Ohne Zittern geht es nicht. Oder wer kann sich an eine erfolgreiche WM- oder EM-Qualifikation von Österreichs Fußball-Nationalmannschaft erinnern, bei der nicht der eine oder andere glanzlose, hart erkämpfte und unschön anzusehende - kurzum: dreckige - Sieg dabei war? Für Teamchef Ralf Rangnick hat der am Montagabend erst in den Schlussminuten sichergestellte 2:1-Erfolg über Weltranglisten-Nachzügler Estland, der die ÖFB-Auswahl im Rennen um ein EM-Ticket für Deutschland 2024 hält, sogar sein Gutes: "Ich glaube, dass uns das für die nächsten Spiele noch zusätzlich zusammenschweißt und uns wieder Kraft und Energie gibt." Das wird bei den beiden kommenden Auftritten im Juni in Belgien und zuhause in Wien gegen Schweden wohl auch bitter nötig sein.
Die rot-weiß-rote Fußballgeschichte zeigt jedenfalls, dass solch mühselige Partien gegen vermeintliche Underdogs zu erfolgreich verlaufenden Qualifikationsphasen einfach dazugehören - selbst in Zeiten, als es noch nicht hieß: "Kleine Nationen gibt es nicht mehr!" Man denke nur an den "Spitz von Izmir", also Herbert Prohaskas wenig inspiriertes Stück Fußball-Folklore, das anno 1977 die WM-Teilnahme und damit erst Cordoba ermöglichte. Das erlösende Goldtor von "Schneckerl" gegen die Türken fiel erst in Minute 70. Ein Hängen und Würgen gab es teilweise auch vor der bis dato letzten WM-Teilnahme 1998, als die Prohaska-Elf zwar Gruppensieger wurde, aber gegen die Außenseiter beinahe strauchelte: Heimo Pfeifenberger etwa sorgte in Weißrussland für den bitter nötigen 1:0-Siegtreffer im Oktober 1997.
Auch der Durchmarsch per Gruppensieg zur EM 2016 in Frankreich scheint laut Tabelle wesentlich souveräner als er in so manchen Partien war: In Chisinau gegen Moldawien etwa konnte Marc Janko erst in Hälfte zwei (per Kopf) den knappen 2:1-Sieg fixieren. Und der vor dem Estland-Match letzte, fürs Weiterkommen extrem wichtige Stolpersieg gelang dem ÖFB-Team im Juni 2019 in Klagenfurt gegen Slowenien, als Guido Burgstaller erst eine Viertelstunde vor Schluss das Leder über die Linie drückte. Ohne diesen dreckigen Sieg hätte es womöglich den Meilenstein des EM-Achtelfinales 2021 in Wembley nicht gegeben.
Nach dem Thriller von Linz, mit dem Österreich nun die Tabelle in Gruppe F mit sechs Punkten aus zwei Partien anführt, war allen Beteiligten die Erleichterung ins Gesicht geschrieben. Es sei "alles andere als eine Selbstverständlichkeit" das Spiel noch gedreht zu haben, zumal die Esten ein taktisch sehr disziplinierter Gegner gewesen seien, sagte Rangnick. "Sie sind taktisch extrem kompakt und geschlossen." Angesichts der vielen, auch kurzfristigen Ausfälle in seinem Team "muss man den Sieg eigentlich noch höher einstufen".
Nach der überraschenden Führung der Esten (Rauno Sappinen, 25.) nach einem Stellungsfehler der Österreicher, gelang erst in Hälfte zwei die Wende: Der eingewechselte Florian Kainz (68.) und Michael Gregoritsch (88.), der in der 17. Minute einen Elfer vergeben hatte, sorgten für die Toren in einem "extremen Willensspiel". Dass die Angriffsbemühungen nach dem Gegentreffer mitunter recht unkoordiniert und auf Zufall aufgebaut waren, kreidete der Teamchef seinen Spielern nicht an; auch der eine oder andere Konter der Balten hätte die Entscheidung gegen Österreich bringen können. "Es gab Phasen, wo es richtig nervig war. Es war selbst beim Zuschauen mühsam", so Rangnick, der dennoch das Positive hervorstrich, zumal sein Team stets eine enorme Energie auf den Platz gebracht habe. "Wir haben jetzt aber trotzdem sechs Tore geschossen in den zwei Spielen."