Der moderne OSC Lille ist ein Kind des freien Frankreichs. Am 23. September 1944, drei Wochen nach der Befreiung der Stadt durch die Westalliierten, hatten die Klubs Olympique Lillois und SC Fives, wohl um eine unrühmliche Vergangenheit hinter sich zu lassen, fusioniert und den Namen Olympique Sporting Club angenommen. Seitdem hat der Verein nicht nur bei französischen Historikern, Patrioten und Fans einen besonderen Klang, sondern vor allem auch international. Ältere Semester werden sich vielleicht noch an das goldene Jahrzehnt zwischen 1946 und 1955 erinnern, als Lille zwei Mal den nationalen Meister- und fünf Mal den Cup-Titel gewann.
Danach herrschte mehr als ein halbes Jahrhundert Funkstille, es folgte eine schwierige Zeit, in der der OSC häufig den Aufzug in die unteren Ligen nehmen musste, ja 1969/70 sogar in den Amateurbereich abrutschte. Bis dann mit Claude Puel (2002 bis 2008) und Rudi Garcia (2008 bis 2013), dem späteren Langzeitcoach von Olympique Lyon, zwei Trainer die Bühne betraten, die das Unmögliche möglich machten: Erstmals nach 50 Jahren wurde Lille 2005 Vizemeister, sechs Jahre später holte man mit Garcia das Double. International stieg man beide Male ins Achtelfinale des Uefa-Pokals (danach Europa League) auf.
Der größte Coup gelang Lille, das sich nach diesem Höhenflug erst fangen musste und zwischen 2013 und 2017 nicht weniger als acht Trainer verschliss, aber in der Corona-Saison 2020/21. Nicht nur konnte man mit einem einzigen Punkt Vorsprung Paris Saint Germain knapp den Meistertitel wegschnappen, auch eroberten die Doggen, wie sie genannt werden, zum ersten Mal die französische Supercup-Trophäe. Für das alles verantwortlich war vor allem ein Mann: Christophe Galtier. Ein Coach, der vielen nicht nur wegen der beiden Titel für Lille, sondern auch seines völlig überraschenden Rücktritts zwei Tage nach er Meisterfeier in Erinnerung blieb. "Ich glaube einfach, dass meine Zeit hier abgelaufen ist", sagte er und nahm am Höhepunkt seiner Karriere den Hut. Nun liegt es an Nachfolger Jocelyn Gourvennec, den Klub durch die Champions-League-Gruppenphase zu führen.
Salzburgs Verteidigerproblem
Dass der OSC im Auftaktspiel der Gruppe G, wo auch Red Bull Salzburg und der FC Sevilla warten, gegen Wolfsburg nicht über ein 1:1 hinauskam, muss noch nichts bedeuten. Für die Salzburger wird das Heimspiel gegen die Franzosen am Mittwoch (21 Uhr/Servus TV/Sky) jedenfalls kein Spaziergang. Einen klaren Favoriten gibt es nicht, und vermutlich hat der verletzte Spielgestalter Zlatko Junuzovic recht, wenn er von einem "Fifty-Fifty-Spiel" spricht. Trainer Matthias Jaissle sieht es ähnlich: "Lille hat unfassbare Qualität, vor allem in der Offensive. Da müssen wir auf der Hut sein", sagte er. "In Summe ist Lille eine spielstarke Mannschaft, die mit Ball viele interessante Muster spielt."
Ein Problem gibt es dennoch: Salzburg gehen fast die Innenverteidiger aus. Allein Jaissle wischte die Angelegenheit am Dienstag rasch beiseite ("Der Kader bringt in der Breite Qualität mit") und sah die Lage in der Defensive entspannt. Zwar fehlen in Oumar Solet, Kamil Piatkowski und Albert Vallci drei Akteure verletzt, dafür schaute es bei einem vierten, Maximilian Wöber, am Dienstag mit einem Comeback "ganz gut aus".
Um als erstes ÖFB-Team seit Sturm Graz im Jahr 2000 in der Königsklasse zu überwintern, ist für die Salzburger fast ein Heimsieg gegen Lille nötig. Den Doggen geht es nicht anders, und sie dürfen zuversichtlich sein. Lille ist nicht nur ein Kind des freien Frankreichs, es ist auch aktuell der beste Verein Frankreichs. Zumindest auf dem Papier.