Etwas versteckt an einer kleinen Bushaltestelle in der Salzburger Vorstadt prangt ein Plakat des Uefa-Biersponsors: "Es ist nicht das Ende der Festspielzeit, sondern der Beginn der Champions League." Ein Spruch, der am Dienstagabend mehr Realität wurde, als sich das die Anhänger von Red Bull Salzburg zum Auftakt der Königsklasse je erträumt hätten. Der 6:2-Sieg über den belgischen Meister KRC Genk zur Premiere der Uefa-Meisterklasse auf Salzburger Boden geriet zu einem wahren Triumphmarsch, der die oft als Kühlbox zitierte Bullen-Arena in ein Tollhaus verwandelte, in dem die Fans gar nicht mehr zum Niedersitzen kamen. Festspiele des kleinen Mannes eben. Mit Dauer-Standing-Ovations noch während der Aufführung.
Dabei deutete Stunden zuvor noch recht wenig daraufhin, dass an jenem 17. September Historisches in einer nicht gerade an Historischem armen Stadt passieren würde. Champions League? Premiere? Salzburg? In der Getreidegasse dominiert das gewohnte Bild aus Touristenmassen – Asiaten, Araber, Russen. Dazu viele blaue Einsprengsel, denn die gut 800 Gäste aus Belgien hatten es sich in den Altstadt-Schanigärten häuslich gemacht. Nur vereinzelt blitzen rote Stiere auf Leiberl oder Kappen in der Menge auf. Als plötzlich am Alten Markt Fanchoräle aufbranden, dreht sich eine Reisegruppe erschrocken um. "Its the first time they play in the Champions League", versucht ein hiesiger Reiseführer etwas verächtlich zu erklären. Irrtum, auch dieser Lärm stammt aus Kehlen von Genk-Fans.
"Warten lohnt sich" - Salzburg mit Sinn für Humor
Welch Unterschied zu 2008, als die Uefa – wie nun mit drei Matches – mit der EM in der Stadt des Genius gastierte. Mit der lauten Fanzone im Herzen der Stadt, dem penetranten Logo-Branding, dem unseligen Bier-Diktat. Die Champions League ist nicht vorhanden, und wenn, dann in feinsinniger Weise. Auf dem Mirabellplatz wurde in der Haltestelle ein gut gepolsterter Thron platziert – wer sich wagt, draufzusetzen, wird mit dem Ertönen der Champions-League-Hymne überrascht. Die stammt zwar aus der Feder von Georg Friedrich Händel (und nicht von Mozart), aber so kleinlich will niemand sein. Zumal der Klub mit diesem Wartehäuschen-Gag auch Sinn für Humor beweist: "Warten lohnt sich", prangt seitlich nebst dem FC-Salzburg-Logo. Im Fall von Red Bull waren es bekanntlich 14 Jahre (viel Spott inklusive), bis es zur Erstaufführung der Hymne auf Salzburger Boden kam.
Wieder auf der anderen Seite der Salzach laufen gerade die letzten Vorbereitungen für den Rupertikirtag, der nächsten Festivität in der Altstadt. Wer sich hier noch schnell für das Match eindecken will, hat Pech – keiner der zahlreichen Souvenirstände hat irgendetwas mit Fußball oder Königsklassen am Hut. Hat wahrscheinlich mit den streng verfolgten Markenrechten zu tun, mutmaßt eine Verkäuferin. "Keiner hier verkauft was von Red Bull."
Zur Not täten es aber auch eine Österreichfahne und ein blauer Hoodie mit Salzburg-Schriftzug, um doch noch halbwegs Match-tauglich zu sein. Oder man geht in das offizielle Fanartikelgeschäft, das als "Red Bull World" in der Getreidegasse etwas großspurig daherkommt. Hier gibts (fast) alles – vom Mini-Helm von Ex-Red-Bull-Pilot Daniel Ricciardo (!) um 34,95 Euro über eine Winterhaube (19,95) bis zur Champions-League-Kollektion. Der Gruppe-E-Wimpel ist für wohlfeile 14,95 Euro zu haben und dürfte wohl bald mehr Abnehmer finden. Allerdings heißt es genau schauen, denn irgendwo dazwischen liegt auch ein Kapperl von RB Leipzig.
"Früher war es Quehenberger, jetzt ist es halt Mateschitz"
Das richtige hat aber Hermann Lercher auf. Der 71-Jährige stoßt mit seinem Kompagnon Johann Seyfried im Gastgarten des berühmten Müllner-Bräu auf die Königsklasse an. "Super, dass sie endlich dabei sind. Sind eh so oft gescheitert", meint der Oberösterreicher, der auch zu jedem Liga-Heimspiel anreist. Und dass man seit einiger Zeit auf die Jungen setzt (statt auf satte Stars), findet sein Begleiter als die richtige Strategie, um mehr Zuschauer zu bekommen. "Da sind die Fans gleich viel begeisterter."
Der Wechsel von Violett zu Rot-Weiß hat beide in ihrer langjährigen Salzburg-Liebe nie irritiert. "Mein Enkerl hat damals gemeint, er schaut sich das jetzt nicht mehr an", erzählt Lercher. "Aber früher hat ja der Quehenberger gezahlt, jetzt halt der Mateschitz." Allerdings sollte man es mit den Spielerverkäufen wie heuer im Sommer auch nicht übertreiben, finden beide: "Dass man jetzt schon wieder rechnet, wie viele Millionen ein Verkauf vom Haaland bringen würde – das ist nicht gut. So einer wie der Ulmer, der taugt mir, der ist schon so lange dabei." Dass beide an diesem Abend mit zusammen vier Toren noch zu Hauptdarstellern würden, konnten die Pensionisten nicht ahnen.
Vereinstreu seit gut 25 Jahren ist auch Thomas Pfeffer, der als Wiener von den Salzburger Fußballfestspielen in der Bundeshauptstadt anno 1994 mitgerissen wurde: Uefa-Cup-Finale und Champions League unter Otto Baric im Prater. "Düdelingen war wichtig. Denn danach wurde unter Rangnick wirklich gut gearbeitet", meint der Donaustädter, der die Blamage gegen die Luxemburger Amateure anno 2012 als heilsamen Schock empfindet. Und jetzt? "Jetzt ist in der Champions League alles möglich."
Matchwinner Haaland
Stunden später schon sollten diese Worte Realität werden und den vom Platzsprecher mehrfach bemühten "historischen Moment" auch sportlich zu einem solchen machen. Kaum waren die letzten Töne der Champions-League-Hymne verklungen, und kaum war der überdimensionale Mozart vor der Nordtribüne eingerollt, zappelte auch schon der Ball im Netz der Belgier – Erling Haaland hatte nach gut 100 Sekunden den Ball ins Tor gedonnert. Und wäre mit seiner Testosteron-Überdosis wohl bis zur Didi-Mateschitz-Loge raufgeklettert, wenn ihn seine Mannschaftskameraden vorher nicht niedergejubelt hätten. "Nach dem ersten Treffer war das beste Gefühl, das ich je hatte", sagte der Norweger anschließend, der sich als dreifacher Torschütze als Souvenir auch den Matchball sicherte. Seine weiteren Treffer (34., 45.) sowie jene von Hwang Hee-chan (36.) und Dominik Szoboszlai (45.+2) bescherten einen schier unfassbaren Halbzeitstand von 5:1. Da hörte man in der zum Luftholen fast lebensnotwendigen Pause einen altbekannten Spruch von einem vorderen Rang: "I wer narrisch!"
Das halbe Dutzend voll machte schließlich noch Andreas Ulmer (66.); die Salzburger waren trotz einiger defensiver Unzulänglichkeiten dem siebten Streich sogar näher als die Belgier einem weiteren Treffer. "Es war ein geiler Abend", fasste der Kapitän die zum emotionalen Hochamt mutierte Königsklassen-Premiere zusammen.
Und während Trainer Jesse Marsch ("Die Mannschaft hat unheimliches Potenzial und kann noch besser spielen") einen Kreis aus Akteuren und Funktionären bildete, um an die Tagesbesten symbolisch Matchbälle mit dem Sternenbanner zu verteilen, hallte zum Abschluss "An Tagen wie diesen" von den Toten Hosen durchs sich langsam leerende Oval. Auch so ein Klassiker, der Gänsehaut und feuchte Augen beschert.
Und der nächste wartet schon in zwei Wochen, wenn in Anfield "Youll never walk alone" angestimmt wird. Das nächste Highlight, die nächste Premiere, die nächste Sternstunde? "Alles ist möglich", sagt bekanntlich der Fan.