Nein, "Wödmasta" ist Oliver Glasner noch lange keiner. Vergleiche mit dem großen Ernst Happel, der als bis dato letzter österreichischer Trainer einen Europacupsieg feiern durfte (1983 den Meistercup-Triumph mit dem HSV), würde der bescheidene Oberösterreicher peinlich berührt zurückweisen. Doch nach dem 3:2-Sieg in Camp Nou und dem Aufstieg über Barcelona ins Europa-League-Halbfinale lässt der derzeit erfolgreichste rot-weiß-rote Trainerexport ganz Frankfurt vom Titel träumen - nur noch die Hürde West Ham (21 Uhr/RTL) trennt die Eintracht vom ersehnten Finale. Und damit würde nicht nur ein Fußballmärchen für den immer wieder am Abgrund stehenden deutschen Kultklub wahr werden, sondern auch für jene drei Fußballlehrer im Eintracht-Trainerstab, die einst im "Dorfklub" Ried zusammengekickt und zusammen sensationelle Erfolge gefeiert haben. Denn assistiert wird Glasner von Michael Angerschmid und Ronald Brunmayr.
Wir schreiben den 2. August 1995: Der Bundesligaaufsteiger SV Ried trifft im ersten Saisonspiel gleich auf Rapid - und zwingt den späteren Europacup-Finalisten vor 9500 begeisterten Fans mit 2:1 in die Knie. Es ist die Geburtsstunde des Rieder Fußballwunders unter der Regie von Coach Klaus Roitinger. Mit dabei an jenem August-Tag (und zuvor schon in der 2. Division) die beiden Mittelfeldakteure Glasner und Angerschmid. Die beiden Laufwunder sollten an der Seite von Spielmacher Herwig Drechsel das Spiel der Innviertler mehr als ein Jahrzehnt lang prägen. Und beide gehen in ihrer aktiven Karriere mit dem Innviertler Klub, der damals tatsächlich fußballerische Provinz war, durch dick und dünn: Cup-Sieg 1998, Europapokal-Teilnahme, Abstieg 2003, Wiederaufstieg, Vizemeistertitel anno 2007, zweiter Pokalsieg 2011 (Glasner noch als Spieler, Angerschmid bereits als Co-Trainer). Zusammen kommen sie auf sagenhafte 922 Einsätze für die Sportvereinigung.
Während es für die beiden Innviertler Urgesteine als Spieler außer Ried quasi nur Ried gegeben hat (Glasner spielte sonst nur drei Mal für den LASK), kann Brunmayr auf eine bunte Karriere zurückblicken: Der Stürmer kickte beim FC Linz und der Austria, ehe er 1998 erstmals für die Wikinger einlief; nach einem Intermezzo bei beiden Grazer Großklubs (Cup-Titel mit dem GAK) kehrt er für zwei Saisonen ins Innviertel zurück. Anders als seine beiden Kollegen brachte es Brunmayr - 2002 auch Bundesliga-Torschützenkönig - zu acht Nationalteam-Einsätzen und sogar zu einem Treffer.
Beim LASK beganns
Dass sich dieses Triumvirat nun in der Main-Metropole gefunden hat und Glasner seinen beiden Assistenten blind vertraut, kommt also nicht von ungefähr. Vor allem Angerschmid bildet mit Glasner seit fast sieben Jahren - als er als sein Co zum LASK geholt wird - ein kongeniales Trainergespann, das von Erfolg zu Erfolg eilt. Zuvor hatte Glasner den glücklosen Angerschmid - wo sonst? - in Ried noch als Trainer beerbt. Bis sich allerdings der Erfolg bei den Athletikern mit Pressing aus der Red-Bull-Schule, wo sich Glasner seine ersten Trainer-Sporen verdient hatte, einstellte, dauerte es: Erst im zweiten Jahr gelang 2017 die Rückkehr ins Oberhaus, gefolgt vom Vizemeister-Titel 2019. Der Rest vom Erfolgslied ist bekannt: Schon ereilt beide der Ruf der großen Fußballwelt mit der deutschen Bundesliga. Nach zwei Saisonen beim VfL Wolfsburg mit dem Erreichen der Champions League treten die beiden Mittvierziger im Sommer die Nachfolge von Adi Hütter bei Frankfurt an. "Uns verbindet eine lange und vertrauensvolle Freundschaft, in der man alles ausreden und auch hin und wieder vielleicht unangenehme Dinge ansprechen kann oder in gewissen Momenten besser einfach nichts sagt", meinte Angerschmid einmal in einem Interview mit den "OÖN". Nachsatz: "Glasner ist ein Perfektionist, weil er immer Dinge findet, die man besser machen kann, das treibt ihn an."
Wobei die Arbeitsteilung bei Europacupschlachten genauso wie im deutschen Liga-Alltag durchaus auffällig ist: Glasner steht im Rampenlicht, schreit, gestikuliert, während insbesondere Angerschmid im Hintergrund den strategischen Ruhepool gibt. Das war zu Rieder Kicker-Zeiten, als Angerschmid den rackernden Wadlbeißer im Mittelfeld gab, noch ganz anders.
Erst in Frankfurt ist Brunmayr zu den beiden gestoßen - als Nachfolger für den heimwärts ziehenden Thomas Sageder. Der Steyrer Brunmayr (47) hatte just den LASK-Stadtrivalen Blau-Weiß Linz zu einem Höhenflug verholfen und ihn 2021 sensationell zum Zweitligatitel geführt. Mangels Lizenz blieb der Aufstieg ins Oberhaus allerdings versperrt - der Karrieresprung gelang mit dem Wechsel zur Eintracht aber dennoch.
Erst recht, wenn man magische Nächte wie in Camp Nou erleben darf: "Das hat sich eingebrannt ins Herz für immer", sagte Glasner nach seinem bisher größten Sieg. "Diese Gefühle werde ich mitnehmen, bis ich irgendwann hoffentlich mal eine Etage höher bin." Denn noch kann es höher gehen, viel höher sogar. Und doch scheinen die drei Fußballfreunde aus den Tiefen der Innviertler Provinz geerdet zu sein: "Um abzuschalten, gehen Olli, Ronnie und ich öfter mal in die Stadt was trinken", erzählte Angerschmid zuletzt einem Reporter. Um dabei auch in guten, alten (Rieder) Zeiten zu schwelgen, als man schon einmal die (rot-weiß-rote) Fußballwelt auf den Kopf stellen konnte.