Das "extra" vom 10. Oktober 2015 veröffentlichte ein Interview mit Klaus Kastberger, dem Leiter des Grazer Literaturhauses, Professor für Neuere deutsche Literatur in Graz und Juror beim Bachmann-Preis. In diesem Gespräch meinte Kastberger unter anderem, dass Daniel Kehlmann in seinen Romanen aus Wikipedia "abschreiben" würde.

Nun hat Kastberger diese Vorwürfe zurückgezogen. Siehe Brief an Kehlmann.

Die einstige Bemerkung des Literaturkritikers hatte den Widerspruch des Autors herausgefordert, was wiederum eine Gegenrede provozierte. Wir veröffentlichen diese Stellungnahmen hier, da Kehlmann und Kastberger ihre Kontroverse ausdrücklich nicht als Privatsache verstehen, sondern als eine öffentliche Diskussion.

Daniel Kehlmann: Ein gewisser Klaus Kastberger vom Grazer Literaturhaus erklärt im Interview mit der Wiener Zeitung, daß ich "nichts anderes" machen würde "als Wikipedia abzuschreiben und daraus Romane zu basteln." Weiters führt er aus: "Man hat ja nachgewiesen, wie sehr sich die Einträge zu Gauß und Humboldt auf Wikipedia und manche Passagen der 'Vermessung der Welt' ähneln", um mir schließlich gönnerhaft einzuräumen, daß "auch Daniel Kehlmann einen Wikipedia-Artikel nehmen, ‚Kehlmann' drauf schreiben und sagen darf, es ist Literatur".

Falls das Humor sein soll, so werden wohl nicht viele darüber lachen. Falls es aber ernst gemeint ist, so muß ich feststellen, daß Herr Kastberger offenbar den bewährten Trick aller geschickten Intriganten und Rufmörder verwendet, eine frei erfundene Lüge als allgemein verbreitetes Wissen auszugeben. Denn natürlich habe ich noch nie aus Wikipedia abgeschrieben, und mir sind auch keine germanistische Arbeit und kein Zeitungsartikel bekannt, wo "man" derlei nachgewiesen oder auch nur behauptet hätte. Ich fordere Herrn Kastberger auf, entweder die Artikel, auf die er sich bezieht, vorzulegen oder aber eine einzige aus Wikipedia abgeschriebene Stelle meines Romans zu nennen.

Klaus Kastberger: Sehr geehrter Herr Kehlmann, da Sie vieles lesen, was über Sie geschrieben wird, wissen Sie ohne Zweifel, dass es an der "Vermessung der Welt" eine Art von Kritik gibt, die Ihnen als Autor des Buches vorwirft, sich in der Modellierung der Figuren Gauß und Humboldt gerade auf die gängigsten Klischees und allerbekanntesten Fakten über diese beiden Personen gestützt zu haben. Auf Geschichten und Anekdoten also, die spielerisch leicht beispielsweise auch aus jedem Wikipedia-Artikel gezogen werden können.