Man hatte sozusagen blindes Vertrauen zueinander?

Wolfgang: Ich glaube, das ist gar nicht so sehr eine Frage des Vertrauens, weil in dem Moment ist man nur im Geschehen. Das ist einfach eine Sprache, die man gemeinsam spricht.

Christian: Sich einzulassen auf den Moment.

Wolfgang: Frei zu spielen ist die allerhöchste Kunst des Musizierens, die oft mit Beliebigkeit verwechselt wird. Aber wenn Meister der Improvisation, wie etwa Wayne Shorter, sich in diesen Bereich begeben und einen Abend quasi von Null an erfinden, dann sind das absolute Höhepunkte.

Weil Sie Wayne Shorter ansprechen: Joe Zawinul sagte einmal, dass er schon Sekunden vorher wusste, was sein Saxophonist in einer Live-Session spielen würde. Gibt es diese Vorausahnung zwischen Ihnen ebenfalls?

Christian: Das war in der Zeit, wo wir sehr viel miteinander gespielt haben, absolut so.

Kann man generell sagen, dass man sich mit Musikern, mit denen man auf der Bühne hervorragend harmoniert, auch menschlich gut versteht?

Wolfgang: Nein, ich kann mit Musikern telepathisch auf der Bühne agieren und sie sonst nicht besonders gut kennen.

"Sehr prägend für uns war auch das viele gemeinsame vierstimmige Singen in der Familie. Das war die beste Übung für Improvisation."

Christian Muthspiel - © Robert Wimmer
"Sehr prägend für uns war auch das viele gemeinsame vierstimmige Singen in der Familie. Das war die beste Übung für Improvisation."
Christian Muthspiel - © Robert Wimmer


Christian:
Bei uns beiden ist es interessant, dass das Verhältnis von Verwandtschaft, Seelenverwandtschaft und musikalischer Verwandtschaft immer wieder einem Wandel unterworfen ist. Es ist immer etwas anderes im Vordergrund gestanden. Je nachdem, was gerade das Wichtigste war.

In punkto musikalische Seelenverwandtschaft: Worauf kommt es beim freien Improvisieren am meisten an?

Wolfgang: Für mich kann ich das so beantworten, dass ich mich ein ganzes Leben lang auf diesen Moment vorbereite. Ich kann nur dann ein befriedigendes Resultat erzielen, wenn ich dem Moment traue. Das ist eine schwere Übung vor Publikum.

Ist das - auf das Leben bezogen - vergleichbar mit dem Satz, dass es eine schwierige Kunst ist, die Intensität des Moments zu leben?

Wolfgang: Ich glaube, das ist genau das. Alles, was im Leben gilt, gilt letztlich auch fürs Musizieren.

Christian: Im Endeffekt klingen die Menschen so wie sie sind. Und das macht letztlich die Unterschiede aus, sofern sie in diesen Moment hineingehen. Dann wird die musikalische Sprache wie der Ausdruck der Person.

Wolfgang: Dass es manchmal leicht und fließend klingt, ist letztlich der Grund, warum wir diese Arbeit machen. Es geht bis heute um diese leuchtenden Momente, die wir als Kinder beim Musikhören erlebt haben. Die Musik hat uns wo hingebracht, wo man im täglichen Leben nicht hinkommt. Genau dieser Moment hat sich bei uns so eingegraben, dass wir ihn ständig suchen. Mit jedem Mal Spielen wollen wir dorthin. In diese andere Welt. Ich glaube, was uns am meisten verbindet, sind eben diese Momente, die unser Vater uns damals auf eine sehr idealistische Art vermittelt hat. Wo man diese schöne höhere Welt als Zuhörer betreten durfte. Das ist der Kern unseres Musikmachens - und der Kern unserer Verbindung.