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Die Verantwortung des Schiffskochs

Von Mathias Ziegler

Reflexionen

Der Kabarettist Günther Paal alias Gunkl erklärt, wie er mit seinem Asperger-Syndrom umgeht, warum er kein Best-Of-Programm spielen möchte - und warnt davor, die Intelligenz des Publikums zu unterschätzen.


"Wiener Zeitung": In Ihrem neuen Programm "Zwischen Ist und Soll - Menschsein halt" kommen wieder die gewohnten Gunkl’schen Schachtelsätze vor. Erwarten Sie eigentlich vom Publikum aktives Zuhören oder können Sie auch damit leben, wenn jemand nur im Saal sitzt und sich einfach berieseln lässt?

Günther Paal: Ich bemühe mich schon immer, dass man das, was ich sage, verstehen und mir über weite Strecken folgen kann, wenn man zuhört. Dass nicht jeder immer über die ganze Länge alles in dem Ausmaß versteht, dass er eine Zusammenfassung schreiben könnte, nehme ich in Kauf. Wenn einer nur zuhört, ohne dass er sich das alles in den Logik-Trakt seines Gemüts schlichtet und dort nur Schach spielt, ist es auch gut.

Solange er mit seiner Karte Ihre Gage finanziert . . .

Man darf nicht in diese Falle tappen, dass man alles nur übers Geld rechnet. Ich bin nicht verantwortlich für die 20 Euro, die jemand bezahlt hat, sondern für die zwei Stunden von seinem Leben, die er vor mir sitzt. 20 Euro kann er woanders auch ausgeben. Es ist nicht so, dass ich mir denke: Hauptsache, er bezahlt, der Rest ist mir wurscht. Denn mit diesem Impetus hätte man auf der Langstrecke nicht sehr lange Publikum. Ein zweites Mal zahlt so einer nicht, wenn er den Eindruck bekommt: Der will nur mein Geld, und dann lässt er mich dumm sterben. Er wird das Programm auch nicht weiterempfehlen.

Wer ist Ihr Testpublikum?

Es ist eine kleine Tradition, dass Ulli Dewam, die seinerzeit in der Kulisse die Kassa gemacht hat und die gute Seele des Hauses war, die Erste ist, der ich ein neues Programm vorlese. Das ist dann aber reiner Fließtext ohne Spielszenen. Ohne Gestaltung, wenn man so will. Aber die Ulli ist soweit abstraktionsfähig, dass sie aus dem Vorgelesenen schließen kann, ob ihr das dann gefallen wird, wenn es ganz fertig ist. Zwischen Ulli und der Premiere gibt es sonst eigentlich niemanden. Nur einmal habe ich es auch noch einem Freund vorgelesen, weil es ihn interessiert hat.

Wieviel lassen Sie sich noch ausreden, wenn der Text einmal geschrieben ist?

Nix. Bei den ersten paar Programmen habe ich vor ein paar Freunden an einem Nachmittag eine Probeaufführung gemacht. Da habe ich zuerst das neue Programm gespielt und ihnen danach erklärt, warum das aber trotzdem alles so bleibt. Ich habe mir das ja genau so überlegt, und deshalb gehört es genau so.

In Ihrem Programm erzählen Sie auch von der "sauberen Weltsicht" eines Menschen mit Asperger-Syndrom (eine Variante des Autismus, Anm.) . . .

Ich habe ja dieses Asperger-Syndrom selbst, es ist aber in Ordnung. Es ist nichts, was mich in irgendeiner Form behindert. Oder besser gesagt: In gewissen Sozialtechniken behindert es mich schon - aber da ich eben dieses Syndrom habe, sind diese Sozialtechniken nichts, was mir abgeht, wenn ich sie nicht beherrsche. Das, was man nicht kann, will man ja eh nicht. Das hat beides denselben Grund - sowohl, dass ich es nicht kann, als auch, dass es mich nicht interessiert. Und damit, dass ich so bin, wie ich bin, kann ich gut leben.

Schon immer? Oder war es ein schwieriger Weg in der Persönlichkeitsentwicklung zu diesem Zustand, vor allem in Hinblick auf die Mitmenschen? Wie autobiografisch war etwa die Theorie in einem Ihrer ersten Programme, dass Gruppen immer einen Außenseiter brauchen, um gut zu funktionieren?

Es war nicht so trenzert, weil ich mir meinen Platz außerhalb der Gruppe erwerben konnte. Also nicht behaupten oder erstreiten, sondern einfach durch Praxis im Umgang erwerben. Damit war es in Ordnung, und ich war nicht das Arschloch der Gruppe. Das war für das Programm natürlich ein bisschen überhöht, aber im Grunde ist es ein bisschen autobiografisch. Auf einem Schiff wäre ich sicher nicht der Kapitän oder der Steuermann, aber auch nicht ein Matrose. Ich wäre der Schiffskoch. Im Sinne von: Der macht etwas, was alle brauchen, hat aber mit dem, was die anderen tun, sonst nichts zu tun. Und er hat sein eigenes Terrain. Dabei ist er auch ein bisschen isoliert.

Er hat aber auch eine gewisse Machtposition: Er kann die Suppe versalzen, größere oder kleinere Portionen ausgeben, ins Essen spucken . . .

Vielleicht ist das jetzt meine Aspergerei, dass ich das nicht als Machtposition, sondern als Verantwortung interpretiere. Und als Koch auf einem Schiff musst du gut sein, weil das einzige körperlich Befriedigende, das Hetero-Männer in einer gleichgeschlechtlichen Gruppe haben, das Essen ist. Und wenn das nicht gut ist, werden die ganz schnell pampert, und das bekommen alle mit, auch der Schiffskoch, obwohl er sonst nicht Mitglied der Gruppe ist. Das heißt, du musst deine Sache wirklich gut machen. Und schlechte Laune erzeugen ist keine Machtposition. Macht besteht nicht da-rin, etwas zu verhindern, sondern etwas zu ermöglichen. Wenn du zum Beispiel den Leuten ins Essen spuckst, und die essen das dann, ohne es zu wissen, ist ja keine Macht passiert. Und wenn sie es mitbekommen, kannst du dich auch hinstellen und sagen: "Jetzt fliegen gleich die Watschen." Auch das ist keine Macht. In dieser Position bist du jedenfalls ganz schnell sehr gefährdet.

Außer man ist der Einzige an Bord, der kochen kann.

Ja, aber kochen kann man auch mit einem gebrochenen Fuß. Denn das, was der Koch ins Essen spucken kann, das können Matrosen mit laufendem Gut, wie man so schön sagt, an Bord auch. Jedenfalls würde ich diese Position nicht mit Macht belegen, sondern mit Verantwortung. Weil mich Macht nicht interessiert - also, sie innezuhaben. Als Thema interessiert sie mich schon: Wie passiert es, was läuft da ab, welche Grundlagen hat es, nämlich nicht nur bei dem, der Macht ausübt, sondern auch bei dem, der sie zulässt? Was muss passieren, damit jemand, der ja auch nur jemand ist, auf einmal Macht bekommt? Das sind sehr interessante Phänomene, die mich akademisch interessieren. Aber ich wüsste nicht, was ich mit Macht machen sollte. Würde mich jemand fragen, würde ich wohl antworten: "Mach was du willst, und ich mache, was ich will."

Tun Sie sich eigentlich als Aspergerianer auf der Bühne solo leichter als in einer Gruppe?

Es gibt ein Forum, auf dem wir uns treffen. Wenn wir gemeinsam auf der Bühne stehen, weiß jeder, was er zu tun hat und wo er steht. Da habe ich kein Problem, wenn das in einer Struktur abläuft. Ich bin nicht soziophob. Jedenfalls nicht pathologisch. Aber wenn ich es mir aussuchen kann, spiele ich lieber alleine. Allerdings, wenn man sich über ein Medium verständigt und strukturiert etwas miteinander macht, kann das sehr angenehm sein. Mit Gerhard Walter zum Beispiel mache ich gemeinsam "Herz und Hirn", wo wir auch auf Publikumsfragen eingehen. Das geht, aber es ist immer in einem bestimmten Rahmen, der erkennbar ist, und wobei Abläufe ihre Gründe haben.

Bis zu einem gewissen Grad ist das Publikum ja auch berechenbar, oder?

Nein, man weiß oft wirklich nicht, was kommt. In Zürich etwa ist mein Bühnenpartner kurzfristig ausgefallen, und ich habe das Publikum gefragt, ob ich lieber mein aktuelles Programm spielen oder spontan Fragen beantworten soll. Sie haben sich für die Fragen entschieden. Da war nichts vorhersehbar - aber wir haben es alle sehr genossen. Das war auch Random, aber in klaren Positionen.

Hätte Sie so etwas vor zwanzig Jahren noch überfordert?

Das ist im Pflichtenheft, dass man auf das, was das Publikum sagt, eingehen können muss. Wer auf eine Kleinkunstbühne geht, muss jeden Satz, den er sagt, erklären und auch argumentieren können. Kleinkunst ist nicht Text, sondern Gedanken in Form eines Textes. Im Theater ruft bei "Hamlet" keiner rein: "Ich sag: Sein!" Im Kabarett kann das passieren, weil der Vertrag zwischen Künstler und Publikum ein anderer ist. Als Künstler erzählst du den Leuten, die vor dir sitzen, etwas, du sprichst mit ihnen. Wer das nicht haben will, muss ans Theater gehen. Wer für das, was er behauptet, nicht einstehen kann, ist auf einer Kabarettbühne falsch. Du musst dir auch bewusst machen, dass das Publikum dein Freund ist. Selbst der widersprüchlichste Einwurf muss so behandelt werden, als käme er von einem Freund, dem du das jetzt erklären willst. Und nicht von einem Feind, den du niederhauen willst. Denn das Publikum empfindet sich als Einheit, und der auf der Bühne ist der andere - dazwischen bildet die Bühnenkante eine Demarkationslinie. Wer einen von ihnen angreift, hat das ganze Publikum gegen sich.

Ihr neues Programm heißt "Zwischen Ist und Soll". Wo stehen Sie persönlich? Gibt es noch ein Soll, das zum Ist werden sollte, ein noch nicht erreichtes Ziel?

Jeden Tag so gut machen, wie es geht. Mit dem, was ich kann - und nicht schwänzen. Und erreichte Ziele möchte ich als solche zur Kenntnis nehmen und mir in meine Biografie schlichten können. Das ist ganz wichtig, dass man weiß, wenn man wo angekommen ist. Dann kann man sagen: So, jetzt kommt das nächste Ziel. Jedes Programm, das ich schreibe, liegt auf einer gewissen Latte an Anspruch, den ich an mich habe. Ich weiß, wenn ich ein Programm, mit dem ich selbst zufrieden bin, drei Jahre lang spiele, dass ich mich auf diesem Plateau ausruhen kann. Dieses Ziel darf ich für mich in Anspruch nehmen, weil ich dort bin, wo ich hinwollte. Aber ich weiß, dass nach spätestens drei Jahren ein neues Programm fällig ist. Dann gibt es ein neues Ziel. Da muss ich mir dann die Schuhe anziehen, den Pegasus behufen, aufsatteln und zu schreiben beginnen.

Muss das jeweils nächste Programm auf jeden Fall noch besser werden? Oder reicht ein Beibehalten des Niveaus?

Es soll nicht schwächer sein als das vorherige. Und es soll nicht so sein, dass ich mir beim Durchlesen denke: Puh, ja, kann man sagen, aber ist doch ein bisserl platt. Ich will auf der Bühne das machen, was ich auch selbst als Publikum von mir sehen wollen würde. Aber dieses "Es muss besser sein" - es gibt so viel, worüber man nachdenken kann, dass etwas anderes, über das man nachdenkt, deswegen nicht besser sein muss. Es ist halt anders.

Welches Verhältnis haben Sie zu Ihren Programmen?

Sie sind Gefährten, die mich eine Zeit lang begleiten. Das ist vielleicht auch meine Aspergerei, dass ich mit so abstrakten Dingen wie Programmen - also einer Ansammlung von Gedanken, die ich sortiert habe und mit denen ich eine Zeit meines Lebens sehr intensiv verbringe - ein gutes Verhältnis habe. Aber irgendwann sind sie dann durch. Es ist nicht leicht, ein altes Programm wieder zu spielen. Sie sind nicht vergessen, aber es ist jetzt ein anderer Gefährte dran. Da mein Leben zwar schon sehr gleichförmig verläuft, aber sich eben doch in kleinen Nuancen verändert, ist es wie mit zwei Schlüsseln, die einander zwar ähnlich schauen, aber verschiedene Schlösser sperren. Seriöserweise muss ich in den Zustand zurückkehren, in dem ich war, als ich das alte Programm gespielt habe. Da jetzt zurückzugehen, als wäre die Zeit stehengeblieben, ist schwierig. Es fühlt sich irgendwie an, als ob du einen guten Bekannten triffst, den du 20 Jahre nicht gesehen hast, und versuchst, ein Verhältnis zu exekutieren, das ihr beide damals hattet, obwohl in der Zwischenzeit sehr viel passiert ist.

Das spricht gegen ein Best-Of.

Es wäre auch unfair den Programmen gegenüber, eine Leichenfledderei. Außerdem war schon mein zweites Programm - "Das Beste aus den nächsten sechs Programmen, mit Ausnahme des fünften" - ein Best-Of. Ich habe mir damals gedacht: Es macht wirklich jeder ein Best-Of, und diese Peinlichkeit, die offenbar dazugehört, habe ich damit gleich erledigt. Wobei es aber zwei abendfüllende Programme zum selben Titel gab, aus denen das Publikum jeden Abend wählen konnte. Das hat sich so ergeben, weil die Ulli nach dem Vorlesen der ersten Version gesagt hat: "Ja, das ist sehr gut und sehr gescheit - aber die Leute werden reihenweise abspringen." Daraufhin habe ich binnen einer Woche eine zweite, leichte Version geschrieben. Die ist mir aber beim Schreiben komplizierter vorgekommen als die erste. Ich habe es dann dem Zufall überlassen, und in der Regel haben sich die Leute die schwere Ver-
sion gewünscht, was mich persönlich sehr gefreut hat. Ein Publikum, das nach acht Stunden Arbeit in eine Kabarettvorstellung geht und ziemlich verlässlich freiwillig sagt, dass es nicht bloß die Light-Version will - dass das möglich ist, gefällt mir gut.

Günther Paal wurde 1962 in Wien geboren. Er war Mitglied der Band "Wiener Wunder", die 1986 mit "Loretta" einen Top-Ten-Hit in den österreichischen Charts hatte und 1994 den Soundtrack zum Kinoerfolg "Muttertag - Die härtere Komödie" lieferte.

Neben zwölf Soloprogrammen unter dem Künstlernamen Gunkl ab 1994 spielte Paal unter anderem Saxophon und E-Bass in Alfred Dorfers Auftrittsband, trat auch in "Dorfers Donnerstalk" im ORF als "Experte für eh alles" auf und moderierte die Kultursendung "kunst-stücke". Zuletzt war er auch Gast bei den "Science Busters". Auf seiner Homepage www.gunkl.at gibt er zudem jeweils einen "Tip des Tages".

Das Interview wurde im Café Stein nahe der Uni Wien geführt. Diese hat er nie besucht, in jenem einst gekellnert.