Unterschätze niemanden! Und feiere den Aufstieg erst, wenn der Schiedsrichter abgepfiffen hat! Niemand kennt diese beiden ehernen Regeln des Fußballs besser als Real Madrid, das die Gegner im Vorjahr auf dem Weg zum Champions-League-Titel bekanntlich mit gleich mehreren unfassbaren Comebacks schier zur Verzweiflung getrieben hat. Nun befinden sich die Königlichen in einer ähnlichen Situation - allerdings mit vertauschten Rollen: Denn nach dem 2:0-Heimsieg im Hinspiel gegen den kriselnden Chelsea FC steht der spanische Rekordsieger bereits mit einem Beim im Königsklassen-Halbfinale. Aber eben nur mit einem Bein, weshalb vor dem Rückspiel an der Stamford Bridge (21 Uhr/Dazn, Sky) die oben genannten Regeln von Trainer Carlo Ancelotti abwärts förmlich runtergebetet wurden.
Im ersten Spiel am vergangenen Mittwoch hatten Karim Benzema und Marco Asensio das Star-Ensemble aus der spanischen Hauptstadt zum Sieg geschossen. ÖFB-Kapitän David Alaba spielte dabei durch (zunächst im Abwehrzentrum, dann als offensiver Linksverteidiger), beim 2:0-Auswärtserfolg am Samstag in der Liga in Cadiz wurde der 30-jährige Wiener hingegen geschont. Dass es noch einmal so eng werden könnte wie im Vorjahr, als Real Chelsea erst in der Verlängerung bezwang (nach 3:1 im Hinspiel), daran glaubt zwar kaum jemand, dennoch ist Obacht angesagt. "Wir sind in einer sehr guten Verfassung, und das sieht man auf dem Spielfeld", erklärte Ancelotti. Mittelfeldstratege Toni Kroos ergänzte: "Wir müssen unsere Sinne weiter geschärft halten, Chelsea hatte im Hinspiel auch die eine oder andere gute Gelegenheit. Wenn uns das gelingt, dann haben wir eine gute Ausgangslage."
In der laufenden Königsklassen-Saison hat der Rekordchampion in neun Spielen sieben Siege und ein Remis bei nur einer Niederlage (2:3 in Leipzig) vorzuweisen. Im Achtelfinale wurden zwei Siege gegen Liverpool (5:2, 1:0) eingefahren.
Chelsea ist indes in der laufenden Spielzeit sportlich zum Krisenfall geworden - mit Thomas Tuchel und Graham Potter wurden bereits zwei Trainer entlassen. Interimscoach Frank Lampard hat seine bisherigen drei Spiele mit den Londonern jeweils verloren, am Wochenende gab es eine 1:2-Heimniederlage gegen Brighton. In der Premier League rangiert der Traditionsklub nur auf Platz elf, das europäische Geschäft ist wohl einzig mit dem Europacup-Titel erreichbar. "Wir müssen daran arbeiten, Vertrauen aufzubauen, denn in dieser Mannschaft steckt viel Talent", erklärte Lampard. Wie lange das noch sein Job ist, bleibt ungewiss - Chelsea ist derzeit auf der Suche nach einem Cheftrainer. Und dieser könnte Ex-Bayern-Coach Julian Nagelsmann heißen. Wie die englische "Times" am Montag berichtete, gab es bereits ein erstes Gespräch. Allerdings ist die Shortlist auf den Managerstuhl beim sechsmaligen Meister ziemlich lang - insgesamt sieben Namen sollen sich darauf befinden. Unter anderem auch Luis Enrique, Rúben Amorim und Luciano Spalletti.
Viertelfinal-Duell am Stiefel
Letztgenannter hat freilich am Dienstag ganz andere Sorgen - denn der aktuelle SSC-Napoli-Trainer kann sein Team ebenso ins Halbfinale führen. Und zwar im rein italienischen Viertelfinal-Showdown zwischen dem designierten Meister aus Kampanien und dem AC Milan. Die Spalletti-Elf hat im Frühling allerdings deutlich nachgelassen und in den jüngsten vier Pflichtspielen nur einmal gewonnen, dafür aber zweimal verloren - beide Male gegen die Rossoneri. Anfang April setzte es gegen die Mailänder eine 0:4-Heimpleite in der Serie A, vergangene Woche gab es im Hinspiel ein 0:1. Im Maradona-Stadion soll aber nun Historisches gelingen: Die Hellblauen bauen dabei auf die Künste des zuletzt verletzten Topstürmers Victor Osimhen. Der 24-jährige Nigerianer hat in der Serie A bereits 21 Mal genetzt und sich damit auf die Wunschlisten der europäischen Topklubs gespielt. "Er hat so viele Möglichkeiten", lobte Trainer Spalletti seinen schnellen, trickreichen Spieler, der im Achtelfinale gegen Eintracht Frankfurt drei Mal getroffen hatte.(may)