"Wiener Zeitung": Sie haben jüngst ein Buch über reproduktive Autonomie geschrieben. Was meinen Sie damit?

Andrea Büchler: Reproduktive Autonomie bedeutet in Wesentlichen, dass die Frau in Fragen der Reproduktion, der Schwangerschaft und der Geburt selbstbestimmte Entscheide treffen kann und muss. Die Frau mag sich zum Beispiel fragen, ob sie während der Schwangerschaft eine bestimmte Untersuchung dulden muss oder ob sie Anspruch auf Informationen über den Zustand des Fötus mittels Pränataldiagnostik hat. Das Thema ist sehr komplex geworden, weil sich der Beginn des Lebens immer stärker medikalisiert hat, und zwar sowohl die Fortpflanzung, als auch die Schwangerschaft selbst und die Geburt. Das ruft neue Hoffnungen, Nöte und Ambivalenzen hervor.

Andrea Büchler - © Stanislav Jenis
Andrea Büchler - © Stanislav Jenis

Können Sie ein Beispiel nennen?

Früher konnte man Trisomie 21 (Chromosomen-Anomalie, die zum Down Syndrom führt, Anm.) beim Fötus nur durch eine Fruchtwasseruntersuchung feststellen. Und die ist mit einem Abortrisiko von einem Prozent verbunden - das ist nicht wenig. Viele Frauen sind nicht bereit, dieses Risiko einzugehen. Seit rund fünf Jahren gibt es einen Bluttest, mit welchem man im Blut der Mutter fötale Zellen finden und diese ohne Risiko analysieren kann. Außerdem ist der nicht-invasive Test früher möglich als die Fruchtwasseruntersuchung, nämlich schon ab der zehnten Schwangerschaftswoche. Also innerhalb der Zeitspanne, in der eine Frau ohne weitere Begründung ihre Schwangerschaft straflos abbrechen kann.

Welche ethischen Fragen kommen da auf?

Sollen alle schwangeren Frauen diesen Test machen können? Oder nur solche, die ein erhöhtes Risiko für eine fötale Anomalie aufweisen? Oder soll der Test gar routinemäßig angeboten werden? Wer übernimmt die Kosten? Zu welchen Informationen über den Fötus soll die schwangere Frau Zugang haben: zu allen oder nur zu gesundheitlichen? Ein Nebenbefund dieser frühen nicht-invasiven Tests ist zudem das Geschlecht des Fötus. Darf dieses der Mutter mitgeteilt werden?

Warum sollte sie es nicht wissen dürfen?

Die Befürchtung geht dahin, dass es zu pränataler Geschlechter-
selektion kommen könnte. Also versucht man in gewissen Ländern, zum Beispiel in den USA, das Recht auf Schwangerschaftsabbruch wieder einzuschränken, indem man ihn auch im ersten Trimester nur zulässt, wenn bestimmte Gründe vorliegen. In Europa diskutieren wir derzeit eher darüber, inwiefern man den Zugang zu bestimmten Informationen beschränken soll. Zum Beispiel indem man der Frau untersagt, nicht gesundheitsbezogene Eigenschaften des Fötus zu ermitteln, oder indem man Ärzten und Ärztinnen verbietet, der schwangeren Frau das Geschlecht des Fötus mitzuteilen.