Es war der 2. Februar 2020: Bei den Australian Open standen sich Dominic Thiem und Novak Djokovic am Centre Court zum letzten hochrangigen ATP-Match vor der Corona-bedingten Pause gegenüber, das Spiel ging zugunsten des erfolgsverwöhnten Serben aus. Damals glaubte noch keiner, dass dies für eine lange Zeit das letzte Grand-Slam-Turnier sein würde. Kurz darauf überschlugen sich jedoch die Ereignisse: Die ATP-Tour musste vorzeitig abgebrochen werden, die French Open wurden auf September verschoben, und die Weltrangliste wurde eingefroren.
Nun geht es für die Tennisstars nach der sechsmonatigen Turnierpause wieder Schlag auf Schlag: Diesen Samstag beginnt in Flushing Meadows im New Yorker Stadtteil Queens das von Cincinnati verlegte ATP-Masters-1000-Turnier, Ende August folgen die US Open, parallel dazu verlaufen die Generali Open in Kitzbühel, und kurz darauf zieht der Tross weiter in die italienische Hauptstadt Rom. Ob ein Triumph bei diesen Turnieren in der Zeit einer Pandemie jedoch so hoch zu bewerten ist, bleibt fraglich. Freilich, die meisten Tennisstars stiegen schon vor Monaten wieder ins Training ein - Dominic Thiem stand ab dem 21. April wieder am Platz - und spielten auch schon einige Schau- und Einladungsturniere, darunter sowohl die berühmt-berüchtigte Adria Tour als auch Thiems Seven, an hochklassigem Schlagabtausch wird es also nicht mangeln. Jedoch werden sich die kommenden Turniere voraussichtlich immer wieder durch das Fehlen prominenter Namen auszeichnen. Der große Fehlende diesmal: Titelverteidiger und Weltranglistenzweiter Rafael Nadal.
After many thoughts I have decided not to play this years US Open. The situation is very complicated worldwide, the COVID-19 cases are increasing, it looks like we still dont have control of it.
Rafa Nadal (@RafaelNadal) August 4, 2020
Abgeschottet
Außer dem Spanier, dem Scheizer Roger Federer und dem Franzosen Gael Monfils ist die Nennliste jedoch gut bestückt, bedenkt man vor allem die noch immer hohen Infektionszahlen in den USA und dabei speziell jene in New York: Von den Top-40 schlagen überhaupt nur fünf Spieler nicht beim Hartplatz-Turnier auf. Um Infektionsherde zu vermeiden und den Risiken der hohen Fallzahlen nicht ausgesetzt zu sein, werden die Tennisspieler samt Team in eigenen Hotels isoliert. Außerdem dürfen die Sportler nur mit insgesamt vier Personen anreisen. In dieser "Bubble" - der amerikanische Tennisverband orientierte sich an den Beispielen der Basketballliga NBA und der Eishockeyliga NHL - sind weder Besuche von außen noch Ausflüge nach draußen gestattet. Sollte es zu Regelverletzungen kommen, drohen sowohl Spielern als auch Trainern rigorose Strafen: Die Sportler werden vom Turnier ausgeschlossen, den Coaches würde gar die Akkreditierung für dieses und nächstes Jahr entzogen werden. Auch bei einem positiven Corona-Test im Umfeld der Tennisspieler müssen diese auf den Antritt bei dem jeweiligen Turnier verzichten.
Zu einem Entzug kommt es auch für die Zuschauer: Diese dürfen bei den US Open heuer nur vor dem Bildschirm mit dabei sein. Nicolas Massu, Coach von Österreichs Nummer eins und selbst ehemaliger Weltklasse-Tennisspieler, bewertet diese Situation mitunter als entscheidend für den Turnierverlauf. "Entscheidend wird sein, wie man es vom Kopf her schafft. Und es wird interessant zu sehen, wie man in einem großen Stadion ohne Fans spielt", sagt der Trainer von Dominic Thiem.
Als Favorit auf den Titel gilt klarerweise der Weltranglistenerste Novak Djokovic. Der Sieger von 2018 musste die US Open vergangenes Jahr bereits im Achtelfinale vorzeitig verletzungsbedingt abbrechen, jetzt kann er das Unterfangen Titelgewinn wieder aufnehmen. Jedoch betont der Chilene Massu, dass auch Thiem keine schlechten Karten auf einen Spitzenplan habe: "Djokovic und Dominic und vielleicht einer mehr sind die Favoriten. Er war bei den Australian Open näher am ersten Grand-Slam-Sieg als bei den French Open - bei einem Hartplatzturnier im Jänner. Also man weiß nie, was passiert."
Wissen wird man auch nicht, wie sich die Corona-Krise im weiteren Saisonverlauf entwickeln wird und ob man überhaupt an dem derzeitigen Plan - bei negativem Corona-Test keine Quarantänepflicht - festhalten kann. Schließlich macht die Corona-Pandemie auch vor dem Tennissport nicht Halt.(kra)