"Wiener Zeitung": Am Samstagabend beim Champions-League-Finale werden Sie ganz bestimmt nur einer Mannschaft die Daumen drücken. Sind Sie überrascht, dass Ihr ehemaliger Verein Atlético Madrid so weit gekommen ist?

Gerhard Rodax: Eigentlich schon. Ich habe gewusst, dass sie gut sind, aber nicht, dass sie so gut sind.

Welchen Anteil hat Trainer Diego Simeone, er hat die Mannschaft ja 2012 schon zum Sieg in der Europa League geführt?

Er muss ein sehr guter Trainer sein. Der Kader ist zwar gut, aber nicht so herausragend wie vielleicht von Real Madrid oder Barcelona. Er hat es irgendwie geschafft, dass in dieser Mannschaft so ein Feuer, so ein Biss, so eine Begeisterung steckt, dass sie diese Leistung über das ganze Jahr bringen können. Ich habe eher damit gerechnet, dass sie irgendwann wegbrechen. Daher: Hut ab!

Wie stehen die Chancen für einen Atlético-Sieg? Aufgrund der bisherigen Begegnungen und des Meistertitels wären sie ja Favorit, dennoch wäre es eine Sensation, wenn sie die Königsklasse ausgerechnet gegen den Erzrivalen gewinnen.

Real ist nach wie vor der Favorit. Das ist vom Kader und vom ganzen Rundherum die stärkere Mannschaft. Aber natürlich hat Atlético gute Chancen, da sie ja gerade Meister geworden sind.

Haben Sie aktuell noch eine Verbindung zu Ihrem Ex-Klub?

Eigentlich nicht. Alle paar Jahre schaue ich mir in Madrid ein Heimspiel ein - das war es eigentlich.

Wie kann man den Klub beschreiben? Angeblich sind die wirklich eingefleischten Fußballfans von Madrid Anhänger der Rot-Weißen, der Rojiblancos.

Grundsätzlich ist Atlético der Arbeiterverein, Real ist der mit dem Geld und den Wirtschaftsbossen. Dementsprechend ist dann auch die Stimmung im Vicente-Calderón-Stadion, wo es deutlich lauter und wilder zugeht als etwa im Bernabéu von Real. Das ist in der Meisterschaft aber immer ein kleiner Vorteil: Wenn Real zuhause 2:1 gewinnt, pfeift das Stadion, wenn Atlético 2:1 gewinnt, steht es Kopf. Die Fans sind einfach begeisterungsfähiger und dankbarer für einen Sieg - vielleicht war das das Quäntchen, das den Unterschied beim Meistertitel ausgemacht hat.

Glauben Sie, dass die Mehrheit der Spanier zu Atlético halten wird?

Schwer zu sagen. In Madrid steht eher die Mehrheit hinter Real, das war damals zu meiner Zeit schon so. Wenn man in ein Taxi einstieg oder in eine Bar ging, gab es sowieso nur Real oder Atlético. Ich könnte mir aber schon vorstellen, dass es jetzt in Spanien sehr viele gibt, die zu Atlético halten.

Sie spielten gut eineinhalb Jahre - von Juli 1990 bis Dezember 1991 - in Madrid, wurden Cupsieger und Vizemeister. Das Engagement erfolgte nach Ihrem famosen Tor zum 3:2-Auswärtssieg von Österreich gegen Spanien. Warum kam dann so bald schon wieder der Abschied, trotz neun Rodax-Toren?

Der damalige Präsident Jesús Gil war bekannt dafür, dass er Leute rausschmeißt wie nix. Aber bei mir hat er gesagt "Hasta luego" und nicht "Adiós" - also "Wir sehen uns wieder" und nicht: "Verschwinde". Damals gab es noch diese Ausländerbeschränkung, und bei Atlético spielten schon Bernd Schuster und Paulo Futre. Die Zwei haben meistens spielen dürfen, ein weiterer Ausländer stand dann noch am Spielbericht, das war zunächst der brasilianische Teamspieler Donato. Ich musste also auf meine Chance warten. Als sich Futre verletzt hat und ich zum Zug kam, habe ich mir nach zwei Spielen das Jochbein zertrümmert. Dann war ich wieder wochenlang in der Warteschleife. Bei allem Glück, das ich in meinem Fußballer-Leben hatte, das war ein bisschen ein Pech - denn zwei Jahre später ist diese Ausländerregel gefallen. Ich wäre dann sicher noch einige Zeit geblieben. So habe ich mich mit dem Verein zusammengesetzt und gesagt: "Euch bringt es nichts, mir bringt es nichts, lassen wir es sein!"

Sie waren damals 24, als sie von der Südstadt, der grauen Maus, in die große Fußball-Welt wechselten. Eine mentale Herausforderung?

Auf jeden Fall. Aber mir hat das gefallen, ich war in einer wirklichen Euphorie drinnen.

Nach ihrer Rückkehr nach Österreich haben Sie die Karriere schon mit 28 Jahren quasi beendet, obwohl Sie damals einer der besten Stürmer des Landes waren. Bedauern Sie den frühen Rückzug heute?

Eigentlich nicht. Und ich bin auch nicht wirklich zurückgetreten. Meine Tennishalle ist damals gut gegangen, meine Tochter ist auf die Welt gekommen, es hat also alles gepasst, und ich wollte nicht mehr ins Ausland. In der Bundesliga waren aber alle Vereine schon zu, in untere Ligen wollte ich nicht. Also habe ich gewartet: einen Monat, zwei Monate, ein halbes Jahr... Und wenn man einmal ein halbes Jahr vom Sport weg ist, ist man ziemlich out. Und dann kommst du nicht mehr richtig rein. Aber ich bereue es nicht, wer weiß, vielleicht hätte ich mich noch schwer verletzt. So kann ich heute alle meine Sportarten noch ausüben und habe keine Dauerschäden davongetragen.

Auch dank Ihres Tores gegen die USA 1990 wurde der bisher letzte Sieg des Nationalteams bei einer WM gefeiert. Wie lange wird es bis zum nächsten Erfolg dauern?