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Das Eigenleben der Bilder

Von Nikolaus Halmer

Reflexionen

Den vielseitigen Kunsthistoriker Horst Bredekamp beschäftigen vor allem die komplexen Beziehungen zwischen Kunstgeschichte und Philosophie. Am 29. April wird er 70 Jahre alt.


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"Ich habe, so lange ich zurückdenken kann, mich mit Bildern beschäftigt, mit Bildern, die einen prägenden Faktor in der Politik, in der Wissenschaft, im Sport darstellen". Mit diesem Satz eröffnete der Kunsthistoriker Horst Bredekamp ein ausführliches Gespräch in seiner Wohnung in Berlin, in dem er über einige Aspekte der umfangreichen wissenschaftlichen Tätigkeit sprach.<p>Das Spektrum reicht von den Bilderkämpfen in der Neuzeit über die Kunstkammern bis zur Rolle des Visuellen in den elektronischen Medien. Neben Publikationen über Botticelli und Michelangelo verfasste Bredekamp Studien über den Fußball in der Renaissance, über die Gartenkunst oder das Denkmodell des Cyberspace. Besonders beschäftigen Bredekamp die komplexen Beziehungen zwischen Kunstgeschichte und Philosophie. In seinen dichten Abhandlungen zu Philosophen wie Thomas Hobbes, Galileo Galilei und Gottfried Wilhelm Leibniz verweist er auf die Bedeutung des Visuellen im Werk dieser Denker. Kunst und Philosophie stehen einander nicht feindlich gegenüber, wie es ein beliebtes Klischee behauptet, sondern bilden ein Patchwork, in dem verschiedene Motive miteinander verbunden sind, die es zu dechif-frieren gilt.<p>

Beginn bei der Marine

<p>Geboren wurde Horst Bredekamp am 29. April 1947 in Kiel. Die Lage der Stadt am Meer habe ihn entscheidend geprägt - und dazu bewogen, in den frühen 60er Jahren zur Marine zu gehen, sagt er. Nach dem Ende der Tätigkeit in der Marine, die ihn bis Afrika führte, studierte er Kunstgeschichte und Philosophie in Kiel, München, Berlin und Marburg, wo er auch promovierte. Danach folgte ein Zwischenaufenthalt im Liebig-Haus - einem Museum für Skulpturen in Frankfurt am Main, das er wegen eines Angebots als Assistent in Hamburg verließ.<p>1993 erhielt Bredekamp einen Ruf an die Humboldt-Universität in Berlin, arbeitete an renommierten Universitäten und wissenschaftlichen Institutionen wie dem Institute for Advanced Study in Princeton und dem Getty Center in Los Angeles.<p>Der Beginn seiner wissenschaftlichen Karriere fiel in die Zeit der legendären 68er Bewegung, die sich gegen die intellektuelle Dürftigkeit der Nachkriegsära in der Bundesrepublik Deutschland richtete. Sie war eine Folge des Exodus von Wissenschaftern, die 1933 Deutschland wegen der Herrschaft des nationalsozialistischen Regimes verließen. Zu diesen Emigranten zählten Gertrud Bing und Fritz Saxl, die in der Nachfolge des Kunsthistorikers Aby Warburg eine damals revolutionäre Bildtheorie entwickelten, in der das Bild als allgemeines Medienereignis thematisiert wurde.<p>Warburg, der von 1866 bis 1933 lebte, gilt als der Begründer der Ikonologie - der Wissenschaft vom Sinn- und Symbolgehalt von Kunstwerken und Bildern. Er erweiterte den zu eng gefassten Rationalitätsbegriff des kunsthistorischen Kanons und plädierte für eine radikale Öffnung der Kunstgeschichte: Neben den Meisterwerken der Epochen sollten auch Münzen, Wappen, Briefmarken, Flugschriften oder Zeitungsfotos gleichberechtigte Gegenstände der wissenschaftlichen Forschungen werden.<p>Für Bredekamp war Warburgs erweiterte Bildtheorie die Initialzündung für seine eigenen kunsthistorischen Analysen, die er folgendermaßen beschreibt: "Die Ikonologie versucht eine Sinndeutung durch eine Dreistufung: erstens Sinn, der sich formal darstellt; zweitens die Umkreisung in einer kulturgeschichtlichen Einbettung, und dann die Rückkehr zur Spezifik des Einzelwerkes. Das ist eine methodische Bereicherung des Werkes, eine Kontrolle vor Willkür und der Versuch, das Bild insgesamt und die Kunst aus ihrer olympischen Isolierung zu lösen und mitten in das Leben hineinzustellen".<p>In seinem Buch "Theorie des Bildakts" entfaltete Bredekamp eine umfassende Darstellung der ikonologischen Methode. Sie bezieht sich auf unterschiedliche Bilder, die auf Plakatwänden, auf Bildschirmen oder Leinwänden, in Zeitschriften oder in Museen zu finden sind. Bredekamp betont die Eigenleistung von Artefakten, die etwa in der "Venus von Willendorf," in Hans Memlings "Weltgericht" oder in Jackson Pollocks "Action painting" erfolgt.<p>"Das Bild lebt", sagt Bredekamp, "es ist Leinwand, Farbe; es lebt nicht im organischen Sinn, aber als Form hat es ein Pseudoleben, von denen eigene Prägungen und Aktionen ausgehen." Die Kunstwerke irritieren die Betrachter und stellen die weit verbreitete Vorstellung, dass wir die Welt so sehen, wie sie ist, radikal in Frage. Bilder eröffnen laut Bredekamp vielmehr eine Welt, die vorher unbekannt war. Dieses Potenzial an Eigenenergie ist für den Bildakt bezeichnend, in den der Betrachter unwillkürlich hineingezogen wird und der ihn manchmal überwältigt. Das geht sogar so weit, dass den Bildern magische oder mystische Eigenschaften zugesprochen wurden. So sprach etwa der französische Philosoph Maurice Merleau-Ponty von dem "Rätsel des Sehens und der Sichtbarkeit" und von der "talismanischen Kraft der Farbe".<p>

Primat der Reflexion

<p>Mit Merlau-Ponty teilt Bredekamp die Kritik an der Abwertung der Sinnlichkeit und der Bilderwelt, die in der philosophischen Tradi- tion vorherrscht. Schon Platon verurteilte im Höhlengleichnis diejenigen, die sich an einer künstlich erzeugten Bilderwelt erfreuen, die ihnen vorgaukelt, die Realität zu repräsentieren. Die Betrachter sind von dieser Inszenierung, die einem Medienspektakel gleicht, so fasziniert, dass sie sich darin versenken und vergessen, dass noch eine wahre Welt des Seins außerhalb der Höhle existiert.<p>In dieser Welt regiert das reine, begriffliche Denken, in dem Bilder keinen Platz einnehmen. "Hat man sich einmal in der Reflexion eingenistet", so schrieb Merleau-Ponty in seinem Buch "Das Sichtbare und das Unsichtbare", "so wird diese zu einer unüberwindlichen philosophischen Position und alles, was sich gegen sie sträubt, wird als ein simpler Zustand des Nicht-Denkens behandelt."<p>Die Nobilitierung der Bilder bedeutet jedoch keineswegs, dass Bredekamp die Bilderflut speziell der elektronischen Medien gutheißt, die die menschliche Wahrnehmung in einem bisher nicht bekannten Ausmaß überwältigt.<p>Den Begriff der "Bilderflut" halte er allerdings für nicht angemessen, argumentiert Bredekamp, "weil er ein Strömen suggeriere, gegen das sich ein Betrachter nicht wehren könne". Als Konsequenz empfiehlt er eine allgemeine Bilderschulung, die analytisch Kategorien erstellt, die eine Distanz zur Bilderflut schaffen. In das Zen-trum seiner Interpretationen rückt Bredekamp das Einzelbild, das maßgeblich die Lebenswelt von Individuen beeinflusst.<p>Wie stark die Macht einzelner Bilder sein kann, zeigt Bredekamp in seinem Buch "Der schwimmende Souverän. Karl der Große und die Bildpolitik des Körpers" im Bereich des Politischen. Er wählt dabei das Bild des Schwimmers und demonstriert am Beispiel des chinesischen Führers Mao-Tse-Tung den Zusammenhang von Bildwirkung und politischer Propaganda. In einer eindrucksvollen Analyse schildert Bredekamp, wie sich Mao als Schwimmer darstellt und mehrere Flüsse, darunter den Yang-tse, durchschwommen hat. Er verstand es, diese sportlichen Leistungen mit medialem Aufwand zu inszenieren, um zu zeigen, dass seine Körperkraft mit dem politischen Führungsstil korrespondiert.<p>Neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit versteht sich Bredekamp als Stratege im tagespolitischen Kulturkampf. Wenn es etwa um die Rekonstruktion des Stadtschlosses in Berlin oder die Zerstörung von Kulturstätten im syrischen Palmyra geht, greift er auch in den tagespolitischen Kulturkampf ein.<p>Das brutale Vorgehen des sogenannten "Islamischen Staates" hat Bredekamp zutiefst betroffen gemacht. "Dieser barbarische Akt, so formulierte er es in seiner Publikation "Palmyra", setze "eine Tradi- tion des Bildersturms - des Ikonoklasmus - fort, die von den Hussiten- oder den Hugenottenkriegen bis zur nahen Vergangenheit reiche". In der Zerstörung Palmyras ortet Bredekamp allerdings eine neuartige Dimension des Bildersturms, der sich von anderen historischen Ausprägungen wesentlich unterscheidet. Hier ging es nicht mehr um die Zerstörung von Kunstwerken, sondern Menschen wurden ermordet, um propagandistische Bilder zu erzeugen.<p>Um diesem Furor der Zerstörungswut etwas Konstruktives entgegenzustellen, plädiert Bredekamp dafür, Palmyra detailgetreu wieder aufzubauen. Angesichts der barbarischen Zerstörungswut der fanatischen Islamisten, meint Bredekamp, "sei es ein Zeichen des Widerstands, die Vernichtung der Kunstwerke wieder rückgängig zu machen, nicht um ein Fake, eine Fassade aufzubauen von etwas, was man nicht wiederbeleben kann, sondern um den kriegstechnischen Sinn der Zerstörung einen Gegensinn des Wiederaufbaus entgegenzustellen".<p>

Galilei-Fälschung

<p>Mit Fakes im Sinne von Fälschungen machte Bredekamp schlechte Erfahrungen. 2007 publizierte er die Studie "Galilei der Künstler. Der Mond, die Sonne, die Hand". Darin bezog er sich auch auf ein Exemplar von Galileis "Sidereus Nuncius" / "Sternenbote", das in einem amerikanischen Antiqua-riat aufgetaucht war und angebliche Tuschezeichnungen des Naturwissenschafters enthielt. Diese Zeichnungen dienten Bredekamp als Beweis für seine These, dass Galilei nicht nur ein innovativer Wissenschafter, sondern auch ein bedeutender Künstler war.<p>Nach eingehender Prüfung, an der verschiedene Spezialisten beteiligt waren, wurde das Exemplar mit den Zeichnungen für echt befunden. Bredekamps Studie wurde sowohl von der Fachwelt als auch von Kulturjournalisten enthusiastisch gefeiert.<p>Die Ernüchterung ließ nicht lange auf sich warten; das antiquarische Exemplar, das Bredekamps These stützte, wurde als brillante Fälschung entlarvt; als "Meisterwerk", wie der düpierte Kunsthistoriker selbst zugeben musste. "Ich bin einem Fälscher aufgesessen, doch keineswegs aus Leichtgläubigkeit", bekannte Bredekamp.<p>Er überarbeitete daraufhin seine Studie und publizierte sie in einer neuen Fassung mit dem Titel "Galileis denkende Hand" - "bereinigt um eine fehlerhafte Zuschreibung". "Hier trotz aller Bemühungen in einem Fall versagt zu haben", schrieb Bredekamp, "ist mir ein Stachel. Allgemein gesprochen, sollte er ein Ansporn sein, die Anstrengungen auf eine neue Ebene zu heben." Es ist dies ein Versprechen, das auf weitere spannende Studien Bredekamps zur Kunstgeschichte hoffen lässt.

Bücher von Horst Bredekamp (Auswahl):
Theorie des Bildakts. Frankfurter Adorno-Vorlesungen 2007, Suhrkamp Verlag 2010, 715 S., Euro 41,10

Der schwimmende Souverän. Karl der Große und die Bildpolitik des Körpers, Wagenbach Verlag, Berlin 2016, 173 S.,

Das Beispiel Palmyra, Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2016, 39 Seiten, Euro

Nikolaus Halmer, geboren 1958, ist Mitarbeiter der Wissenschaftsredaktion des ORF; Schwerpunkte: Philosophie, Kulturwissenschaften.