Normalerweise wäre es ein Feiertagswochenende für den deutschen Rennsport. Erstmals nach sieben Jahren gastiert die Formel 1 wieder auf dem vor kurzem noch insolventen Nürburgring, Corona machte es möglich, weil die Rennen in den USA und Japan abgesagt beziehungsweise nach Europa verlegt werden mussten.
Das Gesundheits- und Präventionskonzept der Ring-Betreiber sowie die Erfahrungen aus anderen Rennserien überzeugten sogar so sehr, dass das Spektakel in der "Grünen Hölle", wie die Nordschleife ehrfurchtsvoll genannt wird, am Sonntag (14.10 Uhr) sogar vor bis zu 20.000 Zuschauern stattfinden kann. Und doch ist nicht nur Vorfreude zu spüren. Da wäre zum einen das Trauerspiel rund um Sebastian Vettel, der beim bisher letzten Grand Prix in der Eifel 2013 zum Sieg und in Folge zu seinem bisher letzten WM-Titel gefahren war, bei seiner Abschiedstour mit Ferrari aber nur noch ein Schatten seiner selbst ist und sich vor wenigen Tagen öffentlich eingestehen musste, mit der Scuderia gescheitert zu sein.
Da wäre zum zweiten die buchstäblich ins Wasser gefallene Trainingspremiere von Mick Schumacher, der sein Können nicht zeigen konnte, weil das erste freie Training dem Wetter zum Opfer fiel. Und da wäre nicht zuletzt die Tatsache, dass Lewis Hamilton ausgerechnet hier, im einstigen Wohnzimmer des fünffachen Nürburgring-Siegers und Lokalhelden Michael Schumacher, nach dessen Rekord von 91 Grand-Prix-Siegen greift, die viele wehmütig an die einst so stolzen Zeiten des deutschen Motorsports denken lässt. Auch Vettel hatte unlängst in Sotschi, als Hamilton ebenso auf Rekordjahr war, dann aber von zwei Zeitstrafen ausgebremst wurde, bekannt, gemischte Gefühle zu haben. In seinen Augen, so Vettel, gehöre der Rekord seinem Idol Schumacher.
Doch selbst in Hamiltons Mercedes-Team ist ausgerechnet jetzt Sand ins Getriebe gekommen: Weil bei der Crew bei den routinemäßigen Tests auf Sars-CoV-2 positive Fälle bemerkt wurden, mussten kurzerhand Ersatzleute aus Großbritannien eingeflogen werden.
Dass das Hamilton aber am Angriff hindern wird, ist freilich unwahrscheinlich. Zu stark hatte er sich in dieser Saison, an deren Ende er wohl auch Schumachers Rekord von sieben WM-Titeln egalisieren wird, präsentiert. Nach den Vorkommnissen in Sotschi wird er wohl auch ein wenig mit der Wut im Bauch fahren - wenngleich er seine ursprünglich scharfe Kritik an den Regelhütern wegen der seiner Meinung nach überzogenen Strafe mittlerweile etwas abgeschwächt hat. Der Rekord indessen, meint Mercedes-Teamchef Toto Wolff, werde ihn nicht allzu sehr beschäftigen, "weil er nie an diese Marke gedacht hat", wie der Wiener glaubt. Hamilton selbst, der in Sotschi seinem Teamkollegen Valtteri Bottas den Vortritt lassen musste, erklärt, er könne noch überhaupt nicht sagen, "was es mir bedeuten würde, oder ob es mir überhaupt etwas bedeuten würde". Der Brite gab sich zuletzt nachdenklich, spricht mehr über das Rassismusproblem im Sport und den Klimawandel als über Bestmarken. Auf der Strecke wird das wohl wieder etwas anders sein. Ring-Geschäftsführer Mirco Markfort stellt sich jedenfalls schon einmal darauf ein, ihm danach gratulieren zu können. "Es ist unabwendbar, dass er Michael einmal überholen wird. Dann kann er es gerne auch gleich hier machen, in Michaels Wohnzimmer, wo auch die Verbindung mit seinen Rekorden am stärksten ist." Schließlich will man ja trotzdem etwas feiern - so oder so.(art)