"Wiener Zeitung": Frau Burtscher, wir machen jetzt etwas sehr Unhöfliches: Bevor wir einander näher kennenlernen, werfen wir einen Blick in Ihre Geldtasche. Sie erhalten derzeit eine Pension von Euro 447 netto. Wie kommen Sie damit aus?

Gertraud Burtscher: Ich komme nur deshalb aus, weil ich in meinem Alter noch arbeiten gehe. Nach meinem Studium, das ich im Alter von 60 Jahren begann und mit 63 Jahren abschloss, bekam ich zum Glück eine Arbeitsstelle als Bilanzbuchhalterin bei einem Steuerberater. Bis vor kurzem übte ich diese in Vollzeit aus, inzwischen habe ich auf eine 32-Stunden Woche reduziert.

Sie scheinen eine sehr dynamische Frau zu sein.

Ich war immer gern Mutter - und ich arbeite noch immer gern. Aber ich könnte mir gut vorstellen, die Pension ohne Erwerbsarbeit zu genießen, ich habe schöne Hobbys wie zum Beispiel Wanderreisen. Das kann ich mir aber mit der Mindestpension nicht leisten, da wären schon Ausflüge mit einem Pensionistenverein zu teuer. Bei der Arbeit bringe ich meine Leistung, die Kunden sind zufrieden, der Berufsalltag macht mir dennoch zu schaffen. Vermutlich wirke ich stärker, als ich bin. In Stresszeiten muss ich aufpassen, dass ich nicht kollabiere.

Dennoch wollen Sie weiterarbeiten?

Ich werde so lange arbeiten gehen, wie ich kann. Es bleibt mir gar nichts anderes übrig. Da ich keinen Unterhalt bekomme, würde ich sonst auf die Mindestpen-sion zurückrutschen. Zum Glück habe ich Chefs, die kein Problem damit haben, ältere Arbeitskräfte zu beschäftigen. Sie haben mir auch die Ausbildung zur Bilanzbuchhalterin finanziert.



Weil die finanzielle Bilanz ihres Lebens so traurig aussah, starteten Sie im Frühjahr die Initiative "Oma-Revolte". Was hat das Fass zum Überlaufen gebracht?

Ich las im vergangenen Jänner einen Artikel in der Arbeiterkammerzeitung über die Erhöhung der Ausgleichszulage auf 1000 Euro, die all jene Menschen bekommen, die 30 Jahre in der Erwerbsarbeit waren, selbst dann, wenn für sie 29 Jahre Versicherungszeiten irgendwo anders in der EU eingezahlt wurden, - aber ich und viele andere Mütter nicht, weil unsere Arbeit offenbar nichts zählt. Da hat es mir gereicht, da ist etwas in mir zerrissen, ich fühlte mich extrem gekränkt.

Gertraud Burtscher im Gespräch mit "Wiener Zeitung"-Mitarbeiterin Irene Prugger. - © Fotos: Prugger (3)
Gertraud Burtscher im Gespräch mit "Wiener Zeitung"-Mitarbeiterin Irene Prugger. - © Fotos: Prugger (3)


Bei mir kommt noch dazu, dass ich durch meine zehnjährige Arbeit meine Pension bloß um 96 Euro netto monatlich erhöhen konnte, obwohl während dieser Zeit für mich Pensionsversicherungsbeiträge von ca. 80.000 Euro eingezahlt wurden. Es zählen ja nur die Jahre der Erwerbstätigkeit vor dem Pensionsantritt voll. Jedenfalls habe ich keine Chance auf eine höhere Ausgleichszulage, ich werde zur Sozialhilfe-Empfängerin abgestempelt - und genau das ist es, was mich so wütend macht. Ich entschloss mich, zu kämpfen, um für Frauen in meiner Situation eine zumindest einigermaßen gerechte Anpassung zu erreichen.

Mit Frauen in Ihrer Situation meinen Sie vor allem die "alten Mütter", wie Sie sie nennen?

Ja, die alten Mütter, die wie ich das Pech haben, vor 1955 geboren zu sein. Uns werden ja keine Kindererziehungszeiten angerechnet. Es ist eine Schande, dass so viele Frauen meiner Generation am Hungertuch nagen, obwohl sie dadurch, dass sie Kinder aufgezogen haben, viel für das Wohl des Staates getan haben. Was sie am Ende des Lebens an Geld bekommen, ist zum Sterben zu viel, aber zum Leben zu wenig.

Ihre finanzielle Situation hat Sie gewiss nicht überraschend getroffen. Wieso haben Sie nicht früher dagegen aufbegehrt?

Ich gehöre einer Generation an, in der die Frauen zumeist nicht aufgemuckt haben. Ich selber war auch immer brav und angepasst, habe für meine Kinder gesorgt und es wie viele andere Frauen hingenommen, dass diese wichtige Arbeit nicht entlohnt wird. Aber mit diesem Artikel über die Ausgleichszulage wurde mir die Ungerechtigkeit wieder voll bewusst.

Sie haben dann im Mai 2017 zuerst einmal eine Demonstration vor dem Vorarlberger Landhaus organisiert . . .

Das habe ich vor allem gemacht, um die Medien ins Boot zu holen. Ohne öffentliche Aufmerksamkeit habe ich überhaupt keine Chance, etwas zu erreichen. Vor allem aber schrieb ich Mails: an Funktionäre und Funktionärinnen aller im Parlament vertretenen Par-
teien, an Pensionistenvereine und Privatpersonen. Ich schilderte ihnen

Gertraud Burtscher (in "Orange") beim Organisieren der von ihr angestoßenen "Oma-Revolte". - © privat
Gertraud Burtscher (in "Orange") beim Organisieren der von ihr angestoßenen "Oma-Revolte". - © privat

die Situation und bat sie um Unterstützung für mein Anliegen. Von den meisten habe ich durchaus positive Signale bekommen. Und auch viele Privatinitiativen aus ganz Österreich unterstützen mein Anliegen, zum Beispiel die "Wertschätzung Familienarbeit", die "Familieninitiative", die "Hausfrauen-Union" und der "Katholische Familienverband".

Ist Ihre Initiative überparteilich?

Ja, sie ist überparteilich, ich sage aber lieber, sie ist allparteilich oder parteiübergreifend, weil ich nicht über den Parteien stehe, sondern diese für mein Anliegen dringend brauche. Das Allgemeine Pensionsgesetz untersteht ja dem Bund. Die meisten haben Verständnis für meine Initiative. Funktionäre und Funktionärinnen aus allen politischen Parteien haben Sympathien für meine Forderungen bekundet.