Jean-Claude Mbvoumin ist Leiter der in Paris ansässigen Organisation Foot Solidaire, die sich um gestrandete afrikanische Fußballer in Europa kümmert und den Handel mit minderjährigen Spielern bekämpft. Der 37-Jährige war Profi und Teil des U20-Teams Kameruns bei der WM 1993 gemeinsam mit Rigobert Song. Danach spielte er für Beauvais und Dunkerque in Frankreich. Er betreut mit Foot Solidaire von Paris aus gestrandete Fußballer in ganz Europa. - © Rosner
Jean-Claude Mbvoumin ist Leiter der in Paris ansässigen Organisation Foot Solidaire, die sich um gestrandete afrikanische Fußballer in Europa kümmert und den Handel mit minderjährigen Spielern bekämpft. Der 37-Jährige war Profi und Teil des U20-Teams Kameruns bei der WM 1993 gemeinsam mit Rigobert Song. Danach spielte er für Beauvais und Dunkerque in Frankreich. Er betreut mit Foot Solidaire von Paris aus gestrandete Fußballer in ganz Europa. - © Rosner

Jean-Claude Mbvoumin: Zunächst war es eine Chance, da die Tür nach Europa auf einmal offen war. Europas Klubs haben einen neuen Markt für billige Spieler gefunden. Das Problem war aber, dass sehr viele junge Spieler weggegangen sind, und ohne diese war es schwer, den lokalen Fußball in Afrika zu entwickeln. Die Meisterschaften in Afrika sind schlechter geworden, die Ungleichheiten zu Europa größer.

Sie haben in Kamerun in den 80er Jahren begonnen, Fußball zu spielen. Haben Sie da an Europa gedacht?

Zu dieser Zeit nicht. Mein erstes Ziel war, bei meinem Verein in Yaoundé im ersten Team zu spielen. Wir hatten damals sehr viele Zuschauer.

Wie sind Sie dann nach Europa gekommen?

Ich habe 1993 bei der U20-WM gespielt, der Trainer von Beauvais hat mich dann kontaktiert, aber mein Klub hat mich nicht gehen lassen, weil sie keinen Ersatz für mich hatten. Deshalb bin ich erst ein Jahr später gegangen. Heute lassen die Vereine die Spieler sofort gehen, um gleich Geld zu bekommen.

Hat Ihnen der Verein in Frankreich bei der Integration geholfen?

Nein, der hatte keine Zeit. Ein Klub ist keine Sozialeinrichtung. Es war für jeden hart, nicht nur für Afrikaner. In Afrika hat man keine Ahnung von der Professionalität in Europa, ich sehe das in den Akademien. Sie erklären den Spielern nicht, worauf es in körperlicher, technischer und taktischer Hinsicht ankommt, die Trainer wissen das auch nicht.

Inwiefern?

Wenn etwa ein Spieler zwei Gegner umdribbelt, finden alle, dass das ein guter Spieler ist. In Afrika ist der Fußball noch traditionell, sehr archaisch, auch was das Training anbelangt.

Wie unterscheidet sich denn das Training?

Viele haben das Ziel, Spieler für den europäischen Markt auszubilden, um sie dann zu verkaufen. Aber die Trainer geben den Talenten nicht die Werkzeuge mit, um dort erfolgreich zu sein. In Afrika heißt Technik Dribbeln, aber in Europa heißt Technik Ballkontrolle, sicheres Passspiel, guter Schuss. Ich habe einmal einen Test gemacht und Spielern aufgetragen, einen 30-Meter-Pass auf die Brust eines Mitspielers zu schlagen. Von zehn Versuchen waren vielleicht zwei erfolgreich. Das ist aber die Technik, auf die es in Europa ankommt, Fußball ist ja nicht Zirkus.

Wann hat das Träumen der afrikanischen Spieler von Europa begonnen?

Es gibt zwei Schlüsselmomente. Der eine war die WM 1990 (Kamerun erreichte das Viertelfinale, Anm.), das war der Beginn des Exodus. Da hat jeder gesehen, dass afrikanische Spieler mit der Weltklasse mithalten können. Der zweite Schlüsselmoment war Bosman, danach ist die Anzahl der afrikanischen Spieler in Europa deutlich gestiegen.

Sie bekämpfen mit ihrer Organisation Foot Solidaire den Handel mit sehr jungen Spielern, wann hat diese Entwicklung eingesetzt?

Um das Jahr 2000. Es haben viele kleine Akademien ihren Betrieb aufgenommen, weil man dachte, man könnte so arbeiten wie in Abidjan (Akademie in der Elfenbeinküste, die den Stamm des WM-Teams ausbildete, Anm.), aber sie hatten nicht die Kompetenz dafür. Im Jahr 2001 hat die Fifa dann neue Regeln für Transfers Minderjähriger beschlossen. Europäische Klubs müssen bis zu 90.000 Euro pro Ausbildungsjahr bezahlen. Wenn man die Spieler früh holt, zahlt man also weniger.

Aber die Regeln der Fifa verlangen, dass Spieler unter 18 Jahren nicht aus Afrika transferiert werden können?

Naja, es gibt aber auch das Regulativ, dass ein junger Afrikaner spielen kann, wenn die Familie in Europa aus anderen Gründen als dem Fußball lebt. Und es gibt Agenten, die in Europa niedergelassen sind, die diese Spieler einfach adoptieren. Ich kenne einen Berater, der hat zehn Spieler adoptiert.

Wer sind die Profiteure?

In diesem Markt ist jeder involviert. Es ist kein neuer europäischer Kolonialismus, es ist einfach ein Geschäft, und das kennt keine Hautfarbe. Einige der schlimmsten Spielerhändler kommen aus der Elfenbeinküste, aus Kamerun oder auch Nigeria.

Gibt es Zahlen, wie viele junge Talente jährlich nach Europa kommen?

Wir haben keine offiziellen Zahlen, aber arbeiten mit einer Flüchtlingsorganisation zusammen, die von 7000 Minderjährigen berichtet hat, die völlig isoliert in Frankreich leben. Viele sind wegen des Fußballs gekommen. In der französischen Liga absolvieren jedes Jahr 800 ausländische Spieler zwischen 16 und 20 Jahren Probetrainings, die meisten von ihnen kommen aus Afrika. Nur etwa 30 Prozent erhalten einen Vertrag.

Sollten junge Spieler länger in Afrika bleiben?

Ja, aber es gibt ja nichts, vor allem kein Geld. Die Präsidenten der Verbände kümmern sich nur um das Nationalteam, aber nicht um die nationalen Meisterschaften. Die müssen professionalisiert werden. Die Fifa baut zwar ein paar Kunstrasenfelder, aber das ist nur eine symbolische Hilfe. Professionalismus ist ein ganzheitliches Projekt. Es geht um die Trainerausbildung, die Entwicklung des Breitensports und die Etablierung von Jugendmeisterschaften. Die gibt es nicht. Der Fußball ist nicht strukturiert.

Muss man nicht auch die Klubs in Europa aufklären, was mit vielen afrikanischen Spielern passiert, die für eine Woche zu einem Probetraining kommen und dann nicht genommen werden?