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"Frauen sollen ihre Kraft zeigen"

Von Veronika Reininger

Reflexionen
Die Künstlerin Aiko Kazuko Kurosaki während einer Performance auf dem Wiener Yppenplatz.
© Bettina Frenzel

Die Choreografin und Tänzerin Aiko Kazuko Kurosaki verbindet in ihren vielfältigen Projekten Kunst mit feministischer Politik.


"Eins, zwei, Cha-Cha-Cha, eins, zwei, . . .", ertönt es im Raum, wo eine Gruppe von Frauen die Choreografie einer musikalischen Tanzaufführung als Kunstwerk für den "One-Billion-Rising"-Aktionstag in Wien probt. Aiko, die künstlerische Leiterin von One-Billion-Rising, motiviert dynamisch engagiert zum Mittanzen. Sie geht zum Laptop, um das dazugehörige Lied abzuspielen.

"Bereits als kleines Kind habe ich bei jeder Gelegenheit getanzt", erinnert sich die Künstlerin Aiko Kazuko Kurosaki und erklärt: "Tanzen bedeutet für mich Freude, mehr noch: Ich fühle mich mit meinem Körper eins. Wenn ich tanze, fühle ich, wie Körper, Geist und Seele harmonisch ineinander fließen. Die Tanzende begibt sich über die Bewusstmachung ihres Körpers auf die Suche nach ihrem eigenen Wesen und somit zu ihrem eigenen inneren Tanz".

Die Begeisterung fürs Tanzen spiegelt sich in ihren freundlichen braunen Augen. Wenn sie längere Zeit nicht tanzt, fühlt sie sich im eigenen Körper fremd. "Als sensibler Mensch nehme ich beim Tanzen die umliegenden Stimmungen auf und verarbeite diese in meinem Tanz", erklärt Aiko. Tanzen sei mehr als nur die Form und die Schritte, Tanzen bedeute, so Aiko, erweiterte Bewegung, es beschreibe ein sogenanntes Rauchgespinst, das sich in Spiralen bewege, sagt sie. Es symbolisiere für die Tänzerin, in Bewegung zu sein und zu bleiben.

Von Japan nach Wien

Die 1961 in Japan geborene Künstlerin lebt seit ihrem sechsten Lebensjahr in Wien, weil ihr Vater aus beruflichen Gründen mit seiner Familie nach Österreich gezogen ist. Ihr Vater spielte als Geiger in einem Orchester in Österreich. Während Aikos Bruder, Hiro Kurosaki, Violinist geworden ist wie sein Vater, geht Aiko als Tänzerin und Choreografin ihren eigenen künstlerischen Weg. Ihr Vater war darüber anfänglich nicht erfreut, unterstützte sie dann aber doch finanziell.

Bereits mit siebzehn Jahren verdient sie ihr eigenes Geld mit privatem Klavierunterricht. Nach ihrer Matura studiert die Künstlerin Tanz und Musik in Chicago und in Wien. Sie spezialisiert sich zunächst auf Jazzdance, eine in den USA entstandene Form des Kunsttanzes mit Elementen aus afrikanischen und westlichen Bewegungsmustern als Grundlage. Mit Stipendien absolviert die Künstlerin ihre Tanzfortbildungen in Wien, Salzburg und Chicago.

Als künstlerische Leiterin und Choreografin gestaltet und inszeniert sie Tanzperformances in Wien sowie in Tokio, Paris, Berlin und Bordeaux und unterrichtet künstlerischen Tanz. "Ich unterrichte sehr gerne - es liegt mir im Blut", sagt die 55-jährige Choreografin und Mutter von vier Kindern. Aiko lebt ihre japanische Kultur, forscht in Chicago nach ihren japanischen Wurzeln und befasst sich mit Zen und Butoh, einem 1959 in Japan entstandenen zeitgenössischen Tanzstil. Außerhalb der Familie erlebt sie die österreichische Kultur. Sie will zwischen den westlichen und östlichen Kulturen mit japanischen Methoden sinnbildlich Brücken bauen. Auch ihre Bilder und ihre Gefühle werden durch ihren körperlichen Zustand ausgedrückt und pantomimisch dargestellt.

Für Aiko bedeutet das Tanzen als Kunst heute mehr als nur gewöhnlicher Tanzunterricht. Sie ist auch eine politisch engagierte Künstlerin, die verschiedene Tanzaufführungen im öffentlichen Raum mit umwelt- und sozialkritischen Themen verbindet.

Aktivismus

So gilt die Antiatomkraftpolitik als Herzensanliegen der gebürtigen Japanerin. Schließlich haben Japaner und Japanerinnen die schrecklichen Katastrophen durch die Atomkraft in Hiroshima, Nagasaki und Fukushima erleben müssen. Zum Gedenken an Hiroshima und Nagasaki, sowie ein Jahr nach der Fukushima-Katastrophe verbindet die Künstlerin 2012 politischen Aktionismus mit Kunst: In der UNO-City Wien wird statt einer Tanzperformance ein Flashmob durchgeführt. Das bedeutet eine kurze spontane öffentliche Aktion einer größeren Menschenmenge, die sich anonym, per moderner Telekommunikation trifft.

Die Flashmob-Aktivistinnen und Aktivisten werfen sich auf den Boden und erhalten von Aiko einen Kranich, der nach den Regeln der japanischen Papierfaltkunst Origami entsteht. Die Zuseherinnen und Zuseher helfen den Liegenden vom Boden auf und bekommen als Dankeschön den Kranich überreicht. Beim Öffnen des Kranichs lesen sie die Botschaft: "gegen Atomkraft in Japan".

Das große Projekt

"Aiko ist eine beeindruckende Frau", sagt Maria Rösslhumer, die Geschäftsführerin der Autonomen Österreichischen Frauenhäuser, "Sie ist künstlerisch kreativ und hat stets einen politischen Ansatz in ihren Performances. Sie ist verlässlich und fasziniert mich."

Mit dem Projekt One-Billion-Rising verbindet Aiko auch Kunst und Politik: Seit 2013 gestaltet die Choreografin am vierzehnten Februar, zum Valentinstag, am Tag der Liebenden, eine Jazzdance-Vorführung vor dem Parlament in Wien. "Frauen sollen ihre Kraft zeigen", meint sie. "Es geht um ein Ende der Gewalt an Frauen und Mädchen. Die Frauen drücken mit dem Tanz ihre Solidarität mit traumatisierten Frauen und Mädchen aus. Der Tanz eint die Frauen."

Organisationen wie Amnesty International und Tanzquartier Wien sowie politische Organisationen aus den sozialdemokratischen und grünen Parteireihen in Österreich kooperieren mit diesem internationalen Tanzprojekt, bei dem alle eingeladen sind, öffentlich mitzutanzen. Aiko hat es geschafft, von der Welt der Künstler und Künstlerinnen anerkannt zu werden. Während in den ersten zwei Jahren das Projekt ausschließlich ehrenamtlich organisiert und durchgeführt wurde, konnte es im dritten Jahr, 2015, mit kleinen finanziellen Aufwandsentschädigungen durch Spenden unterstützt werden.

Die Choreografin möchte die Arbeit der Künstlerinnen und Künstler auch finanziell mehr wertschätzen. Deshalb gründet sie 2015 gemeinsam mit Maria Rösslhumer den Verein One-Billion-Rising-Austria. Der Arbeitsmethode der temperamentvollen, aktiven, lebensfrohen Künstlerin steht eine Mitkämpferin mit klaren Strukturen und gutem Organisationstalent gegenüber. Trotz unterschiedlicher Arbeitsweisen der beiden Frauen siegt das Interesse für das gemeinsame politische Ziel: gegen Gewalt an Frauen und Mädchen zu tanzen. Daraus entwickelt sich eine gute Zusammenarbeit zwischen Kunst und Politik.

Zur Ermutigung

Nachdem der Jahresschwerpunkt für 2016 "Frauen auf der Flucht. Weibliche Asylwerberinnen vor Gewalt schützen" lautete, steht zum fünfjährigen Jubiläum im Jahr 2017 das Projekt unter dem Motto: "Superheld*innen tanzen gegen Gewalt an Frauen und Mädchen", weil besonders Mädchen und junge Frauen angesprochen, gestärkt und ermutigt werden sollen. "Superheld*innen" sind alle Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die sich für ein friedliches und respektvolles Miteinander einsetzen.

Der organisatorische Aufwand für dieses Tanzprojekt ist groß, der Anteil an finanzieller Unterstützung noch gering, da das Budget für gutbezahlte Arbeitsaufträge an Künstlerinnen nicht ausreicht. One-Billion-Rising-Austria wird 2016 dennoch erstmals finanziell gefördert vom österreichischen Frauenministerium, dem Wiener Frauenstadtbüro und vom Zukunftsfonds der Republik Österreich, der Projekte mit politischer Relevanz unterstützt.

"One-Billion-Rising macht es möglich, dass Tanz als ein politisches Statement gesehen wird, dass Frauen für sich tanzen, dass das Tanzen im öffentlichen Raum möglich ist, dass die Tänzerinnen als Künstlerinnen akzeptiert werden", betont Aiko Kazuko Kurosaki. "Wir erreichen alleine nicht so viel - man muss Gesellschaften und Kulturen auch verstehen. Wenn die Leute mehr reisen und eine Weile in anderen Kulturen leben würden, gäbe es weniger Kriege und Grenzen".