Sie haben Ihre Arbeit in San Francisco begonnen, als die AIDS-Krise auf ihrem Höhepunkt stand. Was hat Sie ursprünglich auf die Idee gebracht, sich um Sterbende zu kümmern?

Ich und der Tod sind sozusagen alte Kameraden. Meine Mutter starb, als ich ein Teenager war, und mein Vater nur wenig später. Aber in Wirklichkeit hatte ich sie schon viel früher verloren. Sie waren beide Alkoholiker, und meine Kindheit war von Chaos, Vernachlässigung, Gewalt, Schuld und Schamgefühlen charakterisiert. Der Buddhismus mit seiner Betonung auf dem Unbeständigen war deshalb schon früh ein wichtiger Einfluss für mich. Dem Tod zu begegnen stellt in der buddhistischen Tradi-tion eine fundamentale Erfahrung dar.

In meinen Dreißigern war ich in Mexiko und Guatemala unterwegs. Dort habe ich mich, nachdem ich das unendliche Leid der zentralamerikanischen Bürgerkriegs-Flüchtlinge erlebt habe, in der freiwilligen Flüchtlingshilfe engagiert. Dabei habe ich viele schreckliche Dinge gesehen. Als ich nach San Francisco zurückkam, war die AIDS-Krise gerade voll ausgebrochen. Zehntausende hatten sich mit HIV infiziert. Ich habe damals als Pflegehelfer gearbeitet, aber irgendwann wurde mir klar, dass mein individueller Beitrag zu wenig ist. 1987 habe ich deshalb gemeinsam mit anderen das Zen Hospice Project gestartet. Es war das erste buddhistische Hospiz in den USA, eine Mischung aus spiritueller Einsicht und ganz konkretem sozialem Aktivismus. Wir dachten - nicht zuletzt aufgrund unserer eigenen Erfahrungen -, dass zwischen dem Praktizieren von Zen und dem Kümmern um Menschen, die im Sterben liegen, eine natürliche Verbindung besteht.

Was ist Ihrer Erfahrung nach das, was die meisten Menschen am Ende ihres Lebens bereuen?

Das ist die Frage, die mir am öftesten gestellt wird - vielleicht, weil wir glauben, dass wir unsere eigenen Fehler vermeiden können, wenn wir die jener hören, die im Sterben liegen. Ich spreche aber viel lieber über die Möglichkeiten, die die Menschen entdecken, die kurz vor dem Tod stehen. Ich habe ganz normale Leute erlebt, die am Ende ihres Lebens profunde Einsichten gewonnen und eine Transformation erlebt haben, im Rahmen derer sie zu etwas Größerem wurden als sie sich zeit ihres Lebens je zugetraut hätten. Das hat nichts mit einem Happy End oder einer Relativierung des Leids zu tun, das sie ertragen mussten, sondern stellt vielmehr eine Art Transzendenz der Tragödie des Sterbens dar. Diese Entdeckung machen viele Menschen in den letzten Monaten, Tagen oder sogar Minuten ihres Lebens.

Natürlich können Sie jetzt einwenden: "Schön für sie, aber zu spät." Und ich könnte Ihnen nicht widersprechen. Aber der Wert dieser Erkenntnis liegt nicht darin, wie lange wir sie erleben, sondern dass die Möglichkeit zu dieser Transformation besteht - und zwar nicht nur, wenn wir dem Tod nahe sind, sondern auch im Hier und Jetzt. Die zwei Fragen, die ich am häufigsten gehört habe von Menschen, die kurz vor dem Sterben sind, haben nichts damit zu tun, was sie bereuen oder was sie in ihrem Leben alles an materiellem Reichtum geschaffen haben: "Werde ich geliebt?" und "Habe ich andere ausreichend geliebt?"