Es hätte eigentlich ganz anders kommen müssen: hier die junge, in Entscheidungsspielen unroutinierte Mannschaft Salzburgs, die heuer im Herbst international über ihre Verhältnisse gespielt hatte und nun ideen-, kraft- und auch etwas hilflos wirkte; dort die mit internationalen Stars gespickte Elf von Sevilla, Tabellenzweiter in Spanien, der erst 2020 zum Europa-League-Titel gerauscht war. Nach einer grottenschlechten ersten Hälfte im Geisterstadion zu Wals-Siezenheim - mit unverständlichen Fehlpässen, katastrophaler Zweikampfbilanz und de facto null Chancen - war es nur noch eine Frage der Zeit, bis die (individuelle) Klasse der Andalusier zuschlagen würde. Doch den möglicherweise spielentscheidenden Treffer verhinderte die Latte - ehe sich praktisch im Gegenzug das Schicksal auf die Seite der Bullen-Truppe schlug. Nach technisch perfektem Traumpass des bis dahin inferioren Karim Adeyemi traf Noah Okafor (50.) zum Goldtor für die Salzburger, die damit erstmals (und als erste Elf Österreichs) ins Achtelfinale der Champions League einzogen.
Tatsächlich war es diesmal nicht die individuelle Klasse des spanischen Spitzenklubs, die gepaart mit mannschaftlicher Geschlossenheit und taktischer Finesse den Ausschlag in diesem Entscheidungsspiel gegeben hat. Vielmehr war es einerseits Shootingstar Adeyemi, der in einer zweiten entscheidenden Aktion Geld-Rot für Joan Jordan (64.) erzwang, und andererseits waren es die (defensive) Kampfkraft und taktische Abgebrühtheit, mit der das junge Team den Vorsprung über die Zeit brachte, ohne in gröbere Schwierigkeiten zu geraten. Das war beim 1:1 im Hinspiel bei ebenfalls numerischer Überlegenheit und zwei verschossenen Elfmetern noch nicht so. Ein Sieg der Reife für die jüngste Elf, die es je in die K.o.-Phase der Königsklasse geschafft hat - mit einem Altersschnitt von 23,1 Jahren.
Die Sternstunde sorgte naturgemäß für Partystimmung beim rot-weiß-roten Serienmeister, dem Noch-Lockdown zum Trotz: "Natürlich herrscht Ausnahmezustand, bei uns geht es rund", berichtete Sportdirektor Christoph Freund. "Ich kann an nichts anderes denken, als mit den Jungs bis Samstag zu feiern", ergänzte Adeyemi. Und Rasmus Kristensen, der sich nach jedem gewonnenen Zweikampf die Seele aus dem Leib schrie, hatte beim TV-Interview Tränen in den Augen. "Es war sicher der schönste Abend meiner Karriere, ein super Gefühl. Wir haben das so verdient." Nachsatz des dänischen Rechtsverteidigers: "Es ist wichtig, diesen Moment zu genießen und zu feiern. Das machen wir auch."
"Jeder gibt für jeden alles"
Der zum "Man of the Match" gekürte Okafor hob folgerichtig den Mannschaftsgeist als Schlüssel zum Sieg hervor, wiewohl das Team auch diesen Sommer neu zusammengewürfelt worden war. "Unser großes Erfolgsgeheimnis ist der Zusammenhalt innerhalb der Mannschaft, das hat man heute speziell gemerkt. Jeder gibt für jeden alles", meinte der Schweizer Stürmer. So wie Freund wünscht sich auch Okafor nun Manchester United als Achtelfinal-Rivalen im Februar/März. Dies würde ein Wiedersehen mit Trainer Ralf Rangnick bringen, aber auch ein Duell mit Cristiano Ronaldo. "Wir haben schon bewiesen, dass wir jeden Gegner fordern und auch gegen jeden Gegner bestehen können."
Auch Coach Matthias Jaissle hätte gegen die Red Devils nichts einzuwenden. Mit Rangnick tauschte der 33-Jährige noch vor dem Sevilla-Match Textnachrichten aus, beide kennen einander schon aus gemeinsamen Zeiten bei Hoffenheim. Als Gruppenzweiter von Pool G - den Gruppensieg holte OSC Lille mit dem 3:1-Erfolg in Wolfsburg - muss die Bullen-Truppe gegen einen Sieger der anderen sieben Gruppen antreten. Auch die Bayern und Liverpool, beide Kontrahenten vor einem respektive zwei Jahren, sind möglich. Ausgelost wird am Montag um 12 Uhr.
In der Stunde des größten (persönlichen) Triumphs für den erst 33-jährigen Jaissle wollte dieser übrigens nur kurz Teil der Salzburger Jubeltraube sein, ehe er bald alleine in die leere Kabine trottete. "Ich wollte einfach zwei, drei Minuten alleine sein", erzählte der Deutsche. So blieb ihm Zeit, noch einmal die 90 Minuten Revue passieren zu lassen. Es sei kein perfektes Spiel gewesen, so Jaissle. "Aber wir waren nahe dran."
"Größter Erfolg des Klubs"
Für Sportdirektor Freund ist der Achtelfinal-Einzug auch aus einem anderen Grund historisch: "Das ist der größte Tag unserer Vereinsgeschichte", meinte er. Womit er den Einzug unter die besten 16 Klubs Europas noch über die sagenhafte Uefa-Cup-Saison 1993/94, die bekanntlich im Finaleinzug gipfelte, stellte. Wiewohl damals noch als violetter SV Austria Salzburg. "Ich bin extrem stolz auf den ganzen Verein, die Akademie, die ganze Geschäftsstelle, wir sind ein richtig geiler Verein. Wir haben uns alles erarbeitet die letzten Jahre und genießen es. Ich auch, weil ich solange dabei bin, weil so einen Moment erlebt man nicht so oft." Auch die Klubkasse kann sich sehen lassen - allein an Uefa-Prämien wurden rund 35 Millionen Euro verdient. Absoluter Rekord für österreichische Verhältnisse.