Fortaleza. Diplomatie ist nicht gerade das Erste, das einem einfällt, wenn man an die Familie Boateng denkt. Prince, Vater der kickenden Gebrüder Kevin-Prince und Jérôme, probiert es dennoch. "Für mich ist es das einfachste Spiel", sagt er. "Egal, wie es ausgeht, ich kann ja nur gewinnen." Am Samstag (21 Uhr MESZ) haben beide Söhne bei der WM ihren zweiten Auftritt, nicht mit-, sondern gegeneinander. Der eine, Kevin-Prince, spielt als Mittelfeldantreiber bei Ghana, der andere, Jérôme, als Verteidiger bei Deutschland.
Für beide geht es um viel, für Ghana nach dem 1:2 gegen die USA um den Verbleib im Turnier, für Deutschland darum, dem eindrucksvollen 4:0 über Portugal die nächste WM-Ansage und wohl auch das Achtelfinalticket folgen zu lassen. "Wie im alten Rom" sei das, sagt Kevin-Prince, "die Leute wollen sehen, wie sich zwei Mannschaften bekriegen. Wir werden bis aufs Blut kämpfen." Es sind martialische Töne, wie man sie schon eher mit den Boatengs verbindet, vor allem mit Kevin-Prince. Der 27-Jährige galt in Deutschland, dem Geburtsland und der fußballerischen Heimat der Brüder, lange als Enfant terrible; Stammtischpsychologen führen das gerne darauf zurück, dass der Vater die Familie früh verlassen hatte, um mit einer anderen Frau und dem zwei Jahre später geborenen gemeinsamen Sohn Jérôme eine neue zu bilden.
Kevin-Prince jedenfalls durchlief zunächst die Nachwuchsauswahlen des DFB, wurde dann aber wegen Disziplinlosigkeiten für die U21 nicht mehr berücksichtigt und wechselte 2009 zum Verband Ghanas, der Heimat des Vaters. Auf Klubebene hatte er Deutschland zu diesem Zeitpunkt ohnehin schon verlassen, zwei Jahre davor war er zu Tottenham gegangen, danach zu Portsmouth, wo der vermeintlich endgültige Bruch mit Fußball-Deutschland erfolgen sollte: Mit seinem schweren Foul gegen Michael Ballack im FA-Cup-Finale 2010 kickte er die damalige Leitfigur der Deutschen aus dem WM-Kader und in weiterer Folge aus dem Team. Kevin-Prince war abgestempelt, der Ghetto-Kicker, hieß es fortan - doch Beleidigung ist das für ihn nicht unbedingt.
Zu viel der Klischees
Wie seine zwei Brüder - der älteste, George, hatte ebenfalls eine Fußballerkarriere angestrebt, landete dann aber wegen falsch verstandenen Kick and Rushs zwischenzeitlich im Gefängnis - will er seine Wurzeln nicht leugnen. In Berlin-Wedding, einem Arbeiterbezirk, sind sie als Jugendliche in einem Käfig stundenlang dem Ball hinterhergejagt, haben sich auf dem Asphalt die Hosen und die Knie aufgerissen, das Spiel erlernt und das, was man gesunde Härte nennt. Und hierher kommen sie immer wieder zurück, wenn es Medien und Sponsoren wünschen; eine bunt beschriftete Häuserfront, die sich von den grauen Betonbauten abhebt, bezeugt dies. Darauf zu sehen sind die Konterfeis der Brüder mit dem Schriftzug "Gewachsen auf Beton" - und, ganz klein, dem Nike-Emblem. Schleichwerbung und Imagepflege gleichermaßen, die dann doch zu klischeehaft daherkommt, als dass man glauben sollte, die harte Seite sei alles, was es über die Boatengs zu sagen gäbe.
Denn während Jérôme, bei Bayern meist als Innenverteidiger im Einsatz, bei Deutschlands WM-Auftaktsieg auf der rechten Seite Entschärfer von Cristiano Ronaldo, schon immer als der Ruhigere, Intellektuellere galt, hat sich auch der Ruf seines Bruders geändert. Vor allem mit seinem engagierten Eintreten gegen Rassismus hat dieser weltweit Schlagzeilen gemacht. Nachdem er im Jänner 2013 bei einem Testspiel seines damaligen Vereins AC Milan nach Provokationen von den Rängen das Spielfeld verlassen hatte, luden ihn sogar die Vereinten Nationen als Gastredner ein. Auch seine Rückkehr nach Deutschland als Profi bei Schalke 04 im Sommer wurde großteils wohlwollend zur Kenntnis genommen, zumal er dies damit erklärte, Zeit mit seinem Sohn verbringen zu wollen. Harte Schale, weicher Kern, sagte man dann.
Und das mit Ballack haben sie ihm auch verziehen, weil während der WM vor vier Jahren die Erkenntnis reifte, dass man ohne die Abhängigkeit vom langjährigen Kapitän vielleicht sogar besser dran sei. Ausgerechnet gegen dieses Team, die Erben Ballacks quasi, dürfte Boateng nun in einer Neuauflage des Gruppenspiels von der WM 2010, als Ghana mit 0:1 verlor, aber dennoch aufstieg, zu seinem ersten Einsatz in Brasilien von Beginn an kommen. Dass Trainer Kwesi Appiah ihn ebenso wie Michael Essien gegen die USA zunächst auf der Bank gelassen hatte, hatte nach dem Prämienstreit für den nächsten Zwist bei den Black Stars gesorgt, sogar von einer Spielerrevolte war die Rede.
Hauptsache, gesund
Mittlerweile ist man um Besänftigung bemüht, die Aufgabe wird schwer genug. Das weiß auch Bruder George. Eher drücke er Ghana die Daumen, sagt er, weil bei den Deutschen gehe man ja davon aus, dass die WM ein Selbstläufer werde, für Ghana dagegen könnte es ein böses Erwachen geben. Das Resultat stehe aber nicht im Mittelpunkt: "In erster Linie will man nur, dass beide unverletzt bleiben", sagt er. Es klingt fast wie bei einer ganz normalen Familie.