Wer Stille sucht, fährt in den Norden. Ganz oben am Ende der Autobahn, knapp 100 Kilometer von Doha entfernt, liegt Al-Ruweis. Das Fischerdörfchen ragt in den Persischen Golf hinaus, so als würde es seinen Kopf strecken. Zwar nur ein Stück. Aber so weit, dass man von hier die Sonne auf- und untergehen sieht. Das Wechselspiel zwischen Ebbe und Flut bestimmt das Leben. Bei Flut fahren die Fischer hinaus aufs Meer, bei Ebbe sitzen sie vor den Booten und bessern ihre Netze aus.
Am Abend wird es schnell dunkel, während der Muezzin zum Gebet ruft. Still, fast unscheinbar plätschert der Persische Golf an die Küste des Fischerdörfchens. Doch der Schein trügt. Tief in den Gewässern des Binnenmeeres liegt hier das größte Gasfeld der Erde, der Reichtum Katars.
Die Förderung des Rohstoffs veränderte das Land mit seinen 300.000 Staatsbürgern grundlegend: von einem ärmlichen, staubigen Landstrich am Rande der arabischen Halbinsel zu einem globalen Player mit funkelnden Wolkenkratzern, weltweiten Firmenbeteiligungen und – ab nächster Woche – zum Gastgeber der Fußball-Weltmeisterschaft 2022. Mit dem Motto "Now is all" – "Jetzt oder nie".

Der damalige FIFA-Präsident Joseph Blatter bei der WM-Vergabe an Katar im Jahr 2010.
- © AFPBei der Vergabe vor zwölf Jahren setzte sich Katar mit 14:8 Stimmen gegen den Hauptkonkurrenten USA durch. Seither scheint alles möglich in diesem Land, dem Abseits, Viererkette oder Manndeckung nicht ferner sein könnten. Milliarden Dollar werden in die Infrastruktur gepumpt, Milliarden in diplomatische Beziehungen, Milliarden in Fußball.
Nach dem Zuschlag für die WM begann Katar seine Einkaufstour und erwarb 2011 den Mittelständler Paris Saint Germain für 130 Millionen Euro. Die Käufe von Zlatan Ibrahimovic oder David Beckham zeigten gleich zu Beginn, wohin die Reise gehen soll. Der Verein wurde innerhalb kürzester Zeit zu einer Weltmarke und gewann seit dem Einstieg des Wüstenstaats acht von zehn französischen Meisterschaften.
Nachdem 2017 der Meistertitel verpasst wurde, legte Katar einen Gang zu. Für den absoluten Rekordwert von 222 Millionen Euro wurde der brasilianische Stürmer Neymar vom FC Barcelona verpflichtet. Wenige Wochen später folgte der Kauf des französischen Jungstars Kylian Mbappe von Meister AS Monaco für 180 Millionen Euro, allerdings in Etappen. Laut den Bestimmungen der finanziellen Fairplay-Regeln des europäischen Fußballverbands Uefa war das Ausgabevolumen von Paris Saint Germain nach dem Neymar-Transfer erschöpft.

Stadtviertel wie der Souq Waqif wurden gründlich saniert.
- © Bernd VasariDer Transfer-Schmäh mit Mbappe
Doch Katar umging diese Regeln, indem Mbappe vorerst nur ausgeliehen wurde. Eine Saison später wurde die vertraglich gesicherte Kaufoption gezogen und der Stürmer fix verpflichtet. In einem weiteren spektakulären Transfercoup konnte im vergangenen Jahr Weltstar Lionel Messi erworben werden. Messi hatte seine gesamte Profikarriere nur bei einem Verein gespielt: beim FC Barcelona. Ungläubig blickte die Fußballwelt auf den Wechsel des mehrmaligen argentinischen Weltfußballers.
Mit der Verpflichtung dieser drei Fußballer zeigte Katar, dass kein Preis zu hoch, keine Regel zu streng und keine Tradition zu gefestigt ist, um die gesetzten Ziele zu erreichen. Neymar, Mbappe und Messi sind auch die Stars der drei Topfavoriten Brasilien, Argentinien und Frankreich für den Gewinn der Weltmeisterschaft. Alle drei Spieler gehören dem Wüstenstaat.
Der Handel mit Rohstoffen begann am Silvestertag 1949, als Katar erstmals Erdöl nach Europa verschiffte. Mit den Einnahmen der Exporte wurden Postämter gebaut, eine Entsalzungsanlage für Wasser errichtet sowie erste Schulen und Krankenhäuser eröffnet. Es kam zu einem Ölboom, der das Land modernisierte. Umherziehende Beduinen und Fischer wurden sesshaft, das Pro-Kopf-Einkommen gehörte bald zu den höchsten der Welt. Katar war aber noch bis 1971 ein Protektorat von Großbritannien. Ohne die Zustimmung der Briten durfte kein Handel mit einer anderen ausländischen Macht betrieben werden. Im Gegenzug stand Katar unter dem Schutz der Briten.
Anfang der 1970er Jahre kündigte Großbritannien seinen Rückzug aus der Golfregion an. Die führenden Familien der Region aus Dubai und Abu Dhabi befürworteten einen Zusammenschluss in einer Staatengemeinschaft, der Vereinigung Arabischer Emirate (VAE). Katar ging jedoch einen anderen Weg, zum Missfallen der anderen. 1971 verkündete Scheich Ahmad bin Ali Al-Thani im Staatsfernsehen die Unabhängigkeit. Im selben Jahr entdeckte Shell die Gasvorkommen im "North Field" vor der Nordküste im Persischen Golf. Dabei blieb es vorerst.
Neue Gastanker aus Korea
Der Wert des mit 6.000 Quadratkilometern größten Gasfeldes der Welt wurde erst 20 Jahre später erkannt. Doch es gab ein Problem. Auf den Hauptmärkten war die Gasversorgung bereits aufgeteilt, Russland lieferte per Pipeline an Europa und die USA versorgten sich selbst. Katar beschloss daher, den Gasmarkt herauszufordern.
Um Platz zu sparen, wurde das Gas auf minus 162 Grad gekühlt und verflüssigt. Das Volumen von flüssigem Gas (LNG) ist um das 600-fache kleiner als im gasförmigen Zustand. Korea bekam den Auftrag, Schiffe zu bauen, die doppelt so groß waren wie herkömmliche Flüssiggastanker. Katar konnte nun größere Mengen zu billigeren Preisen exportieren. Und hatte Erfolg.
Der erste Kunde war Chubu Electric Power, ein japanischer Stromproduzent, der Toyota belieferte. Am 23. Dezember 1996 legte das erste Schiff mit einer Fracht von 135.000 Kubikmetern LNG in Richtung Japan ab. Nach Russland und dem Iran hat Katar heute die drittgrößten Erdgasreserven der Welt. Im heurigen April wurden mehr als 77 Millionen Tonnen LNG exportiert, damit liegt der Wüstenstaat vor den USA. Die Abhängigkeit ist jedoch hoch. 80 Prozent der katarischen Staatseinnahmen stammen aus dem Gas- und Ölsektor.

Venedig in der Shopping Mall.
- © Bernd VasariWenn sich tagsüber die Hitze ausbreitet, ziehen sich die Kataris zurück in ihre Gemächer, um ein Mittagsschläfchen zu halten, oder sie gehen shoppen in einem der vielen Luxustempel, wie etwa der Villaggio Mall. Die Männer ganz in weiß, in ihrem traditionellen bodenlangen Hemdgewand, mit Kopftuch, darüber ein langes schwarzes Band mit Quaste, die Frauen in schwarz, verschleiert und ebenso in Stoffen, die bis zum Boden reichen. Sie spiegeln sich auf frisch polierten Böden, genauso wie die leuchtenden Schriftzüge, die an den verschiedenen Shops angebracht sind.
Mit Nobelmarken wie Gucci, Prada und Hugo Boss allein ist es aber nicht getan. Inmitten der breiten Gänge wurde ein Wasserkanal angelegt, der in ein kreisförmiges Becken mündet, wo Gondolieri in gestreiften T-Shirts auf eine Fahrt in ihren Gondeln einladen. Ein künstliches Venedig am Reißbrett. Auch die Fassaden der Läden sind der italienischen Lagunenstadt nachempfunden. Darüber ein blauer Himmel mit weißen Wölkchen. In einem anderen Teil der Villaggio Mall gibt es einen Eislaufplatz.
Konsum ohne Ende in einer künstlichen, klimatisierten Welt, während die Außentemperatur bei bis zu 50 Grad liegt. Es ist genau nach dem Geschmack der Kataris, die zufrieden sind mit ihrer Regierung: "Die Regierung ist reich. Aber wir sind es auch. Sie teilen mit uns", sagen sie. Ausbildung, Arztbesuche, Strom- und Wasserversorgung sind gratis, es gibt keine Steuern, ein Arbeitsplatz wird garantiert – die meisten Kataris sind Beamte. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf betrug im Vorjahr 91.763 US-Dollar, damit lag Katar hinter Luxemburg und Singapur auf Platz drei. Bei der Arbeitslosenrate ist Katar weltweit führend – sie lag 2021 bei 0,3 Prozent.
Hochhäuser auf Sand und automatische U-Bahnen
Die Fußball-WM treibt die Entwicklungen im Land noch zusätzlich an. In den vergangenen Jahren wurde vor allem die Hauptstadt Doha von Grund auf neu gestaltet. Durch gewaltige Sandaufschüttungen entstanden hypermoderne Viertel entlang der Uferpromenade Corniche, die nun einen Halbmond bildet. Mehrere dutzend Hochhäuser wurden darauf gebaut. Weiter im Norden wurde "The Pearl" (die Perle), eine 400 Hektar große künstliche Insel für Superreiche geschaffen.

Auf Sand gebaut, die Skyline von Doha.
- © Bernd VasariKatar setzt zudem auf Öffentlichen Verkehr. Es gibt seit kurzem drei selbstfahrende U-Bahnlinien mit 37 Stationen, Straßenbahnlinien mit klimatisierten Wartehäuschen und zahlreiche Elektrobusse. Sechs der neu gebauten acht WM-Stadien sind per U-Bahn erreichbar.
Architekt Ming Pei, Schöpfer der Louvre-Pyramide in Paris, entwarf das Museum für Islamische Künste, vom französischen Architekten Jean Nouvel stammt das neue Nationalmuseum in Form einer Wüstenrose, und die irakisch-britische Architektin Zaha Hadid zeichnete die Pläne für das WM-Stadion Al Janoub in Form einer Muschel.
Alte Stadtviertel werden abgerissen und durch moderne Architektur wie in Msheireb ersetzt. Oder sie werden gründlich saniert, wie der Souq Waqif, der mit seinen süßen Wasserpfeifengerüchen, verwinkelten Gässchen und tanzenden Vierteltonmusikern jedes arabische Klischee von Tausend und einer Nacht bedient. Glanz, Glorie und ein bisschen Größenwahn. Geht es nach der Regierung, soll es genauso weitergehen.
Die Nachbarn des Wüstenstaates sind von dieser Entwicklung jedoch wenig begeistert. Katar liegt zwischen Saudi-Arabien und dem Iran, zwei Großmächten der Region mit stark rückwärts gerichteter Politik. Katar will sich daher Gewicht auf der Weltbühne verleihen, unentbehrlich sein, strategisch absichern, um nicht dieselbe Erfahrung wie Kuwait machen zu müssen. Im Jahr 1991 marschierte der Irak unter Saddam Hussein in dem kleinen Land ein. So wie Kuwait gegen den Irak hätte auch Katar keine Chance, den beiden Großmächten Saudi-Arabien und Iran militärisch standzuhalten.
2005 wurde daher der Staatsfonds Qatar Investment Authority gegründet, der weltweit investiert und über den Katar Firmenbeteiligungen etwa bei Volkswagen, der Deutschen Bank, Siemens, dem Flughafen London-Heathrow, der Credit Suisse, Barclays und Hapag-Lloyd hält. Neben Paris Saint Germain wurde auch in die Fußballklubs Bayern München, AS Roma, Boca Juniors und FC Barcelona investiert und ein Trainingszentrum, die "Aspire Academy for Sports Excellence", für 770 Millionen Euro gebaut. Der FC Bayern und Paris Saint Germain halten seit mehreren Jahren hier ihre Wintertrainingslager ab.
Auch in der internationalen Diplomatie möchte der Wüstenstaat seinen Einfluss vergrößern. In den Wirren des Arabischen Frühlings 2011 verzettelte sich Katar jedoch. Nach dem Fall der Diktatoren in Tunesien und in Libyen war Ägypten an der Reihe. Katar setzte folgerichtig auf die Muslimbruderschaft, die bei den ersten freien Wahlen in Ägypten auch tatsächlich an die Macht kam. Saudi-Arabien missfiel die Unterstützung aus Katar für freie Wahlen und für die Muslimbruderschaft.
Mit milliardenschweren Beträgen für das ägyptische Militär unter General Abdel Fattah al-Sisi sollten die Wahlsieger gestürzt werden, was auch gelang. Al-Sisi kam in Ägypten an die Macht, und Saudi-Arabien stufte die Muslimbruderschaft als Terrororganisation ein.
Gute Beziehungen zu den Taliban
Die Beziehungen Katars zu den Taliban, die 2013 ihr einziges Auslandsbüro in Doha eröffneten, vergrößerten die Spannungen mit Saudi-Arabien, aber auch mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain. Die beiden Emirate waren zudem verstimmt, weil Katar ihr Angebot ablehnte, die Fußball-WM gemeinsam auszutragen.
Katar spielte ein gefährliches diplomatisches Spiel. Doch was sollte schon passieren, wenn die USA ihre größte Luftwaffenbasis im Nahen Osten, im katarischen Al-Udeid, haben?
Katar fühlte sich sicher und war inmitten der Vorbereitungen für die WM, als Donald Trumps Schwertertanz im saudischen Königspalast am 20. Mai 2017 die Machtverhältnisse verschob. Etwas ungelenk schunkelte der damalige US-Präsident zwischen den Folkloretänzern der Saudis hin und her. "Das war ein toller Tag", schwärmte Trump danach bei der Pressekonferenz. Die Saudis stimmten ihm zu, auf diesen Tag hatten sie gewartet. Die beiden Staaten schlossen ein Wirtschaftsabkommen im Wert von 380 Milliarden Euro, ein Drittel davon ein Rüstungsdeal, einer der größten in der US-Geschichte.

Donald Trump als US-Präsident bei seinem Besuch in Saudi-Arabien im Mai 2017.
- © AFPSaudi-Arabien konnte nun auf den Rückhalt der USA zählen. Das hatte schwerwiegende Folgen. Gut zwei Wochen später, am 5. Juni 2017 brach eine Allianz von Bahrain, den Vereinigten Arabischen Emirate und Ägypten unter saudischer Führung alle Verbindungen nach Katar ab. Die Grenzen wurden geschlossen, Überflugsrechte gestrichen, alle Handelsbeziehungen stillgelegt. Warum Saudi-Arabien diesen Boykott wagte, war einen Tag später klar. Per Tweet bezichtigt Trump Katar der Finanzierung von Terrorismus.
Trumps Schwertertanz und seine Folgen
War die Fußball-WM in Katar damit am Ende? Würde Katar in die Knie gehen und schließlich doch zur Provinz Saudi-Arabiens werden?
Katar hielt dem Druck stand und wusste sich zu helfen. Per Flugzeug wurden tausende Kühe aus Australien eingeflogen, mithilfe von Hydrokulturen wurde Gemüse angebaut. Die Handelsbeziehungen zur Türkei und zum Iran wurden gestärkt. Und das Volk stellte sich hinter den Herrscher. Im ganzen Land wurde das Konterfei von Tamim bin Hamad Al-Thani plakatiert, darunter der Schriftzug "Tamim, der Ruhmreiche". Der geopolitische Wind drehte sich zugunsten Katars. Saudi-Arabien musste zusehen, wie Katar innerlich gestärkt wurde, die eigene Produktion ausbaute und neue Handelspartner fand. Zudem vermittelte Katar erfolgreich zwischen den Taliban und den USA. Die größenwahnsinnig anmutende Strategie, das einzige Auslandsbüro der radikalen Islamisten und gleichzeitig die größte US-Luftwaffenbasis im Land zu haben, machte sich bezahlt.
Und dann verlor auch noch Trump die US-Wahlen. Kurz vor der Angelobung des neuen US-Präsidenten Joe Biden beendete die Allianz rund um Saudi-Arabien die Blockade am 5. Jänner 2021.
Nehammer und Gewessler in Doha
Ein weiteres Ereignis kam Katar zugute. Seit dem Einfall Russlands in der Ukraine stehen die Gasvorräte Katars ganz oben auf der europäischen Einkaufsliste. Bereits im März reisten der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) und Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) nach Doha, um ein neues Gasabkommen zu schließen.
Schon seit längerem baut die Alpenrepublik ihre Präsenz in dem Wüstenstaat aus. Neben der österreichischen Botschaft hat auch die Wirtschaftskammer ein Büro in Doha. Im Jahr 2021 exportierte Österreich Waren in Höhe von 109 Millionen Euro nach Katar und steigerte das Volumen um 45 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Im Gegenzug wurden Waren im Wert von 8,6 Millionen Euro importiert, eine Steigerung von 52,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Kanzler Nehammer gibt jedoch zu bedenken: "Wir sind nicht die Einzigen, die in diese Region reisen."
Auch Europas größte Volkswirtschaft, Deutschland, zeigt großes Interesse. Laut Bundeskanzler Olaf Scholz wollen beide Länder ihre Beziehungen vertiefen. In Windeseile soll nun der erste deutsche LNG-Terminal gebaut werden, die Anlage in Wilhelmshaven an der Nordsee soll bis Ende des Jahres fertig sein. "Das ist ein großer, großer Fortschritt. Katar spielt eine große Rolle in unserer Strategie", erklärte Scholz nach seinem Besuch in Doha im Mai. Andere europäische Länder wie Frankreich, Spanien, Italien und die Niederlande können bereits auf bestehende LNG-Terminals zugreifen.

Grüner Rasen mitten in der Wüste, dahinter das WM-Stadion al-Bayt.
- © Bernd VasariDas Eröffnungsspiel der WM findet zwischen Gastgeber Katar und Ecuador am kommenden Sonntag statt. Aufgrund der Glut-Hitze im Sommer wurde die WM erstmals in den Winter verlegt. Austragungsort ist das 60.000 Zuschauer fassende al-Bayt Stadion. Das Stadion ist einem Beduinenzelt nachempfunden und liegt mitten in der Wüste.
Rund um das Stadion ist davon aber nichts zu bemerken. Ein künstlicher Wasserpark reflektiert die Sonnenstrahlen. Über die teichartige Anlage führen Holzbrücken, die mit Tretbooten in Schwan- und Delfinformen durchquert werden können. Dazu gibt es mehrere Hektar große Rasenflächen, akkurat geschnitten und in saftigem Grün. Für die Instandhaltung sorgen schlanke Männer mit dunklem Teint in blauen Overalls. Still gießen sie den Rasen, fegen den Sand von den Wegen, stehen auf den Gerüsten.
Es sind vor allem Männer aus Bangladesch, aus dem indischen Kerala, von den Philippinen, Männer, ohne die kein einziges Stadion stehen würde, die bei ihrer Arbeit der Hitze ausgesetzt sind und dafür sorgen werden, dass alles funktioniert, während die Zuschauer in den auf 21 Grad klimatisierten Arenen sitzen. Drei Millionen Menschen leben in Katar, gut 90 Prozent davon sind Gastarbeiter aus den ärmsten Gegenden der Welt.

Drei Millionen Menschen leben in Katar, 90 Prozent davon sind Gastarbeiter.
- © Bernd VasariTausende von ihnen sollen während der Arbeiten für die WM umgekommen sein. Amnesty International spricht von Ausbeutung, sexueller Gewalt und extremen Abhängigkeitsverhältnissen. Zahlreiche Fußballfans fordern den Boykott der WM in Katar, das Nationalteam Dänemarks wird aus Protest mit Trikots ohne erkennbares Logo spielen, und Sepp Blatter, der als Fifa-Chef die WM-Vergabe an Katar verkündete, sagte zuletzt, dass die Wahl Katars ein Irrtum war.
"Menschenbild aus einem anderen Jahrtausend"
Katar tut sich schwer mit den Vorwürfen. Als "sehr arrogant und sehr rassistisch" bezeichnet Außenminister Mohammed bin Abdulrahman Al Thani die Kritik aus Europa. Er könne nicht verstehen, dass für den WM-Ausrichter "auf einmal andere Maßstäbe" gelten würden. Für die Arbeiter seien die Unternehmen verantwortlich. Trifft Katar also gar keine Schuld, sondern spielt das Land nur offen nach den Regeln, die seit langem bestehen?
Auch bei gesellschaftlichen Fragen landet Katar regelmäßig in den Schlagzeilen. Zuletzt nannte WM-Botschafter Khalid Salman Homosexualität "einen geistigen Schaden". Laut katarischer Gesetzgebung drohen Lesben und Schwulen lange Haftstrafen. "Das ist ein Menschenbild aus einem anderen Jahrtausend", sagt dazu der deutsche Nationalspieler Leon Goretzka.
Eine Million Besucher erwartet Katar in den vier Wochen während der WM. 3,5 Milliarden Menschen werden die Spiele an den Fernsehschirmen verfolgen. Katar scheute keine Kosten, rund 200 Milliarden Euro investierte der Wüstenstaat in die WM, sieben der acht Stadien wurden neu gebaut. Werden sich die Investitionen bezahlt machen?
Neymar, Mbappe und Messi sind auf unzähligen Plakaten allgegenwärtig: in U-Bahnstationen, in Shopping-Malls, auf überdimensionalen Hochhausfassaden, von denen sich ihre Bilder im Wasser des Persischen Golfes spiegeln. Bald werden sie hier ihre Mannschaftshotels rund beziehen, mit dem Ziel, den WM-Titel zu gewinnen.
Wer Weltmeister wird, spielt für Katar keine Rolle. Denn der Wüstenstaat hat bereits bekommen, was er wollte: die totale Aufmerksamkeit, Einfluss und sogar das i-Tüpfelchen. Die Verlegung der WM in den Winter hat nicht nur klimatische Vorteile. Am 18. Dezember begeht Katar seinen Nationalfeiertag – es ist der Tag, an dem auch das WM-Finale stattfindet.
Und die Chancen stehen gut, dass einer ihrer drei Topstars an diesem Tag den WM-Pokal in den arabischen Nachthimmel streckt.