Zum Hauptinhalt springen

"Hollywood war meine mutigste Entscheidung"

Von Christine Dobretsberger

Reflexionen

Die Schauspielerin Senta Berger spricht über ihre Wiener Wurzeln, die ersten Schritte ins Berufsleben, den Beginn ihrer Filmkarriere, die Todesangst beim Auswendiglernen von Hofmannsthal-Texten - und über ihre erste Kritik in der "Wiener Zeitung".


"Wiener Zeitung":Frau Berger, ich möchte das Gespräch mit Ihrer Autobiografie "Ich habe ja gewußt, daß ich fliegen kann" beginnen, und zwar in literarischer Hinsicht. Beim Lesen Ihres Buches wird klar: Hier bringt ein Mensch seine Gedanken zu Papier, der sich viel mit Sprache, mit Literatur befasst haben muss, um selbst zu einem so ausgereiften Erzählstil zu finden. Wie haben Sie zu Ihrem Schreibstil gefunden?

Senta Berger: Sich mit Sprache, mit Literatur zu befassen, liegt ja sozusagen in meinem Beruf. Aber ob man besser schreibt oder schreiben lernt, wenn man viel liest? Ich weiß es nicht. . . Meine Freundin Elke Heidenreich behauptet, man lerne Schreiben durch das Leben. Dies ist wohl auch bei mir wahr. Ich habe zwar immer schon sehr viel gelesen, aber das Schreiben ist mir im Laufe des Lebens zugewachsen.

Was gab letztendlich den Anstoß, dass Sie Ihre Erinnerungen zu Papier brachten?

Elke Heidenreich hat mich sehr ermutigt. Sie sagte: "Ich kenne niemanden, der so schöne Briefe schreibt wie du, Senta. Wenn du jetzt kein Buch schreibst, dann gebe ich diese Briefe heraus." Da habe ich gesagt: "Das kommt nicht in Frage, das machst du bitte nicht, lass’ mir nur Zeit, Elke, es schreibt ja schon in mir . . ." Und dann passierte es, dass meine Mutter starb, was so viel in mir aufwühlte, das ich gar nicht bei mir behalten konnte. Zunächst dachte ich, ich möchte alles, was ich über meine Mutter weiß, niederschreiben, damit auch meine Kinder etwas festhalten können, die meine Mutter sehr geliebt haben.

Im Vordergrund stand also primär der Wunsch, Ihren beiden Söhnen eine bessere Vorstellung vom Leben Ihrer Mutter zu vermitteln?

Ich weiß nicht, ob das wirklich die ganze Wahrheit ist, vermutlich nicht. Ich wollte auch etwas festhalten, was mir gehört. Meine Mutter war sehr alt, als sie gestorben ist - 99 Jahre -, und sie hat hier in München in unserem Haus gewohnt. Natürlich war sie in den letzten Jahren schon sehr schwach, hatte aber immer noch viel Humor. Und vor allem: Sie war da! Nach ihrem Tod habe ich mich zum ersten Mal nach langer Zeit wirklich sehr alleine gefühlt. Ich habe furchtbares Heimweh bekommen, auch Heimweh nach meiner Kindheit, nach jemandem, mit dem ich darüber reden konnte, nach Gesprächen, die mit "Weißt du noch . . .?" beginnen. Und dieses Buch wurde mein "Weißt du noch . . ." Ich habe mir alles noch einmal selbst erzählt.

Noch ein Wort zum "Tonfall" Ihres Buches: Meinem Empfinden nach ist die Musikalität Ihrer Sprache doch eindeutig von Ihrer Wiener Herkunft geprägt.

Absolut! Natürlich!

Wie wichtig, wie nah ist Ihnen Wien heute noch? Oder ist die Achse München-Berlin-Wien eine gute Mischung?

Das ist schwierig zu sagen. Es gab Zeiten, in denen ich in Deutschland sechs Filme hintereinander gedreht habe und zwei Jahre nicht in Österreich war. Wenn ich dann nach Wien fahre, ist es ein erschütterndes Gefühl für mich, es ist nicht nur ein Spaß, nach Hause zu kommen. Ich möchte jetzt Alfred Polgar nicht eins zu eins zitieren, der den Ausspruch prägte: "Die Fremde ist keine Heimat geworden und die Heimat ist fremd geworden." So tragisch kann ich es nicht ausdrücken. Allerdings spüre ich schon sehr stark, dass München für mich immer noch nicht die Heimatstadt ist. Mein Zuhause beginnt vielmehr hier in dieser Straße, wenn man unter den Linden zu unserem Haus fährt. Aber wenn ich in Wien die Lainzer Straße entlang gehe, rechts und links die Biedermeierhäuser sehe, meinen Schulweg, meinen Ballettweg - dann ist das unersetzbar. Das ist Heimat, auch wenn Wien ein bisschen touristisch geworden ist und mir nicht mehr so gehört.

Christine Dobretsberger zu Gast bei Senta Berger. Foto: privat

Welche Rolle spielt Berlin in Ihrem Leben?

Ich bin kurz nach meinem neunzehnten Geburtstag nach Berlin gekommen und bis 23 geblieben. Für mich waren das sehr entscheidende Jahre, die ersten Schritte ins Berufsleben. Mein Mann (Michael Verhoeven, Anm.) ist ja Berliner. Wir haben uns in Berlin kennen gelernt und schnell verliebt. Diese erste Leidenschaft verbindet uns mit dieser Stadt. Fast alle unsere Freunde wohnen in Berlin. Wenn schon nicht Wien, dann Berlin, denke ich oft. Ich brauche die gewachsene Architektur einer großen Stadt.

"Ich knüpfte aus meinen Erinnerungen ein festes Netz, in das ich mich zu jeder Zeit fallen lassen konnte." Gilt dieses Zitat aus Ihrer Autobiografie für Sie heute noch?

Ja, es ist eigentlich ein tägliches Erinnern. Erst kürzlich habe ich ein kleines Heftchen zur Hand genommen, in das mir meine Schauspiellehrerin Melanie Horeschov-sky ihre Rezepte hineingeschrieben hat. Wenn ich dieses Heft zur Hand nehme, ist dies verbunden mit einem Geruch, einem Duft, einer Erinnerung, zuweilen - wenn auch nur schemenhaft - mit einem Gesicht. Ich bin gerne in dieser Art sentimental.

Gibt Ihnen das in gewisser Weise auch Kraft?

Ja, manches Mal heule ich auch, aber das ist gut so. Warum sollte man das nicht tun? Es überwältigt mich von Zeit zu Zeit. Der Beruf ist nicht immer einfach und ich fühle mich manchmal überlastet. Aber dann tut mir das Weinen gut.

In Ihren Filmen, aber auch als Mensch strahlen Sie Optimismus und Mut aus. Woher haben Sie selbst all die Kraft genommen, diesen doch sehr eindrucksvollen Karriereweg zu meistern?

Ich fürchte, dass ich diese Frage nicht beantworten kann, weil ich nicht in dieser Kategorie über mich nachdenke. Wenn ich höre: "Sie sind eine starke Frau", dann möchte ich am liebsten zurückfragen: "Im Vergleich zu wem?" Ich weiß es wirklich nicht. Wahrscheinlich ist es so, dass ich das Handtuch nicht werfe, dass ich durch die Liebe zu diesem Beruf auch andere Eigenschaften angenommen habe, die wichtig sind und die ich zuvor nicht in diesem Ausmaß hatte.

An welche Eigenschaften denken Sie konkret?

Im wirklichen Leben bin ich sehr ungeduldig, aber in meinem Beruf bin ich ausgesprochen geduldig, auch sehr diszipliniert, das habe ich vollkommen verinnerlicht, anders geht es ja nicht. Ich glaube, dass es mir sehr viel Kraft gibt, dass ich mit einem Künstler zusammenlebe, der innerlich sehr gefestigt ist. Michael ist wahrscheinlich der einzig wirklich souveräne Mensch in unserer Familie. Ich habe sehr früh schon Verantwortung für meine Eltern getragen, das spielt vielleicht auch eine gewisse Rolle.

Wie alt waren Sie damals?

Eine ausführlichere Fassung dieses Interviews ist in dem Buch "Was ich liebe, gibt mir Kraft. Bühnenstars aus Oper und Theater erzählen" (Styria premium) nachzulesen, das am 23. September erscheint und Gespräche u.a. mit Senta Berger, Christa Ludwig, Elisabeth Orth, Elfriede Ott und Erika Pluhar versammelt.Christine Dobretsberger, 1968 in Wien geboren, lebt als freie Journalistin, Autorin und Geschäftsführerin der Text- und Grafikagentur "Lineaart" in Wien.

Neunzehn Jahre, meine Mutter war Hausfrau und mein Vater in einem ungeliebten Job. Als ich am Theater war und erste Filme gedreht habe, sagte mein Vater: "Ich möchte jetzt aufhören." Das bedeutete, dass ich ab nun für meine Eltern gesorgt habe. Ich kann mich nicht erinnern, dass es da einen Moment gab, wo mir dieser Zeitpunkt zu früh vorgekommen wäre oder ich das Gefühl hatte, ich würde das nicht schaffen.

Ehe Sie sich dem Schauspiel zuwandten, studierten Sie bis zu Ihrem sechzehnten Lebensjahr zehn Jahre lang an der Akademie in Wien Tanz. Haben Sie als junge Frau je ernsthaft mit dem Gedanken gespielt, im musikalisch-tänzerischem Metier Fuß zu fassen?

Ich muss sagen, dass ich erst jetzt wirklich begriffen und erkannt habe, wie sehr mein Vater hier eigentlich eingewirkt hatte. Er erkannte mein Talent und meinte: "Gut, dann machen wir es aber richtig! Es gibt zwei Möglichkeiten, das Staatsopernballett oder die Akademie." Da sich das Staatsopernballett nicht mit dem Gymnasium vereinbaren ließ, studierte ich an der Akademie bei Rosalia Chladek, einer damals sehr berühmten Choreografin. Der wichtigste Mensch für mich in dieser Zeit war aber sicherlich Karla Denk-Kuna. Sie lehrte Ausdruckstanz und Jazz und ließ uns Geschichten tanzend erzählen. Das war wunderbar für mich. Bis heute entstehen in mir Bilder, sobald ich Musik höre . . .

Was gab den Ausschlag, dass Sie sich letztlich doch dem Schauspiel zuwandten und nicht dem Tanz?

Ich bin in der Pubertät ziemlich aufgegangen - oder wenn man es positiv ausdrücken möchte - sehr aufgeblüht! Sogar mit meinen fünfzehn Jahren konnte ich mir ausrechnen, dass ich niemals diese langen Glieder, diesen langen Rücken haben werde, den man als Ballerina haben sollte. Auch hier war Karla Denk-Kuna sehr wegweisend. Sie ermutigte mich, mir die Seminaristen anzusehen, die am Schlosstheater Schönbrunn für die Abschlussvorstellung des Reinhardt-Seminars probierten. Das habe ich getan und es hat mir so gut gefallen, dass ich mich nach dem nächsten Termin für die Aufnahmeprüfung erkundigt habe.

Die Aufnahmeprüfung am Reinhardt-Seminar haben Sie dann auf Anhieb geschafft und waren mit sechzehn Jahren die jüngste Seminaristin.

Auch in dieser Hinsicht hat mein Vater eine ganz entscheidende Rolle gespielt. Er hat sehr an mich geglaubt. Heute weiß ich, dass hier auch seine eigene Geschichte mitgespielt hat. Im Sinne von: "Soll sie es doch probieren, was ich nicht gewagt habe . . ."

Sie sprechen die Tatsache an, dass Ihr Vater - bevor er den elterlichen Metallbetrieb übernehmen musste - am Konservato-
rium in Wien Komposition bei Max Reger studiert hatte und seine künstlerische Begabung nie entsprechend ausleben konnte.

Ja, ich kann mich zwar nicht dezidiert an solche Gespräche erinnern, aber man hat einfach gesehen, dass er ein sehr unglücklicher Mensch ist.

Andererseits erteilte Ihr Vater Ihnen als Kind Klavierunterricht.

Das hat unsere Verbindung sehr belastet. Er hatte kein Verständnis dafür, dass dieses musikalische Kind so faul ist. Und ich war furchtbar faul.

Beim Klavierüben?

Senta Berger wurde 1941 in Wien geboren.

Ja, aber es gab auch weniger beschwerte Zeiten. In unserer winzigen Gemeindewohnung in Hietzing hatten wir ein Klavier. Als ich fünf, sechs Jahre alt war, habe ich meinen Vater ab und zu überreden können, dass er Lieder von Robert Stolz und Franz Lehár spielte - und ich habe dazu gesungen.

Dies war auch die Zeit, als Sie mit Ihrem Vater bei sogenannten "Bunten Abenden" auftraten. Er begleitete Sänger am Klavier und Sie sammelten erste Bühnenerfahrungen beim Tanz. Am 24. März 1948 hatten Sie Ihre erste Kritik in der "Wiener Zeitung": "Tänzerisch wie akrobatisch verblüffend, die herzige kleine große Tanzkünstlerin Senta Berger . . ."

Ich fand diese Kritik nach meines Vaters Tod in einer Schuhschachtel, in der er auch meine Kärtchen und Briefe aufgehoben hatte, die ich als Kind an ihn geschrieben hatte.

Von 1974 bis 1982 spielten Sie im Rahmen der Salzburger Festspiele an der Seite von Curd Jürgens beziehungsweise Maximi- lian Schell die Buhlschaft im "Jedermann". Weder vor noch nach Ihnen hat eine Darstellerin diese Rolle so lange verkörpert. Sie schreiben in Ihrem Buch, dass dies die einzige Theaterrolle sei, die Sie zu jeder Tages- oder Nachtzeit sofort abrufbar hätten. Warum gerade dieser Text?

Weil man Todesangst hat! Hofmannsthals Texte müssen sich reimen. Ein vertauschtes Verb, ein improvisiertes Wort - und man ist verloren! Bei einem Prosatext kannst du dich notfalls noch irgendwie hinüberschwindeln, wenn dir ein ganz bestimmtes Wort nicht einfällt. Das geht bei Hofmannsthal nicht - und darin gründet auch die größte Angst aller "Jedermann"-Spieler.

Was gab letztlich den Ausschlag, dass sich Anfang der 1960er Jahre die Weichen in Richtung Film gestellt haben? Obgleich Sie einen Dreijahresvertrag am Theater in Bonn in der Tasche hatten, entschieden Sie sich für den Film und drehten nun am laufenden Band, zunächst in Berlin, anschließend in Hollywood, London, Rom . . .

Ich hatte damals schon viele kleine und größere Rollen beim Film gehabt und im Sommer nach meinem neunzehnten Geburtstag kam von Richard Widmark das Angebot, den amerikanischen Film "Geheime Wege" zu drehen. Ab diesem Zeitpunkt ging es dann eigentlich so richtig los. Kurz darauf kam der Vertrag nach Amerika, das passierte alles im Laufe eines Sommers . . .

Würden Sie sagen, dass es Ihre mutigste berufliche Entscheidung war, nach Hollywood zu gehen?

Ja, und diese Entscheidung musste ich auch jeden Tag überprüfen. Die fremde Stadt, die fremden Menschen, die fremde Sprache, damals stürzte vieles auf mich ein. Ja, das war wirklich mutig, aber mutig aus Unwissenheit, aus jugendlicher Unerfahrenheit heraus.

Trotz Ihrer fulminanten Karriere haben Sie auch das Kunststück eines intakten Familienlebens zuwege gebracht. Sie sind seit 49 Jahren verheiratet, haben zwei mittlerweile erwachsene Söhne - wie ließ sich all dies unter einen Hut bringen?

Das kann man ja nicht erklären. Mein Mann und ich können es uns selbst nicht erklären. Mein jüngerer Sohn meinte einmal: "Zwischen euch kann man kein Blatt legen." Und so ist es. Wir sind sehr eng. Wir waren so jung, als wir uns kennen gelernt haben. Wir sind wirklich sehr zusammengewachsen und einen gemeinsamen Weg gegangen.

Sind Sie ein toleranter Mensch?

Mein Mann würde jetzt zwar lachen, aber ich glaube, ich bin sehr tolerant geworden.

Senta Berger wurde 1941 in Wien geboren. Ab ihrem fünften Lebensjahr erhielt sie Ballettunterricht und studierte zehn Jahre an der Akademie für Musik und darstellende Kunst Tanz. Als Sechzehnjährige schaffte sie auf Anhieb die Aufnahme ans Reinhardt-Seminar. Es folgte ein dreijähriges Engagement am Theater in der Josefstadt.

Ihre Filmkarriere begann bereits 1957, nach einigen Rollen in internationalen Filmen wie "Secret Ways" holten sie die Columbia-Studios mit einem Fünf-Jahres-Vertrag nach Hollywood. Nach dem Thriller "Mit teuflischen Grüßen" mit Alain Delon kehrte sie zurück nach Europa (1967). Speziell in Italien drehte sie in der Folge viele Filme. 1966 heiratete sie den Filmregisseur und Arzt Michael Verhoeven und gründete mit ihm die "Sentana-Filmproduktion". Ab Mitte der 1980er Jahre startete Senta Berger ihre große TV-Karriere mit Fernsehserien wie "Kir Royal", "Die schnelle Gerdi", "Lilli Lottofee" und der Krimireihe "Unter Verdacht".

Parallel zu Theater, Film und Fernsehen gestaltet Senta Berger vielbeachtete Lese- und Rezitationsabende. Seit 1992 betreibt sie gemeinsam mit ihrem Mann das Programmkino "Toni" in Berlin.

2006 ist ihre Autobiografie "Ich habe ja gewußt, daß ich fliegen kann" (im Verlag Kiepenheuer & Witsch) erschienen.

1998 erhielt sie das Österreichisches Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse, 2014 den Deutschen Schauspielerpreis für das Lebenswerk. Senta Berger hat mit Michael Verhoeven zwei Söhne und wohnt in München und Berlin.