ich niemals vergessen. Und dann redet die UNO immer noch über Menschenrechte. Was ist da gerecht? Mittlerweile weiß ich, was Recht und was Unrecht ist. Ich wurde oft genug damit konfrontiert. Diese Mädchen hatten kein einziges Recht. Nicht einmal nach ihrem Tod.