Alle wollen nach Katar. Alle? Nun ja. Rund um den Start der WM-Qualifikation (Schottland-Österreich heute, 20.45 Uhr) kochte der Widerstand gegen die Advent-WM 2022 wieder einmal hoch. Berichte über Menschenrechtsverletzungen und Todesfälle von Gastarbeitern auf den Großbaustellen - der "Guardian" berichtete von 6.500 alleine aus offiziellen Angaben - haben die Debatte wieder geschürt.
Die norwegische Nationalmannschaft setzte zum Auftakt der Qualifikation gegen Gibraltar (3:0) ein Zeichen und erschien in T-Shirts mit den Aufschriften "Respect - on and off the pitch" sowie "Human Rights - on and off the pitch". Andere - darunter namhafte Klubs, tausende Menschen, die sich in Dänemark einer Petition angeschlossen haben, die im Parlament behandelt werden soll, sowie Fan-Vertreter in Frankreich - fordern gar den WM-Boykott.
Realistisch ist es freilich nicht, dass auch nur irgendeine Mannschaft, die sich sportlich qualifiziert, einen Rückzieher macht. Schon vor dem Turnier in Russland 2018 gab es ähnliche Forderungen, die ungehört verhallten, mit den Olympischen Spielen 2022 in China wird es ähnlich sein. Schließlich geht es für die Teilnehmer zum einen um viel Geld - in Russland wurden insgesamt 344 Millionen Euro an die Teilnehmerverbände ausgeschüttet -, zum anderen auch um die Verantwortung der Verbände den Sponsoren und ihren Spielern gegenüber, für die ein Großereignis die beste Chance ist, sich vom Flut- ins Rampenlicht zu dribbeln.
Und zum dritten stellt sich nicht nur für die Pragmatiker der Sportorganisatoren, die kein Problem damit haben, ihre Turniere an demokratiepolitisch bedenkliche Staaten und Regimes zu vergeben, die Frage nach der Sinnhaftigkeit von Boykottaufrufen. In der jüngeren Vergangenheit hatten solche nur einmal Erfolg: Nach anhaltenden Protesten von Spielern, Ländern und auch der EU-Kommission wurde Weißrussland der Co-Gastgeberstatus der in diesem Mai stattfindenden Eishockey-WM entzogen. Allerdings geschah dies offiziell nicht aufgrund des internationalen Drucks, sondern der unklaren Sicherheitslage in und um Minsk - ein Kniff, mit dem man sportpolitische Spannungen zu umschiffen suchte.
Gespräche und Reformen
Meist aber setzen die Verantwortlichen, die sonst keine Gelegenheit auslassen, die Trennung zwischen Politik und Sport zu proklamieren, auf Dialog. Erst kürzlich sagte Fifa-Präsident Gianni Infantino wieder, Boykottaufrufe seien "definitiv der falsche Weg. Es ist immer, war immer und wird immer der einzige Weg sein, in den Dialog zu treten und sich zu engagieren, um Veränderungen herbeizuführen."
Während dies bei Infantino, der streng nach jahrzehntelang praktizierten Branchenusancen vorgeht, kaum überrascht, stimmte sogar Amnesty International in diese Argumentation ein. Expertin Regina Spöttl attestierte Katar Gesprächsbereitschaft und den Anstoß von Reformen, etwa was das weithin als "moderne Sklaverei" bezeichnete Kafala-System angeht.
Norwegens Teamchef Stale Solbakken nannte die Ausweichmanöver zwar "vage und feige" - dass sein Team die WM boykottieren werde, kommt aber auch für ihn nicht in Frage. Es gehe aber darum, "worüber wir gesprochen haben, den Fokus auf das zu legen, was außerhalb des Feldes diskutiert worden ist". Als mehr, aber auch nicht weniger waren die Botschaften zu verstehen. Nach Katar will man aber dann halt doch auch.