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"Wir wollen ein gutes Leben"

Von Saskia Blatakes

Reflexionen

"Wiener Zeitung": Frau Mollay, wie funktioniert die "Mutmacherei"?

Ira Mollay: Die Grundidee ist, die Aufmerksamkeit auf Positives zu lenken. Wir holen jetzt seit fünf Jahren Projekte und Initiativen vor den Vorhang, die sich für einen Wandel einsetzen, sei es so-zial, ökologisch oder wirtschaftlich.

Also eine PR-Agentur für Nachhaltigkeit?

Nein! Der Ansatz ist ein ganz anderer. Meiner Einschätzung nach wollen diese Menschen, die solche Projekte betreiben, eine bessere Zukunft für uns alle gestalten. Und das macht mich persönlich dankbar und es macht mir Mut. Ich hab’ irgendwann begonnen, in meinen Vorträgen einzelne Projekte vorzustellen, und da hörte ich sehr oft von den Zuhörern: "Das hat mir jetzt Mut gemacht." Daher der Name. Dieses "Mut machende" will ich einfach weitergeben.

Was haben die Projekte davon?

Sie sind vielen Hindernissen und Kritik ausgesetzt. Die Betreiber müssen sich für staatliche Förderungen bewerben, sich um Investoren bemühen und dauernd erklären, was das Tolle an ihrer Idee ist und warum sie quasi besser sind, als alle anderen. Sie kriegen immer wieder Gegenwind, weil ihnen Leute, die selber vielleicht nichts tun, erklären, warum gerade ihre Idee nichts werden kann und was daran alles falsch ist. Ich fand das eigentlich nicht in Ordnung, dass engagierte Menschen sich dauernd derart beweisen und angreifen lassen müssen. Sie brauchen Rückenwind. Es ist wichtig, dass jemand auf sie zukommt und sagt: "Wir finden super, was ihr macht und wir unterstützen euch, so gut wir können." Der einzige Zusammenhang mit einer PR-Agentur ist, dass wir auch berichten und Öffentlichkeit schaffen. Aber PR handelt im Auftrag - und das tun wir nicht, sondern wir suchen uns die Projekte selber aus.

Was muss eine Idee haben, um von Ihnen "Rückenwind" zu bekommen?

Sie sollte möglichst viel an Paradigmenwechsel schaffen und möglichst alle drei Säulen der Nachhaltigkeit abdecken. Wenn etwas produziert wird, sollte auf die Umwelt geachtet werden und auf die Mitarbeiter. Viele lassen sich da sehr viel einfallen. Bei der "Mutmacherei" sind viele soziale Betriebe dabei, aber nicht nur. Es geht einfach um Visionen und Engagement.

In Deutschland gibt es mit Harald Welzers Stiftung "Futurzwei" ein ähnliches Modell. Wer hat hier wen inspiriert?

(Lacht.) Ich habe erst lange nach der Gründung der "Mutmacherei" von Futurzwei erfahren. Als ich Harald Welzer bei einer Veranstaltung traf, war ich fasziniert, denn wir haben genau den gleichen Ansatz, die gleiche Grundidee. Wer zuerst da war, weiß ich nicht. Die Mutmacherei gibt es jedenfalls seit fünf Jahren. Was ich schön finde, ist, dass im Laufe der Zeit immer mehr Menschen auf ähnliche Ideen kommen, weil eine starke Sehnsucht nach Positivität herrscht.

Warum ist das so?

Ich glaube, dass die Menschen mittlerweile erkennen, dass ihnen Negativität nicht gut tut. Nachdem wir jetzt jahrelang auf die Projekte geschaut haben, beschäftige ich mich zurzeit intensiv mit der Frage, warum wir überhaupt Positivbeispiele brauchen. Was machen die mit unserer Psyche, mit unserem Gehirn? Als Coach habe ich deshalb auch ein Trainingsprogramm entwickelt, "Brain 4.0". Man geht davon aus, dass es im Gehirn so etwas wie ein veraltetes Betriebssystem gibt, das eine Tendenz zum Negativen hat. Angst und Vorbehalte dienen dazu, uns vor Bedrohungen zu beschützen. Aber eben auch vor Veränderungen. Die Folge ist, dass Negatives vor unserem geistigen Auge stark "aufgeblasen" wird. Alles, was nur im Entferntesten fremd erscheint, meiden wir.

Gilt das für alle Menschen?

Als Schutzmechanismus ist das in jedem von uns angelegt. Die Frage ist, wie geht man damit um. Wenn man sich viel mit negativen Gedanken beschäftigt, kann das schnell eine Negativspirale auslösen, aus der man nur schwer herauskommt. Viele Menschen haben das für sich schon herausgefunden, dass es das eigene Leben leichter macht, wenn man mehr auf das Positive schaut. Neuropsychologie und Hirnforschung zeigen immer deutlicher, dass wir unser Gehirn selbst zum Guten verändern können. Das Gehirn formt sich danach, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten. Wenn man ständig negative Schlagzeilen liest, dann nimmt man in der Folge auch viel mehr Negatives wahr. Man glaubt, die Welt sei ein fürchterlicher, schrecklicher Ort und es ginge ohnehin alles den Bach hinunter.

Gerade das reiche Österreich ist als Hort der Grantler und Suderer verschrien. Sie haben also noch Hoffnung?

(Lacht.) Ja! Wir haben zwar diesen Ruf - und an dem ist schon viel dran. Aber das ist per se nichts Schlechtes. Wenn man darüber redet, was nicht passt, kann das ja auch ein Motor sein, etwas zu ändern. Schwierig wird, wenn man sich aufs Jammern konzen-triert und nichts tut. Erstens verbreitet es schlechte Stimmung, und zweitens tut es einem selbst nicht gut. Es macht krank und führt zu einer Lähmung und einer gelernten Hilflosigkeit. Das ist übrigens ein gutes Beispiel für positives Denken: Diesen grantigen Bevölkerungsteil gibt es, aber eben auch ganz viel Engagement.

Die "Mutmacherei" bietet jetzt im Sommer auch eine "Mut in the City"-Tour durch Wien an. Wie läuft die ab?

Die Tour dauert ungefähr drei Stunden und wir besuchen Projekte und Initiativen. Das Wichtige ist der persönliche Kontakt mit den Betreibern. Wir machen keine Sightseeing-Tour, sondern wir wollen zeigen, was die Menschen bewegt hat, aktiv zu werden und wie sie mit den täglichen Herausforderungen und Problemen umgehen. Mir geht es auch darum, Bilder in den Köpfen aufzulösen. Viele glauben ja, das seien alles weltfremde Öko-Spinner. Andere glauben, das schaffen nur topmotivierte Tausendsassas. Wenn man dann sieht, dass es ganz normale Menschen sind, die sich für etwas einsetzen, dann macht das Mut. Wir wurden dafür übrigens von der österreichischen UNESCO-Kommission als vorbildliches Dekadenprojekt für nachhaltige Bildung ausgezeichnet.

Gehen Sie selbst anders durch die Welt, seitdem sie die "Mutmacherei" betreiben?

Ja. Ich glaube, man kann viel mehr Menschen "abholen". Diejenigen, die sich wirklich durch nichts in der Welt von ihrem Grant abbringen lassen wollen, sind wirklich in der Minderzahl. Es gibt so vieles, das uns verbindet. Wir wollen ein gutes Leben. Wir wollen, dass es uns und anderen gutgeht.

Sie kommen ursprünglich beruflich aus dem Bankwesen. Wie passt das zusammen?

Die Bank war die erste Station in meiner Karriere, die ich eher als Verirrung bezeichnen würde. (Lacht.) Ich habe dadurch sehr früh gelernt, was es für Folgen hat, wenn man eine Arbeit macht, die einen nicht freut und von der man nicht überzeugt ist. Ich bin morgens beim Frühstück gesessen und habe geweint, weil ich da nicht wieder hinwollte. Fünf Jahre habe ich dann trotzdem durchgehalten.

Gab es ein "Erweckungserlebnis"?

Eher eine Reihe von Erfahrungen und das Gefühl, dort völlig fremd zu sein. Das, was ich als gute, zwischenmenschliche Qualitäten kannte, habe ich in der Bank sehr vermisst. Bis auf eine Kollegin, die aber dort auch als Außenseiterin galt. Ich habe Werte vermisst. Ich habe dann die Bank gewechselt und wollte mir Wissen aneignen, um selbst eine Öko-Bank zu gründen. Das hat sich dann aber als viele Nummern zu groß für mich allein herausgestellt. Aber das Bedürfnis, etwas Sinnstiftendes zu machen, war damals schon sehr groß geworden. Umso mehr freue ich mich, dass es inzwischen eine Bank für Gemeinwohl in Österreich gibt.

Sie waren auch zwei Jahre lang Geschäftsführerin von Greenpeace Österreich.

Der Umweltschutz lag mir einfach am meisten am Herzen. Nach der Bank habe ich deshalb eine Ausbildung in diesem Bereich gemacht.

Wieso haben Sie bei Greenpeace aufgehört?

Das war eine der aufregendsten und fordernden Zeiten meines Lebens - und sicher einer der tollsten Jobs überhaupt. Aber auch bei Greenpeace gab es dieses Spannungsfeld zwischen Negativität und dem positiven Willen zur Veränderung. Als ich dort begonnen habe, dachte ich, dass es nur so vor Menschen wimmelt, die etwas weiterbringen wollen. Ich habe gemerkt, wie schwer es war, im Haus selbst etwas zu verändern. Das hat mich sehr beschäftigt. Ich wollte lernen, wie man Menschen dabei helfen kann, die Angst vor dem Wandel, den Widerstand gegen Veränderung zu überwinden. Ich wollte einzelne Menschen gerne bei ihrem Veränderungsprozess begleiten. Das Vier-Augen-Gespräch liegt mir einfach mehr. Deshalb habe ich dann eine Coaching-Ausbildung gemacht.

Welches Projekt der Mutmacherei hat Sie in letzter Zeit am meisten begeistert?

Das ist natürlich schwer zu sagen. Aber wirklich augenöffnend war die "Open Source Ecology" aus Missouri. Der Betreiber hatte die Idee, ein Dorf von der Pike auf neu aufzubauen, und zwar mit den Materialien, die es vor Ort gibt. Er hat angefangen, Traktoren aus Resten und Teilen aus dem örtlichen Baumarkt herzustellen, und er hat auch eine Ziegelpresse entwickelt und den dortigen Boden genutzt, um Ziegel herzustellen. Die Erkenntnisse teilt er dann im "Open-Source"-Prinzip, also kostenlos mit Menschen aus der ganzen Welt. Es geht also nicht um Patente, sondern darum, andere zu inspirieren. Es geht auch darum, Dinge wieder zu erlernen, die wie verlernt haben und abgegeben haben an große Konzerne.

Dieser Erfindergeist ist für viele Menschen in ärmeren Ländern überlebensnotwendig. Hat das Nachdenken über Nachhaltigkeit auch mit Luxus zu tun?

Eine gute Frage. Für viele sind solche Ideen nicht unbedingt innovativ. Ich denke an ein Projekt in Guatemala, das sich darauf spezialisiert hat, alte Fahrräder zu Haushaltsgeräten umzubauen. Aber was neu ist, ist die internationale Vernetzung - und dass mit innovativer Technologie gearbeitet wird. Es geht um ein Vereinen von Altem und Neuem. Und darum, das Alte neu zu entdecken. Es geht immer um die Frage: Wie kann es ressourcenschonender und intelligenter funktionieren? Und nicht darum, wie ein Konzern möglichst viel Geld damit verdient.

Sind Sie eigentlich immer so optimistisch und gut gelaunt?

Ich hab wie jeder andere Mensch auch schlechte Tage. Aber meistens schon. Ich frage mich oft, wofür ich dankbar bin. Gerade an Tagen, an denen es nicht so gut läuft. Im Grunde ist es wunderbar, leben zu dürfen und ein Dach über dem Kopf zu haben. Wenn etwas nicht funktioniert, sind wir schnell gestresst. Aber wenn etwas funktioniert, merken wir es meistens nicht einmal. Ich bin glücklich, das zu machen, was mir wichtig ist. Das Beschäftigen mit den positiven Ideen Anderer tut allen gut. Nachdem ich die normalen Nachrichten gelesen habe, schaue ich mir oft noch einmal die Mut machenden Projekte an, um dieses Gefühl von Schwere und Hoffnungslosigkeit wieder loszuwerden.