
WZ Christian Mayr
- © Wiener ZeitungBevor die Vorrunde (hoffentlich) in ein Finale furioso mit spannungsgeladenen Parallelspielen geht, ist es Zeit, eine erste Bilanz zu ziehen: Abgesehen von der hohen Anzahl an torlosen Remis (bis Montag Nachmittag waren es schon deren fünf - im Gegensatz zu einer einzigen Nullnummer vor vier Jahren) und bis dato wenigen Offensivspektakeln mit beidseits vielen Toren, lassen sich schon drei konkrete Schlüsse aus der Gruppenphase ziehen.
- Lass dich nicht ablenken! Ging es früher darum, ob Spielerfrauen in die WM-Camps eingelassen werden sollen und ob diese statt für gewünschte Entspannung eher für unerwünschte Ablenkung sorgen, so hat diese Rolle in Katar die ominöse Regenbogen-Schleife übernommen. Insbesondere die Deutschen wollten im problematischen Wüstenemirat Zeichen setzen und Haltung zeigen - drohten allerdings statt echte Weltmeister nur jene im Weltverbessern zu werden. Nach der 1:2-Blamage gegen Japan und der Erkenntnis, dass man mit Aktionismus auf dem Feld auch die eigenen Fans spaltet, konzentrierte man sich gegen Spanien wieder ganz aufs Kicken - mit dem 1:1 als Belohnung. Die sportpolitisch nicht minder motivierten Dänen bekamen nach dem enttäuschenden 0:0 gegen Tunesien sogar Sprech- und Aktionismusverbot - was sich beim starken 1:2 gegen den Weltmeister auch spielerisch bemerkbar zu machen schien.
- Ein Fußballspiel dauert nicht mehr 90 Minuten! Spätestens am zweiten WM-Tag war klar, dass die Fifa diese uralte Fußballregel außer Kraft gesetzt hat. Statt wie früher am Ende drei bis vier Minuten nachspielen zu lassen, so endet in Katar kaum eine Partie ohne vorher mindestens sieben bis acht Minuten draufgeschlagen zu haben. Pro Tor und Wechsel kommt in etwa eine Minute dazu. Gibt es längere (Verletzungs-)Unterbrechungen, kann es wie bei England vs. Iran auch eine halbe Stunde sein - also im Ausmaß einer Verlängerung.
Das mag zwar alles für mehr Fairness sorgen (insbesondere für Teams im Rückstand), konsequent ist es aber nicht: Denn die ganzen Outbälle, Liegeeinheiten und sonstigen Ballroll-Pausen würden noch viel mehr hergeben. Den übersättigten Fans reichen aber die 90 Minuten Fußball eigentlich eh schon aus.
- Der Schiri hat immer recht, auch wenn er nicht recht hat! Diese Weisheit, die man schon den Miniknaben beibringt, erfährt bei der WM im Zeitalter des Videobeweises eine neue Facette. Denn selbst wenn der Schiri wieder einmal etwas falsch wahrgenommen hat, war die Erwartung doch groß, dass die bereits acht (!) menschlichen Augen im VAR-Room die Bilder der mehr als 20 Kameras richtig interpretieren können. Tun sie aber nach wie vor nicht. Den wackeren Kanadiern wurden gegen Belgien gleich zwei Penaltys, den Argentiniern deren einer (gegen Saudi-Arabien) vorenthalten. Das eklatanteste Missverhältnis gab es beim Ronaldo-Elfer gegen Ghana: Halb stieß man ihn, mehr sank er hin - und schon gab es den Pfiff für den Superstar. Der tags darauf von einem Senegalesen im Strafraum umgerannte No-Name-Katari wurde indes höflich gebeten, sich abzuputzen und weiterzuspielen. Kritik sinnlos, denn wenn der VAR net will, nutzt reklamieren gar nix. Der Videobeweis ist und bleibt eben ein eigenes Kapitel - demnächst an dieser Stelle zu lesen.