Inter Mailand gegen AC Milan, das ist Brutalität, möchte man in Abwandlung eines bekannten Qualtinger-Zitats meinen. Wobei, so brutal wie in Kapfenberg und Simmering geht es im Derby della Madonnina wohl auch nicht zu, steht doch das Spiel zwischen den beiden Stadtklubs im Stadio Giuseppe Meazza seit jeher unter der Schirmherrschaft der Gottesmutter. Laut Volksmund wacht sie als goldene Statue auf einer Spitze des Mailänder Doms darüber, dass sich Spieler und Fans benehmen.
Aber vielleicht sind sich Rossoneri und Nerazzurri gerade deshalb so spinnefeind, weil sie Zwillinge sind? Beide Vereine gingen aus demselben Klub hervor - dem 1899 gegründeten Milan Cricket and Football Club. Das lief einige Zeit gut, bis sich 1908 mehrere Mitglieder abspalteten und ihren eigenen Fußballverein - den Football Club Internazionale Milano - gründeten. Sie waren darüber verärgert, dass beim nationalistisch ausgerichteten Milan CFC nur Italiener spielen durften. Mit dem Zusatz Internazionale wollte man die Offenheit des Vereins für ausländische Spieler betonen.
Heute freilich gehören Legionäre auf beiden Seiten zur Normalität. Das erste Duell zwischen Inter und Milan war im Übrigen eine der wenigen Partien, die nicht in Mailand stattfanden. Am 8. Oktober 1908 trafen die frisch getrennten Geschwister beim Freundschaftsturniers Coppa Chiasso im Schweizer Chiasso aufeinander. Die Derby-Premiere entschied der Associazione Calcio Milan mit 2:1 für sich. Das erste Match in Mailand stieg am 10. Jänner 1909.
Das Stadion Giuseppe Meazza, das die Fans aber lieber nach dem Stadtteil San Siro nennen, wurde 1926 errichtet und dient seither dem Derby della Madonnina als Spielstätte. Sie trägt den Namen eines der populärsten und erfolgreichsten Stürmer der nationalen Fußballgeschichte. Mit 284 Treffern ist Meazza Rekordtorschütze seines langjährigen Vereins Inter Mailand und liegt in der ewigen Bestenliste der Torschützen der Serie A mit 216 Toren neben José Altafini auf dem vierten Platz. Die Arena, die seit 1978 Meazzas Namen trägt, steht im Übrigen im Eigentum der beiden rivalisierenden Klubs, die es im Unterschied zu 1860 München und dem FC Bayern geschafft haben, ihr Haus gemeinsam zu bestellen.
Aktuell fasst das Stadion San Siro rund 76.000 Zuschauer, und auch beim Derby della Madonnina am Mittwochabend (21 Uhr/ Servus-TV) wird das Oval bis auf den letzten Platz gefüllt sein. Für die Stadtrivalen Inter und Milan geht es um nicht viel weniger als den Einzug ins Finale der Königsklasse. Und das will was heißen, wartet doch die italienische Fußballnation seit Inters Triumph im Jahr 2010 auf einen Champions-League-Sieg.
Zwei Sieger aus einer Stadt
Vor 13 Jahren setzten sich die Nerazzurri unter Jose Mourinho in ihrer Triple-Saison die europäische Krone auf. Marko Arnautovic konnte in seinem Jahr in Mailand zumindest eine knappe Stunde in der Liga mitwirken, in der Champions League kam der damals 21-Jährige nie zum Zug. Milan wartet noch länger auf eine Teilnahme in einem Champions-League-Finale. 2007 holten sich die Rossoneri letztmals den Titel.
"Wir werden alles rundherum genießen bis Mittwoch 20.59 Uhr, und dann müssen wir bereit sein. Wir müssen dieses Prickeln fühlen", sagte Milans Trainer Stefano Pioli über die Stimmung in der Metropole. Das Euroderby wurde ausgerufen. "Es ist nicht nur ein Derby, es ist DAS Derby", hielt Inters Coach Simone Inzaghi fest. Er warnte vor zu viel Übermut: "Was das Herz angeht, habe ich keine Zweifel. Was den Kopf angeht, wäre es gut, wenn wir ihn benutzen und uns erinnern, dass über 180 Minuten auf uns warten." Es ist das 236. Duell, in der Bilanz die Nase vorne hat derzeit Inter. Das Rückspiel steigt am 16. Mai erneut im San Siro.
Schon jetzt ist fix, dass sich Italiens Fußball nach Jahren mit ausbleibenden Erfolgen wieder über einen Champions-League-Finalisten freuen darf. Juventus stand 2015 und 2017 im Endspiel, verlor gegen den FC Barcelona beziehungsweise Real Madrid aber beide. Eine Favoritenrolle lässt sich wiederum noch nicht ausmachen. In der Serie A ist Inter Vierter, AC Milan Fünfter und damit außerhalb der Startplätze für die kommende Champions League. Zwei Zähler trennen die beiden Nachbarn. Dreimal trafen die Klubs in dieser Saison aufeinander. Im Supercup siegte Inter in Saudi-Arabien mit 3:0, in der Liga gab es jeweils einen Erfolg von Milan sowie von Inter. Pioli und Inzaghi gaben jedenfalls an, sich nicht als Favorit zu fühlen.
Neuauflage nach 20 Jahren
Das Mailänder Duell um das Finalticket der Königsklasse gab es bereits vor 20 Jahren. 2003 spielten Andrij Schewtschenko, Paolo Maldini oder Filippo Inzaghi für Milan, Inter bot Fabio Cannavaro, Javier Zanetti und Hernan Crespo auf. 0:0 und 1:1 endeten die Partien. Milan stieg dank Schewtschenkos Auswärtstor auf und holte im rein-italienischen Endspiel gegen Juventus im Elfmeterschießen den Titel. Zu einer inneritalienischen Angelegenheit wird das große Finale am 10. Juni in Istanbul nicht werden. Das zweite Finalticket matchen sich Real und Manchester City aus (nach Redaktionsschluss).(rel/apa)