Sollten Sie dafür Belege brauchen, schauen Sie sich am besten die peer-reviewte Zeitschrift "Humboldt im Netz" (XIII, 25, 2012) an, in der Eberhard Knobloch, Ottmar Ette und Frank Holl anlässlich der Verfilmung des Romans diese Einwände noch einmal zusammengefasst und zusätzlich spezifiziert haben.
Wie Sie meiner kleinen Wortmeldung entnehmen können, teile ich selbst den Vorwurf, den diese Art von Kritik ihrem Roman macht, durchaus nicht, denn der Schriftsteller ist in seinem Tun eben nicht auf die historische Wahrheit verpflichtet. Auch Kenntnisse über den aktuellen wissenschaftlichen Forschungsstand seine Figuren betreffend muss er nicht besitzen, bzw. braucht er diese, wenn er sie besitzt, nicht notwendigerweise im literarischen Werk umzusetzen. Der moderne Autor (und die Referenzfigur dafür ist freilich Duchamp) geht mit seinen Quellen so um, wie das mit den seinen schon der alte Goethe getan hat. Er modifiziert sie im Werk und weist ihre Verwendung im besten Fall auch nach außen hin aus. Nur jemand, der sich – ganz gegen die Begründungszusammenhänge der Moderne – in seinem literarischen Schaffen und dabei quasi nur aus einer sehr kurzen Phase der Literaturgeschichte kommend als Original-Genie versteht, vermöchte den Hinweis auf die Quellen, die er verwendet, als Rufmord zu sehen, so wie Sie es mir gegenüber tun.
Einen philologischen Beweis, dass Sie aus Wikipedia oder von wo auch immer wortwörtlich abgeschrieben haben, bin ich Ihnen im Übrigen nicht schuldig, denn das war nicht die Behauptung. So grüßt Sie aus Graz, ein in der Sache doch ganz recht gewisser Klaus Kastberger
Daniel Kehlmann: Klaus Kastberger hat in einem Interview über mich gesagt, daß ich "nichts anderes [mache] als aus Wikipedia abzuschreiben". Er hat behauptet, "man" habe nachgewiesen "wie sehr sich die Einträge zu Gauß und Humboldt auf Wikipedia und manche Passagen der Vermessung der Welt ähneln". Ich habe von dieser Behauptung erfahren und ihn öffentlich aufgefordert, eine einzige Quelle für diesen angeblichen Nachweis vorzulegen, und ich habe ihn gebeten, eine einzige bei Wikipedia abgeschriebene Stelle meines Buches zu nennen.
Nun hat Herr Kastberger eine Antwort geschickt. Er nennt darin eine Ausgabe der Zeitschrift "Humboldt im Netz", die er allerdings nicht gelesen haben dürfte, sonst wüßte er, daß darin die genau entgegengesetzte Kritik geäußert wird, nämlich die, daß meine Romanfigur Humboldt zu weit von der historischen Vorlage abwiche. Und überhaupt soll nun plötzlich alles eine Metapher gewesen sein: "bei Wikipedia abschreiben", bedeutet mit einemmal bloß, daß mein Roman in Herrn Kastbergers Augen von mangelnder gestalterischer Originalität sei.
Mich interessiert Herrn Kastbergers Meinung zur literarischen Qualität meiner Arbeit nicht im geringsten. Was mich interessiert, ist nur sein erlogener Abschreibvorwurf. Ich stelle fest: Herr Kastberger kann keinen Artikel nennen, der seine Behauptung untermauert, und er kann keine entsprechende Stelle meines Buches anführen. Daß er versucht, die Sachlage durch Gerede über Originalgenies, die Moderne und den "alten Goethe" zu verwirren, ist das erwartbare Rückzugsgefecht eines Intriganten, dem man sein Spiel verdorben hat.