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Leidenschaft für Fahrstühle

Von Manfred Rebhandl

Reflexionen
Das Branding extistiert schon - nur das Museum selbst noch nicht . . .
© Manfred Rebhandl

Zwei Wiener sammeln Aufzüge - reparieren und restaurieren sie, um eines Tages ein Museum damit bestücken zu können.


Der erste Wiener Aufzug bewegte sich ab dem Jahre 1869 im Palais des Barons Liebig in der Wipplingerstraße im Ersten Wiener Gemeindebezirk, er hatte einen hydraulischen Hochquellwasserantrieb und beförderte zwei Personen, allerdings rein privat. Ein Jahr später punktete das Grand Hotel am Wiener Ring mit dieser technischen Neuerung, eine Fahrt in den vierten Stock dauerte 55 Sekunden. Für die Weltausstellung, die 1873 in Wien stattfand, wurden dann nicht nur zahlreiche neu erbaute Hotels mit Aufzügen ausgestattet, sondern auch die eigens dafür errichtete Rotunde, die 1937 abbrannte.

In größerem Stil wurden Häuser in Wien jedoch erst ab der Spätgründerzeit mit Aufzügen ausgestattet, 1913 gab es immerhin bereits mehr als 2500 davon, doch setzten sie sich nur langsam durch: "Brauchen wir das? Kann das was? Ist das nicht gefährlich?", hieß es. Die Beletage (frz. bel étage) der feinen Herrschaften lag obendrein im ersten Stock, das schaffte man zu Fuß. Der Kaiserin Maria Theresia war zur ihrer Zeit sogar die Beletage zu hoch, für sie hatte man einen Mechanismus konstruiert, mit dem die liebe Monarchin in einer Art Sessel hinauf transportiert wurde. Von daher könnte das Wort Fahrstuhl herrühren, aber belegt ist das nicht.

Christian Tauß in einer reparaturbedürftigen Kabine.
© Manfred Rebhandl

Dem Aufzug erging es anfangs nicht besser als der Dampflok, die als Werk des Teufels galt: Viele bekreuzigten sich bei ihrem Anblick und liefen davon. "Für die Leute damals war die Benutzung des Aufzugs so unvorstellbar wie heute für viele die Sache mit den selbst fahrenden Autos!", sagt Christian Tauß vom Wiener Aufzugmuseum, das es als klassisches Museum allerdings noch gar nicht gibt, sondern das bisher mehr als Sammelstelle fungiert.

Christian wartet in einer riesigen Halle an der Nordwestbahnstraße, durch die Oberlichten scheint die Sonne auf zwei alte Aufzuganlagen, die er mit seinem Partner Franz gerade für die Restaurierung vorbereitet. Insgesamt dreizehn Stück davon haben sie bereits vor der Zerstörung aus Wiener Wohnhäusern gerettet, bei vielen anderen gelang es ihnen aber leider nicht. Oft genug standen sie vor den zu renovierenden Häusern, und die alte Anlage lag zersplittert in der Mulde. "Da tut einem das Herz weh", sagt Franz.

Die größere der beiden Aufzugskabinen haben sie mit einem Kran aus dem Dach gehoben und mit dem LKW abgeholt, aus einem Gebäude in der Stadiongasse im ersten Bezirk, Baujahr 1870, zur Zeit des Ringstraßenbaus. Der Aufzug wurde 1913 nachträglich in die "Stiegenspindel" eingebaut, die Kabine wiegt knappe 400 Kilo. Christian deutet lachend auf den Kasten: "Da sind blanke Klemmen auf Holz angebracht!" Für einen Elektrotechniker wie ihn ist das natürlich ein absolutes No Go. "Aber die Erdung haben sie immerhin nachgerüstet!"

Veso, der Chef einer kleinen Liftfirma, hat ihm alles beigebracht, was man über Lifte wissen muss, und mittlerweile weiß Christian alles über diese sperrigen und voluminösen Ungetüme: "Viele fuhren mit Schubknopfsteuerung, dem ersten Selbstfahrersystem. Die Messingknöpfe wurden bei Betätigung aus der Kabine hinaus gedrückt. In jedem Stockwerk war versetzt ein Schleifholz angebracht, dort wurde der Knopf wieder in die Grundstellung geschoben und der elek-trische Kontakt gelöst."

"Aufzug" hießen die Dinger übrigens, weil die Benutzung nur in Richtung "Aufwärts!" gestattet war. Oben angekommen, musste der Lift wieder retour geschickt werden, er kannte nur zwei Zustandsarten: In der Ausgangsposition oder im Stockwerk.

Kabine mit Spiegel

Später, als die Steuerungen komplexer wurden, hatten die Kabinen meist einen Schwingboden, der einen Schaltkontakt betätigte und ein wenig absank, wenn man ihn betrat. Neben der Technik war das vielleicht ein Grund, warum sich die Leute anfangs davor gefürchtet haben. Um ihnen die Benutzung schmackhafter zu machen, wurden die Kabinen mit Sitzgelegenheit, Spiegel, edlen Hölzern und aufwändig gestalteten Glasfenstern ausgestattet, durch welche die Fahrgäste Bezug zum Stiegenhaus um sich herum hatten, was angenehmer war, als in einem Schacht zu fahren. Stuck und Ornamente sollten den Stand zeigen, welchem die Hauseigentümer angehörten.

Unfälle gab es in der Anfangszeit trotzdem immer wieder, aber nicht wegen mangelnder Sicherheit ("Die Teile würden noch hundert Jahre lang problemlos fahren!", sagt Christian, "während manch neue Anlage schon nach zwei Jahren eine neue Platine braucht!"), sondern weil die Leute das Benutzen nicht gewohnt waren. Das war übrigens auch der Grund für die Unfälle, welche 2006 zu jenem Gesetz führten, das den alten Liftanlagen in Wien den Garaus machte.

Die Beletage rückte im Laufe der Zeit immer weiter hinauf, und heute gilt das Penthouse mit Privatlift (gerne auch für den Porsche Cayenne) als Statussymbol schlechthin, was innerstädtisches Wohnen angeht. Status war aber auch früher schon wichtig, wie Franz erzählt: "Im 4. Bezirk hat sich vor dem Ersten Weltkrieg ein Reicher einen Aufzug einbauen lassen, der nur bei ihm im dritten Stockwerk stehen blieb, die anderen konnten ihm beim Fahren bestenfalls zuschauen."

Anfang des 20. Jahrhunderts brauchte man aber meist noch einen Aufzugswärter, der die Anlage bediente, es war der Portier, den man über das im Stiegenhaus angebrachte Klingelbrett rufen musste, der konnte den Aufzug über Seile steuern. Der Gast des Hauses wollte bedient werden, und der Hausmeister war darüber verständlicherweise oft grantig. In einem einschlägigen Buch, das Christian gelesen hat, wird das dann so beschrieben: "Haben’s geläutet?", rief der Portier scheinheilig in den 3. Stock, als die feine Dame endlich keuchend dort oben angekommen war.

Kostenloser Abbau

Anfangs teilen sich zwei große Firmen den Wiener Markt auf, Wertheim und Freissler, man bot "Katalogware" mit Standardfabrikaten an, erzählt Christian, aber es gab natürlich auch welche, wo der Architekt mitplanen wollte und die Anlagen in Absprache mit ihm gefertigt wurde. "Diese Kabine hier", sagt Christian und deutet auf die zweite Kiste in der Halle, "ist von der Firma Freissler, das Original Firmenschild ist da oben." Die Anlage stammt aus dem Jahr 1935 ("Aus einem der seltenen Zwischenkriegshäuser, die kein Gemeindebau sind", sagt Franz) und war 80 Jahre lang nicht in Gebrauch, die Sitzbank ist von Mäusen zerfressen. "Der ist außen nicht so nobel", sagt Christian, "weil er in einem Schacht von Mauerwerk umgeben und nicht im Stiegenhaus in der Spindel angebracht war." Es gab eben eine Zeit, da wollte man die moderne Technik vor den Leuten verstecken.

Auf ihrer Suche nach Aufzügen gehen Christian und seine Kollegen auf Hausverwaltungen zu und bieten ihnen den kostenlosen Abbau der Anlagen an. "Dafür gehört das Zeug dann uns, wir haben unsere Ruhe und können den Abbau dokumentieren." Sie sehen zu, dass sie möglichst noch einmal mit der Anlage fahren können, um alles auf Film festzuhalten. Das ruckartige Anfahren und Abstoppen, die Geräusche: "Ein wahrer Genuss!"

Damit das alles nicht nur als "Aufzug Spielen" abgetan wird, haben sie sich das Branding "Aufzugmuseum" zugelegt, es ziert ihre Latzhosen und Shirts - und auch das Lastenbike, mit dem Christian zu den Aufzug-Projekten fährt. "Vor jedem Abbau in einem Haus stellen wir uns bei allen Bewohnern vor. Das schafft ein gutes Klima und wir bekommen auch alte Geschichten zum Lift zu hören. Einmal wurden wir sogar zum Essen eingeladen."

Aufzugprüfturm

Christian macht gerade einen Polstererkurs und hat begonnen, die Anlagen zu restaurieren. Das Suchen und Sammeln wird hingegen langsam weniger: "Die meisten Lifte sind bereits verschwunden oder in unserem Depot", sagt der einst eifrige Sammler, der nun langsam daran gehen will, ein wirkliches Museum daraus werden zu lassen.

Thyssen Krupp baut im amerikanischen Atlanta gerade einen Riesenturm, um darin neue Aufzüge zu testen. "Das gab’s auch in Wien, in der Wienerbergstraße", erzählt Franz. "1913 errichtet von der Firma Wertheim, die später von der Firma Schindler übernommen wurde. Die hatten so ein Aufzugprüfturm, circa 20 Meter hoch." Auch im 16. Bezirk gibt es noch einen, erzählt Christian, "dort, wo die Firma Sowitsch angesiedelt war, nahe dem Joachims-
thalerplatz."

Aber auch andere Städte haben schöne Aufzüge, wissen sie als "Fans". "Lissabon zum Beispiel ist sehr interessant", sagt Christian, "dort gibt es die Schrägaufzüge und das Wahrzeichen, den Elevador de Santa Justa." Franz meint: "Paris wurde im Krieg nicht bombardiert, dort sind noch viele alte Aufzüge vorhanden." Doch wären die Häuser nun seit den Attentaten so stark gesichert, dass man nicht einmal zum Lift-Schauen hinein kommt. "In Berlin war nach dem Krieg zwar viel Substanz beschädigt, aber in gewissen Viertel gibt es relativ gut erhaltene Aufzüge." Die Ungarn wiederum hätten "schon in Monarchiezeiten sehr auf Eigenständigkeit geschaut, Firmen aus Wien hatten es dadurch sehr schwer."

Wenn die letzten alten Anlagen einmal ganz verschwunden sein werden, können sich die beiden immer noch Aufzüge in Filmen und TV-Serien wie "Mad Men" anschauen, wo während Aufzugfahrten ganze Dramen verhandelt wurden. Oder sie können sich über naheliegende Probleme unterhalten, etwa: Was reden im Aufzug?

"Es ist erwiesen, dass man nicht nicht miteinander kommunizieren kann", sagt Franz begeistert. Auch die schwitzenden Hände in Anwesenheit einer schönen Frau im Aufzug, die man sich dann doch nicht anzusprechen traut, sind also Kommunikation. Oder die Schweißflecken, die sich an heißen Tagen in Achselhöhlen bilden . . .