Nach knapp 700 Seiten kommt David Lynch auf den Punkt: "Letztendlich bleibt jedes Leben ein Rätsel, bis es uns am Ende gelingt, jedem für sich, dieses Rätsel zu lösen." Es ist bereits das Ende dieses Buches, und doch enthält es den Anfang von fast allem, was mit Lynch in Verbindung zu bringen ist. Sein Leben, sein Werk, seine Person: ein merkwürdiges Rätsel, ein unergründlicher Mythos, ein dunkles Geheimnis. Hier Licht ins Dunkel zu bringen, haben schon viele versucht, oft mit nur überschaubarem Erfolg, nun ist es am Meister selbst, sein Leben, sein Werk, seine Person zu beschreiben, zu erklären - vielleicht zu enträtseln.

Düstere Begeisterung

Seiner jetzt auf Deutsch erschienenen Autobiografie "Traumwelten" kann definitiv nicht der Vorwurf gemacht werden, sich dafür zu wenig an Umfang, Aufwand oder Personal genehmigt zu haben, denn Lynch hat noch die Co-Autorin und gute Freundin Kristine McKenna dazu geholt, für zahlreiche Recherchen und mehr als einhundert Interviews (mit Verwandten, Vertrauten, Bekannten), die in der Endfassung wiederum vier Übersetzer in die Hände bekommen haben.

Das Gesamtkunstwerk Lynchs wird dabei aus zwei Perspektiven aufgearbeitet: Erst ist McKenna mit ihrem Kapitel dran, dann folgt Lynch mit seinem Kapitel. Sie liefert Fakten und Stimmen, er ergänzt, kommentiert, wiederholt Fakten und Stimmen. Bis es wirklich jeder Leser verstanden hat. Oder auch nicht.

Der filmende, malende, zeichnende, fotografierende, schauspielernde, schreibende, musizierende Universalkünstler, 1946 in Missoula im US-Bundesstaat Montana geboren, bleibt sich auf jeden Fall treu in seiner Arbeits- und Herangehensweise, logische Strukturen und konventionelle Erzählweisen zu meiden und dem Intuitiven, Irrationalen, Improvisierten volle Aufmerksamkeit zu schenken.

Das Rätsel des Lebens zu lösen, heißt in seinem Fall, das Leben mit all seinen Rätseln zu konfrontieren, wieder und wieder, immer auf unterschiedliche Art, bis womöglich Spuren der Wirklichkeit, der Wahrheit sichtbar werden. Bis hinter dem Künstler, der für seine Kunst lebt und ihr alles unterordnet, der Mensch erkennbar wird, der sich nichts aus Geld und Ruhm macht und im Misserfolg nicht nur Chance, sondern auch Freiheit sieht. Leben ist für ihn auch Schicksal, mit all den Veranlagungen, Prägungen, Einflüssen, und sein Schicksal ist nun einmal, von den "dunklen Dingen des Lebens" fasziniert zu sein.

Die Kindheit liefert jedenfalls wenig Gründe für diese unheimliche, düstere Begeisterung. Wohlbehütet und geliebt wächst er an wechselnden Orten heran, streunt viel in der Natur herum, wird von seinem Vater mit zur Jagd genommen, entdeckt früh sein Talent fürs Zeichnen und sein Interesse am weiblichen Geschlecht (das trotz vieler Ehen und noch mehr Affären nie verloren geht).