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"Pflegeroboter sind eine attraktive Idee"

Von Piotr Dobrowolski

Reflexionen
© J.J. Kucek

Sabine Herlitschka, Vorstandsvorsitzende von Infineon Austria, erklärt, wie Technologie unsere soziale Zukunft verändern wird, ärgert sich über die österreichische Bildungsfeindlichkeit und will die Flüchtlingsfrage möglichst pragmatisch diskutieren - und lösen.


"Wiener Zeitung":Frau Herlitschka, wenn Sie eines Tages alt und gebrechlich sind: Würden Sie sich dann von einem Roboter pflegen lassen?

Sabine Herlitschka beim Gespräch mit "Wiener Zeitung"- Mitarbeiter Piotr Dobrowolski.
© J. J. Kucek

Sabine Herlitschka: Die Frage ist: Welche Alternativszenarien wird es dann geben? Wir wissen seit Jahren, dass wir zu wenige Pflegekräfte haben. Wir wissen, dass gute Pflege vielfach nicht leistbar ist. Und wir wissen auch, dass es Menschen gibt, die sogar nach Asien auswandern, um sich dort billig pflegen zu lassen. Keines dieser Szenarien halte ich für besonders attraktiv.

Ein Pflegeroboter, der die Einkäufe erledigt, das Bett macht, die Pillendose sortiert - ist das die Zukunft?

Kann gut sein, aber man darf das nicht nur in Schwarz-Weiß-Kategorien sehen. Hilfe durch Technologie ist in der Pflege sinnvoll und wird auch dringend nötig sein. Zugleich geht es aber nicht darum, dass der Roboter dann der einzige Ansprechpartner des Menschen ist. Es wird auch Wohnformen geben müssen, die so gestaltet sind, dass die Leute im Alter nicht vereinsamen: mit generationenübergreifendem gesunden Miteinander-Wohnen, mit Wohngemeinschaften. Wenn das gewährleistet ist, halte ich einen Pflegeroboter für einen durchaus attraktiven Gedanken.

Der Pflegeroboter ist ein noch relativ fernes Szenario. Das selbstfahrende Auto ein deutlich näheres. Es gibt Forscher, die sagen, in zehn Jahren wird das Lenken von Autos etwas für Exzentriker sein, die Mehrheit wird vollautomatisch fahren und währenddessen lesen, spielen, arbeiten - was auch immer.

Ich persönlich halte das für ein sehr verlockendes Bild. Vielleicht weil ich zum Auto ein sehr funktionales Verhältnis habe. Wenn es mich sicher von A nach B bringt und ich nichts dazu tun muss: wunderbar! Ich glaube, dass wir ganz neue Mobilitätsmodelle eta-blieren werden. In Großstädten braucht man schon heute kein Auto mehr. Die Zukunft wird in die Richtung gehen, dass wir, statt Autos zu kaufen, Mobilität kaufen werden. Da werden teilautonome Systeme sehr schnell an Bedeutung gewinnen. Bis das vollautonome, wirklich selbstfahrende Auto kommt, dürfte es noch länger dauern.

Warum eigentlich? Die nötige Technik ist ja zum Großteil bereits vorhanden.

Das stimmt. Aber die wirklich große Herausforderung ist die Sicherheit. Sie wissen ja: Alles, was gehackt werden kann, wird auch gehackt. Wir haben bereits Beispiele gesehen, wo fahrende Autos auf ziemlich einfache Art manipuliert wurden. Deshalb ist für Infineon Sicherheit ein zentrales Thema.

Ist Sicherheit aber nicht auch ein vorgeschobenes Argument, mit dem die Branche rechtfertigt, warum die vielen angekündigten Wunderroboter dann doch nicht Realität werden? IT-Fachleute sagen ja, dass man 99 Prozent der Hackangriffe ohnehin ganz simpel mit gesundem Menschenverstand abwehren kann.

Präsentiert heimische Toptechnologie für den globalen Markt: Sabine Herlitschka.
© Kucek

Das mag zutreffen, wenn es um das Verhindern von E-Mail-Spam geht. Letztlich sind solche Prozentangaben aber irrelevant. Denn Tatsache ist: Erst, wenn wir Lösungen schaffen, die so sicher sind, dass die Menschen ihnen vertrauen, werden entsprechende Technologien angenommen. In der Medizin heißt es nicht umsonst: Wer heilt, hat Recht. In der digitalen Welt hat derjenige Recht, dem man vertraut.

Und dann kauft man ihm auch Dinge ab, die eigentlich kein Mensch braucht. Zum Beispiel einen Sensor, der piepst, wenn die Milch im Kühlschrank aus ist. Oder eine Uhr, die mir sagt, dass ich zu wenig geschlafen habe. Hätte ich ohne die Uhr nämlich nie gemerkt . . .

Die Frage, was der Mensch braucht und was nicht, ist eine ganz andere und nahezu philosophische. Hätten Sie 2005 gefragt, ob wir das iPhone brauchen, hätte wahrscheinlich die große Mehrheit gesagt: Naaa, wozu denn? Und trotzdem hat das iPhone seit seiner Markteinführung 2007 unser Leben ganz grundlegend verändert. Eine Welt ohne Smartphones ist kaum noch denkbar. Um auf Ihr Beispiel mit der Milch zurückzukommen: Wenn es im Bereich des Smart Housing funktionierende und vor allem einfach anwendbare Lösungen dieser Art gibt, werden sich mehr als genug Interessenten finden. Wenn ich zum Elektrospezialisten gehen kann und dort gibt es eine Toolbox, die "Smart Housing" heißt und auf Anhieb funktioniert - ich hätte sie schon längst. Mir würde dann nie der Kaffee ausgehen, ich würde stets den günstigsten Strom beziehen, der Kühlschrank wäre immer mit dem bestückt, was ich gerade brauche, herrlich! Das Problem ist, dass es im Moment nur Einzellösungen gibt, Schnittstellen, die nicht passen, und seitenlange Anleitungen, die kaum einer versteht. Für ein Smartphone braucht hingegen niemand eine Anleitung. Das lässt sich intuitiv bedienen.

Das heißt, "Usability" entscheidet. Was praktisch und intuitiv bedienbar ist, wird gekauft. Der reale Nutzen ist hingegen bestenfalls zweitrangig.

Nein, Sie müssen schon auch die Bedürfnisse Ihrer Kunden antizipieren können und sich danach richten, welchen Zweck ihr Produkt erfüllen soll. Wenn Sie dann auch noch eine derart tolle User-Experience bieten wie zum Beispiel Smartphones, dann ist das der entscheidende Schlüssel zum Erfolg. Das ist im Consumer-Bereich so. Das gilt aber auch für Infineon. Als Technologiezulieferer wollen wir die Bedürfnisse unserer Kunden so überzeugend und nutzerfreundlich wie nur irgendwie möglich erfüllen.

Die Bedürfnisse Ihrer Kunden heißen vielfach: automatisieren, digitalisieren, optimieren. Und am Ende steht der Abbau von Arbeitsplätzen.

Nein, das ist nur eine Facette! Infineon zum Beispiel ist heute bereits ein Unternehmen der Digitalisierung und wir haben so viele Jobs wie nie zuvor. Aber: so etwas passiert nicht von alleine. Wenn wir uns zurückgelehnt und gewartet hätten, was die Zukunft bringt, dann würde es uns heute nicht mehr geben. Der Standort Villach ist vor 45 Jahren als verlängerte Werkbank gegründet worden, heute sind wir einer der Innovationstreiber im Konzern und das forschungsstärkste Unternehmen Österreichs. Dass dieser Wandel passieren konnte, ist unserem bedingungslosen Bekenntnis zu Exzellenz und Qualifikation zu verdanken. Heute wandeln sich Berufe noch viel schneller als früher, deshalb sind Bildung und Weiterbildung so wichtig wie nie zuvor.

Und wer bei diesem permanenten Bildungswettlauf nicht mitkommt, hat Pech gehabt. Der gehört dann zur berühmten indus-triellen Reservearmee.

In Österreich ist es noch immer schick zu sagen: Ich habe Fünfer gehabt, ich war ganz schlecht in der Schule. Und dann wird Einstein zitiert, obwohl es in Wirklichkeit überhaupt nicht stimmt, dass er ein schlechter Schüler war. Oder achten Sie einmal darauf, wie zu Schulbeginn im Mainstream-Radio gesprochen wird. Da heißt es immer: Oh, wie schrecklich, die Schule fängt wieder an. Das ist für mich eine spezifisch österreichische, bildungsfeindliche Haltung.

Haben Sie eine Vermutung, warum das so ist?

Ich glaube, wir transportieren die Bedeutung von Bildung nicht stark genug. In vielen Ländern, beispielsweise in Asien, ist das vollkommen anders. Da ist ein ganz klarer Konsens darüber zu spüren, dass Bildung absolut wichtig ist und eine bessere Zukunft für jeden Einzelnen erschließt. Wenn wir in Österreich über Bildung diskutieren, dann geht es hingegen primär um Organisation: Sind 50-Minuten-Einheiten besser als eine Stunde? Soll die Schule früher oder später anfangen? Aber es geht fast nie darum, wie man Kinder fürs Lernen begeistern kann. Wenn es Computerspiele gibt wie World of Warcraft, die Kriegsthemen so aufbereiten, dass sich Millionen von Menschen intensiv damit beschäftigen, warum gibt es dann keine Spiele, die Wissensthemen so aufbereiten?

Weil Krieg archaisch ist, Wissenschaft nicht.

Ich glaube nicht, dass das der Grund ist. Sie kennen doch die "YPD-Challenge", diesen Wettbewerb von Hannes Jagerhofer, in dem sich junge Leute für ein tolles Ferialpraktikum bewerben können. Da haben in Österreich und Deutschland bisher weit mehr als 3000 Personen mitgemacht. Um dieses Praktikum zu bekommen, müssen wirklich fordernde Aufgaben bearbeitet und schwierige Fragen beantwortet werden. In der Schule wäre das eine "Prüfung", hier ist es eine "Challenge" - und viele junge Menschen lassen sich begeistert auf diesen Wettbewerb ein. Könnte es sein, dass Kinder an solchen Elementen im Bildungssystem Spaß hätten? Warum können wir hier nicht auch Vermittlungsformate einsetzen, die Freude und Begeisterung stärken?

Weil dann aus Bildung Wettkampf wird. Und weil Kritiker wie Konrad Paul Liessmann dann bemängeln würden, dass das gar keine Bildung im Humboldtschen Sinn mehr ist, sondern bloß eine zweckgerichtete, praxisbezogene Ausbildung.

Das ist eine spannende Frage. Gleichzeitig wissen wir aber auch, dass wir gerade dann besonders gut lernen, wenn wir etwas selbst tun. Wenn das, was wir lernen, einen Bezug zu unserem Leben hat. Besteht Liessmanns Erfolg nicht gerade darin, dass er Philosophie näher an die Lebensrealitäten der Menschen bringt und uns zum eigenen Tun, in dem Fall eben zum eigenen Denken anregt? Und er macht noch etwas, das für Bildung essenziell ist: Er erzählt wunderbar Geschichten, die relevant sind.

Welche relevante Geschichte erzählt denn Infineon?

Die Geschichte eines Unternehmens, das vor 45 Jahren als verlängerte Werkbank in keiner großurbanen Region gegründet wurde, und das es heute schafft, aus diesem regionalen Umfeld heraus mit Top-Technologie am globalen Markt Spitzenleistungen zu bringen. In jedem dritten Smartphone weltweit stecken Siliziummikrophone, die in Villach teilentwickelt wurden und hier produziert werden. Das ist doch nahezu eine Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Erfolgsgeschichte!

Schön. Aber was ist die Geschichte hinter der Geschichte? Wozu ist diese Tellerwäschergeschichte gut, außer Gewinne zu schreiben?

Nachhaltiges Wachstum durch Innovation möglich machen, das ist die "Geschichte". Unsere drei Schwerpunkte - Energieeffizienz, Mobilität, Sicherheit - sind Nachhaltigkeitsthemen, die jeden betreffen, Sie genauso wie mich. Mit diesen Schwerpunkten schreiben wir nicht nur Gewinne, sondern haben eine Mission und schaffen damit Jobs.

Weil Sie vorher von einer Tellerwäscher-Erfolgsgeschichte gesprochen haben. In der aktuellen Flüchtlingsdebatte gibt es zwei Extrempositionen. Die eine sagt: Das werden auch lauter Erfolgsstories. Die andere sagt: Das wird vor allem teuer. Wo würden Sie sich einordnen?

Weder da noch dort. Man kann ganz pragmatisch davon ausgehen, dass die Flüchtlinge nach Europa kommen und viele von ihnen hier bleiben werden. Angesichts der demographischen Entwicklung in Österreich kann das eine große Chance sein. Österreich hat schon immer von Zuwanderung profitiert. Die große Herausforderung dabei ist aber die Integration - und die geht am effektivsten über Jobs. Und die gibt es nur, wenn die Leute Qualifikationen erwerben können, wenn es für sie entsprechende Ausbildungsangebote gibt.

Aber das österreichische Bildungssystem versagt doch schon bei Einheimischen, die keine Sprachbarrieren und kulturellen Unterschiede bewältigen müssen.

Das ist keine leichte Aufgabe, aber sehen Sie eine Alternative? Ich halte es jedenfalls für falsch, die Leute monatelang warten zu lassen, bis ihr Asylstatus geklärt ist und sie erst dann in eine Ausbildung zu schicken. Da verlieren wir nur Zeit. Immerhin gibt es zum Beispiel die Möglichkeit, dass jugendliche Flüchtlinge, noch bevor ihr Asylverfahren abgeschlossen ist, eine Lehre beginnen können. Wir bei Infineon sind mit Partnern im Gespräch, um hier Angebote zu entwickeln.

Eine andere aktuelle Frage: der VW-Skandal. Ausgerechnet eines der seriösesten Unternehmen der Welt hat betrogen. Übersetzt bedeutet das: Wenn schon der solide deutsche Kaufmann lügt: Wem kann man dann überhaupt noch glauben?

Natürlich hat das eine besondere Tragweite, wenn ein Unternehmen wie VW ins Gerede kommt. Andererseits kann man schon auch fragen: Sind die Auflagen inzwischen so streng, dass man sogar bei VW geglaubt hat, sie nur so erreichen zu können?

Das war jetzt eine Standardantwort. Wenn Unternehmen Auflagen nicht erfüllen, beschweren sie sich gerne, dass die Auflagen überzogen sind. Ich kann ja Schnellfahren auch nicht damit rechtfertigen, dass ich die Geschwindigkeitsbeschränkungen für überzogen halte.

Da haben Sie Recht, und ich will hier auch gar nichts rechtfertigen. Es macht aber schon nachdenklich, wenn ein Unternehmen wie VW, das hier offensichtlich viel investiert hat, solche Schritte setzt. Diese Manipulationen müssen einen massiven technischen Aufwand bedeutet haben, das waren keine einfachen "Taschenspielertricks". Und jetzt hat VW mit der Aufarbeitung ein Riesenproblem, wobei der Imageschaden wahrscheinlich deutlich größer ist als der materielle Schaden.

Sabine Herlitschka, geboren 1966, ist seit April 2014 Vorstandsvorsitzende von Infineon Technologies Austria. Seit 2011 gehört sie dem Vorstand des Unternehmens an, das weltweit zu den Technologieführern im Bereich von Halbleitern und Systemlösungen zählt. Mit rund 3100 Beschäftigten in Österreich ist Infineon eines der forschungsstärksten österreichischen Unternehmen und einer der ganz wenigen österreichischen Global Player, die von einer Frau geführt werden. Vor ihrem Engagement bei Infineon war Herlitschka unter anderem Vizerektorin der Meduni Graz und auch als Rektorin der TU Graz im Gespräch. Herlitschka, die ursprünglich aus der Forschung kommt, setzt sich sehr stark für den Transfer von akademischem Wissen in die Wirtschaft ein. Sie gehört auch zahlreichen Universitätsgremien an, unter anderem ist sie stellvertretende Vorsitzende des Universitätsrats der TU Wien.<p align="left">

Piotr Dobrowolski, geb. 1965, war u.a. Chefredakteur des Nachrichtenmagazins "Frontal" und ist nun als freier Journalist tätig

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