Als der Entschluss getroffen war, schossen Eilmeldungen auf die Smartphones. "Die deutsche Ikone Jürgen Klinsmann", titelte die führende Nachrichtenagentur Yonhap, "ist neuer Trainer von Südkoreas Herrennationalmannschaft." Die Nachricht toppte einen Moment lang diverse andere Themen, die eigentlich bedeutender sind: Da wären die neuen Raketen aus dem verfeindeten Nordkorea oder kontroverse Untersuchungen der Staatsanwaltschaft gegen den südkoreanischen Oppositionsführer im Parlament. Aber am Montagnachmittag dominierte Klinsmann die News.

Der Deal, den der Südkoreanische Fußballverband (KFA) nach tagelangen Spekulationen verkünden konnte, ist eine Sensation. Mit Jürgen Klinsmann kommt schließlich ein Mann ins ostasiatische Land, der 1990 als Spieler Weltmeister wurde, als Trainer Deutschlands einen überraschenden dritten Platz bei der WM 2006 erreichte und außerdem einige Jahre weitgehend erfolgreich die USA trainierte. In Südkorea - Klinsmann dritte Station als Nationaltrainer - soll er nun ein neues Fußballkapitel beginnen. Im 55-Millionenland ist Fußball neben Baseball der beliebteste Sport. Allerdings erhofft man sich seit einigen Jahren größere Erfolge als zuletzt. Bei der WM 2022 in Katar erreichten die Taegeuk Warriors, wie sich die Auswahl nennt, nach einem knappen Weiterkommen in der Gruppenphase das Achtelfinale, wo es dann eine deutliche Niederlage gegen Brasilien setzte. Der Vertrag des Portugiesen Paulo Bento, der die Elf bis dahin trainiert hat, wurde danach nicht erneut verlängert.

Die Ansprüche sind über die vergangenen Jahrzehnte gewachsen. Als Südkorea 2002 gemeinsam mit Japan die WM veranstaltete, erreichte das damals vom Niederländer Guus Hiddink trainierte Team überraschend das Halbfinale. Zehn Jahre späte holte Südkorea bei den Olympischen Spielen von London die Bronzemedaille. Aber seitdem hat es bei Weltmeisterschaften nur zweimal für das Achtelfinale erreicht. Und indem der regionale Rivale Japan mittlerweile einen Platz unter den besten 16 Teams der Welt beansprucht, liegt es nahe, dass Südkorea mitzieht. Für Klinsmann, der einen Vertrag bis nach der WM 2026 erhält, wird dies die Messlatte sein: Südkorea soll möglichst Asiens Nummer eins sein und bei Weltmeisterschaften zumindest ein zuverlässiger Teilnehmer der K.o.-Runden werden, gern aber mehr als dies.

Kein fußballerisches Entwicklungsland

Schließlich ist Südkorea kein fußballerisches Entwicklungsland mehr. Die Profidivision K-League gilt als eine der stärksten Asiens und besteht größtenteils aus einheimischen Spielern. Die größten Talente werden seit Jahren in jungem Alter von europäischen Vereinen abgeworben. Neben Südkoreas Superstar Son Heung-min, der derzeit bei Tottenham Hotspur spielt und im südkoreanischen Fernsehern ständig zu sehen ist, zählen der Verteidiger Kim Min-jae (SSC Neapel), der Stürmer Hee-chan Hwang (Wolverhampton Wanderers) und der Mittelfeldspieler Lee Kang-in von RCD Mallorca zu den bekanntesten Personalien. Als Hoffnungsträger gilt insbesondere der 23-jährige Jeong Woo-yeong vom SC Freiburg.

Die Verpflichtung von Jürgen Klinsmann lief über eine Deutschland-Connection. Anfang Januar hatte der koreanische Verband den Deutschen Michael Müller, der nach Jahren im DFB-Nachwuchsbereich ab 2018 in der Jugendförderung der KFA gearbeitet hat, als Technischen Direktor der Nationalmannschaft vorgestellt. In einem Interview erklärte Müller, bei der Trainerauswahl wolle er auf "koreanische Werte" setzen, nämlich "eine starke Mentalität und Kampfgeist." Insofern ergibt die Lösung Klinsmann, der auch als Einpeitscher bekannt ist, durchaus Sinn.

Klinsmann passt auch deshalb ins Trainerbild Südkoreas, weil sich das Land seit Jahrzehnten gern ausländischen Trainern anvertraut. Nach Guus Hiddink bekleideten noch drei weitere Niederländer das Nationaltraineramt, vor Paulo Bento gab es mit Humberto Coelho auch schon einen Portugiesen. Und Klinsmann ist nicht der erste Deutsche: Von 2014 bis 2017 verantwortete Uli Stielike das Team. Allerdings ist das Amt auch ein Schleudersitz. In den vergangenen 20 Jahren hat es 13 verschiedene Trainer gegeben, der nun verabschiedete Paulo Bento war mit gut vier Jahren der Dienstälteste.

Es wäre nicht überraschend, wenn sich das Engagement Klinsmanns als Missverständnis herausstellen würde. Dies liegt nicht nur daran, dass die steigenden Ansprüche in Südkorea womöglich schwer zu erreichen sind. Bei seinem letzten Traineramt, das nach wenigen Monaten bei Hertha BSC zu Beginn 2020 rasch endete, hatte sich Klinsmann öffentlich über die Führung im Verein beklagt, ohne dies mit dem Verein abzusprechen. In Südkoreas Betriebskultur wäre ein solches Vorgehen kaum verzeihlich, würde als illoyal und undankbar gelten. Ohnehin erhofft man sich in der Hauptstadt Seoul hohe Identifikation. Der Verband bevorzugt Trainer, die auch im Land leben.

Direktor Michael Müller hat bereits angedeutet, dass es für Klinsmann womöglich eine Ausnahme gibt. Um sich nicht schnell unbeliebt zu machen, könnte der Deutsche für sein Amt in Südkorea noch interkulturelles Training benötigen, ehe er selbst die Trainingsaufgaben übernimmt. Die wiederum beginnen schon sehr bald. Am 24. und 28. März spielt Südkorea daheim in Ulsan gegen Kolumbien sowie in Seoul gegen Uruguay. Das erste Abschneiden dürfte dann die nächsten Eilmeldungen durchs Land jagen.