Lyon. (art) Die US-Frauen im Finale einer Fußball-Weltmeisterschaft - die Geschichte ist beinahe ebenso bekannt wie jene der vergebenen Elfmeter bei englischen Teams. Am Dienstagabend fanden beide Narrative ihre Fortsetzung. Alex Morgan und Co. setzten sich im Halbfinale in Lyon gegen die Lionesses mit 2:1 durch; Englands Kapitänin Steph Houghton hatte in der 84. Minute einen erst nach Konsultierung des Videoschiedsrichters verhängten Penalty verschossen. So weit, so unangenehm für das selbsternannte Mutterland des Fußballs. Doch die Geschichte dieser WM ist damit auch für dieses noch nicht zu Ende erzählt.
Denn nicht nur, dass es nun im kleinen Finale am Samstag (17 Uhr) gegen die Verliererinnen des zweiten Semifinales zwischen Schweden und den Niederlanden (Mittwoch nach Redaktionsschluss) noch um die zweite Bronzemedaille hintereinander geht, schrieb die WM in Frankreich auch auf der Insel neue Rekorde - und nährt die Hoffnungen in eine goldene Zukunft des Frauenfußballs. Schon gegen Norwegen hatte die BBC Spitzen von 7,6 Millionen TV-Zuschauern verzeichnet, am Dienstag wurden diese noch spielend übertroffen. Erste Analysten sprechen gar von bis zu 11,7 Millionen Sehern und einem Marktanteil von bis zu 50,8 Prozent - womit das Spiel die meistgesehene Sendung des bisherigen Jahres wäre. Und auch wenn manche diese Zahlen anzweifeln, so war die Begeisterung, die dem Team von Phil Neville trotz der neuerlichen Semifinalniederlage - nach jener bei der WM vor vier Jahren in Kanada sowie bei der EM in den Niederlanden 2017 - entgegenschlug, allerorten spürbar: In den Pubs, in den Bars und selbst beim traditionellen Glastonbury-Festival wurde gemeinsam Fußball geschaut, gefeiert und am Ende auch geweint.
"Ihr habt uns stolz gemacht"
Für Neville, der sich zu Beginn seiner Amtszeit noch Vorwürfen ausgesetzt sah, er nehme den Frauenfußball nicht ernst genug, mittlerweile aber ziemlich unumstritten ist, besteht zu Letzterem freilich kein Anlass, wie er betonte. Er wolle "keine Tränen, sondern ein Lächeln" sehen, sagte er. "Ja, wir haben verloren. Aber die Art und Weise, wie wir verloren haben, ist genau das, was ich sehen wollte." Und selbst das Urteil von Englands Ex-Fußballikone und Obertwitterant Gary Lineker fiel beinahe euphorisch aus: "Wieder eine Semifinalniederlage für ein englisches Team. Aber so herzzerreißend es ist - Lionesses, ihr habt uns stolz gemacht", ließ Lineker die Welt via Internet wissen. Während in England also schon Wetten angenommen werden, wonach die Frauen und nicht die Herren es sein werden, die der Nation in Bälde den ersten großen Titel seit 1966 bescheren könnten, sind die US-Frauen ihren Landsmännern im Fußball ohnehin schon mehrere Schritte voraus. Zum dritten Mal hintereinander stehen Morgan - um deren an die Boston Tea Party 1773 gemahnenden Jubel es Misstöne gab - und Co. in einem WM-Finale, am Sonntag greifen sie im 59.000 Zuschauer fassenden Parc Olympique Lyonnais nach ihrem insgesamt vierten Titel. Auch über den großen Teich ist die Welle der Euphorie längst übergeschwappt. Auch wenn man diese Erfolgsgeschichte, die sich nach Wünschen der Equipe künftig auch monetär niederschlagen soll, schon kennt.