Eines war die antike Stadt Olympia mit Gewissheit nicht - eine reine Sportstätte. Heute noch, genau 60 Jahre nach Abschluss der archäologischen Ausgrabungen, reihen sich hier Tempel, Schatzhäuser, Werkstätten und sonstige Sakralbauten aneinander und geben im Grunde das Bild eines antiken Wallfahrtsortes wieder. Das Zentrum bildete der Zeus-Haupttempel, der mit der berühmten, in seinem Inneren ausgestellten Zeus-Statue des Phidias sogar zu den Sieben Weltwundern gehörte. Entsprechend ehrfürchtig berichtet daher auch der Historiker Pausanias 160 nach Christus: "Der Gott, aus Gold und Elfenbein gebildet, sitzt auf einem Throne, und auf seinem Haupt ruht ein Kranz, welcher Olivenzweige nachahmt. Auf der Rechten trägt er eine Nike, ebenfalls von Elfenbein und Gold, welche eine Siegesbinde hält und auf dem Kopfe einen Kranz hat."

Tatsächlich waren die von Phidias geschaffenen Attribute nicht zufällig gewählt, referenzierten doch der Olivenkranz und die um das Haupt der Siegesgöttin geschlungene Siegesbinde auf die Olympioniken bei den gleichnamigen Spielen, die seit dem achten Jahrhundert vor Christus zu Ehren des Göttervaters Zeus in Olympia abgehalten wurden. Im Mittelpunkt der "sportlichen Infrastruktur" stand zum einen das Gymnasion, also das, was man heute unter einem multifunktionalen Sportplatz versteht, sowie zum anderen die Laufbahn - Stadion genannt. Ursprünglich beschrieb der Begriff nicht die Rennstrecke selbst, sondern ihre Länge, die mit 600 Fuß angegeben und im alten Griechenland so etwas wie eine Norm war. So verfügten auch andere antike Heiligtümer über eigene Stadien, allerdings war deren Länge von der Physiognomie der Sohlen der örtlichen Bürger abhängig, was wiederum dazu führte, dass ein Stadion in Athen 184,3 Meter maß, in Epidaurus und Delphi aber lediglich 181,3 beziehungsweise 177,4 Meter.

Eine Kommission oder ein Leichtathletikverband, der sich des Normproblems angenommen hätte, gab es freilich nicht. Gemeinhin wird heute aufgrund der außerordentlichen religiösen und politischen Bedeutung des Heiligtums das olympische Stadionmaß von 192,3 Metern mehr oder weniger als Ideal angenommen. Zudem war der sich über 600 Fußlängen erstreckende Wettlauf die erste und ursprünglich auch die einzige Disziplin, erst ein halbes Jahrhundert später trat der Doppellauf hinzu, und im Laufe der Zeit wurden die Wettkämpfe um Ringkampf, Faustkampf, Langlauf, Pankration und Wagenrennen erweitert. Unsterblichen Ruhm ernteten aber vor allem die Stadionlaufsieger: Ihre Namen wurden nicht nur in Stein gemeißelt, sondern fanden auch Eingang in die damalige Zeitrechnung, die Olympiaden.

Um historische Ereignisse besser datieren zu können, wurde der Abstand von vier Jahren zwischen zwei Olympischen Spielen nach dem Sieger des entsprechenden Stadionlaufs benannt. Die Schlacht von Marathon etwa fiel folglich in die Olympiade des Tisikrates von Kroton, nachdem dieser seinen Titel im Stadionlauf 492 vor Christus erfolgreich verteidigen hatte können. Dieses Kunststück gelang auch dem Athener Pantakles (644 und 640 vor Christus) oder Hippostratos aus Krotone (564 und 560). Chionis von Lakonien holte zwischen 664 und 656 sogar das Triple. Keine Chance hatte hingegen der römische Kaiser Nero, der es sich nicht nehmen ließ, bei den Spielen der 211. Olympiade 67 nach Christus als "Athlet" aufzutreten. Den Stadionlauf ließ der Herrscher mangels Kondition einmal vorsorglich aus, dafür krönte er sich in sechs weiteren Disziplinen zum Olympioniken - unter anderem in Dichtung, Heroldie und Lyraspiel.

Das Kolosseum in Rom - das erste Großstadion der Welt

Zurück zum Stadion. Während die Römer das griechische Längenmaß relativ bald unter dem lateinischen Begriff "Stadium" in den Sprachgebrauch aufnahmen und auch nutzten, waren die Definitionen von Sport, der damals in der Gymnastik (Leibeserziehung und Leibeskultur) und der Athletik (Kräftemessen im Wettkampf) seinen Ausdruck fand, grundverschieden. Während die Griechen Sport aus einem gesunden Ehrgeiz heraus, der Erste sein zu wollen, und zum Zweck einer harmonischen Körperbildung betrieben, richteten sich die Römer viel mehr nach dem eigentlichen Nutzen und bevorzugten zum Beispiel gymnastische Übungen, welche die Kriegstüchtigkeit erhöhten. So bildete etwa Cato der Ältere, dessen gebetsmühlenartig wiederholtes Werben für einen Krieg gegen Karthago ("Ceterum censeo") in die Geschichtsbücher einging, seinen Sohn persönlich im Fechten, Boxen, Reiten und Schwimmen aus.

Spricht man heute von einem Stadion, so ist damit weitgehend nur die sportliche Infrastruktur gemeint. Die Römer benutzten in diesem Zusammenhang das Wort Arena, das so viel wie Sand oder Sandplatz bedeutet. Gewöhnlich handelte es sich dabei um ein Amphitheater, eine nach allen Seiten hin geschlossene Lauf- und Kampfbahn, die mit massiven Katakomben und tausenden Zuschauerplätzen angelegt war. Zwar konnten auch die griechischen Stadien mehrere tausend Fans beherbergen, allerdings ließen die oft nur nackten Erdhügel, welche die Laufbahnen säumten, jeden Komfort vermissen. Dagegen zählte das 80 nach Christus fertiggestellte Amphitheatrum Novum in Rom, Kolosseum genannt, mit insgesamt 50.000 Sitzplätzen zu den ersten und größten seiner Art.

Allein die 57 Meter hohe Fassade war in vier Stockwerke aufgegliedert, wobei die ersten drei von 80 Bogen und je nach Geschoß von jeweils dorischen, ionischen und korinthischen Säulen aufgelockert wurden. Im Innenraum wurde ein System von Gängen und Treppen von einem Gewölbe überdeckt, das die Sitzreihen trug. Für den Kaiser war am Rande des Spielfeldes ein eigens abgesichertes Podium errichtet, auf dem auch die Senatoren, die hohen Beamten und die Vestalinen Platz nahmen. Heute würde man VIP- oder Ehrenloge dazu sagen. Ein Amphitheater der anderen Art war wiederum der römische Circus Maximus, der "große Ring". Diese "Formel-1-Strecke" aus dem ersten Jahrhundert war mit seinen rund 600 Metern Länge allen voran für Wagenrennen ausgelegt und bot immerhin Platz für bis zu 250.000 Menschen.

Nun wurden in den modernen Stadien der Römer nicht bloß klassische "olympische" Wettkämpfe wie etwa die Capitolinischen Spiele (zu Ehren Jupiters) oder die sogenannten Akteen, die zur Erinnerung an den Sieg von Kaiser Augustus 31 vor Christus bei Actium eingeführt wurden, ausgerichtet. Die Erkenntnis, dass man wie heute in der Münchner Allianz-Arena mit einem spannenden Unterhaltungsprogramm samt Weißwurst und Bier viel mehr Menschen erreichen (und manipulieren) konnte als die Griechen mit ihren idealistischen Götterspielen, war derart schlüssig erfolgversprechend, sodass man sich für das Konzept der "Brot und Spiele" gleich eine ganze Latte an Schauspielen einfallen ließ. Mannschaftsspiele wie das Reiterspiel "Lusus Troiae" waren ebenso beliebt wie die Nachstellung historischer Kriegszüge und Seeschlachten, für die man sogar die Arena des Kolosseums gänzlich unter Wasser setzen konnte.

Die Hymne der Todgeweihten sangen die Gladiatoren

Eine lange Tradition besaßen freilich die Gladiatorenkämpfe, die schon zu etruskischer Zeit auf den Märkten der Stadt ausgetragen wurden, wobei man damals schon für die Zuschauer erhöhte Sitze auf hölzernen Gerüsten errichtete. Das Schauspiel von sechs paarweise fechtenden Gladiatoren erfreute sich bald so großer Beliebtheit, sodass allein schon das Gerücht einer Gladiatorenveranstaltung die Besucher aus einer Theatervorstellung treiben konnte. Dabei stellte der umjubelte Einmarsch der Gladiatoren in die Arena - jenem der Fußballteams bei Champions-League-Spielen nicht unähnlich - für sich schon ein besonderes Ereignis dar. Nur anstelle der Hymne schmetterten die Kämpfer ein lautes "Sei gegrüßt, Caesar, die Todgeweihten grüßen dich!" Todgeweiht waren übrigens auch viele Tiere, darunter Löwen und Tiger, aber auch Nilpferde und Krokodile - sie wurden aufeinander, aber auch gegen Verurteilte und Gladiatoren gehetzt. Reminiszenzen an diese Zeit wecken die heute noch existenten Hahnen- und Stierkämpfe.

Mit dem Siegeszug des Christentums war es spätestens im sechsten Jahrhundert mit den grausamen Hinrichtungen und Spielen vorbei. Dies mag angesichts der Tatsache, dass von den römischen Herrschern nicht selten auch Christen öffentlichkeitswirksam den Tieren zum Fraß vorgeworfen worden waren, nicht verwundern. Allerdings wollten die bekehrten Herrscher auch vom friedlichen, aber in ihren Augen immer noch heidnischen Konzept der Olympischen Spiele nichts wissen. Seinen Körper zu trainieren, wurde zu einem Zeichen der Eitelkeit, und athletische Nacktheit war verpönt. Den Platz des Stadions nahmen daher fortan die Kirchen und Kathedralen ein, während die heidnischen Amphitheater dem Verfall preisgegeben waren und den Bauhütten sogar als Steinbruch dienten. So wurde etwa der Petersdom in Rom mit Steinen aus dem Kolosseum erbaut, nur wenige Arenen, wie etwa jene in Nimes oder Verona, entgingen der vollständigen Zerstörung.

Das größte Stadion der Welt steht in Nordkorea

Betrachtet man nun die Entwicklung und Nutzung des Stadions heute, so wird man feststellen, dass diese "römischer" nicht sein könnte. Orientierten sich die Sportstätten der ersten Olympischen Spiele der Neuzeit, etwa das Panathinaiko-Stadion von 1896 in Athen, noch weitgehend am griechischen Beispiel, so weisen die später errichteten Stadien in zunehmendem Ausmaß eine ovale Bauweise auf. Das namensgebende Stadionmaß spielte keine Rolle, nun ging es darum, möglichst viele Menschen zu beherbergen. Zu den monumentalsten Beispielen zählen das Olympiastadion von Berlin (1936) und das berühmte Estadio de Maracana in Rio de Janeiro (1950), die jeweils bis zu 100.000 Zuschauer aufnehmen konnten. Dem olympischen Motto "Schneller, höher, weiter" folgend, entstanden in den folgenden Jahrzehnten immer größere und kostspieligere Bauten, die bis heute ihresgleichen suchen. Als das größte jemals errichtete Stadion der Welt gilt der Strahov-Komplex, der 1926 in Prag errichtet wurde und für 250.000 Personen zugelassen war, aufgrund von Baufälligkeit aktuell aber nur noch 56.000 Sitze zählt.

Aus diesem Grund geht der erste Platz für das größte Stadion - in diesem Fall ein Fußballfeld mit Leichtathletikbahn - wenig überraschend an die Volksrepublik Nordkorea. Hier ließ der "geliebte Führer" und Staatsgründer Kim Il-sung zwischen 1986 und 1989 das Rangrado May Day Stadium bauen und im Rahmen der Weltfestspiele der Jugend und Studenten am 1. Mai 1989 feierlich eröffnen. Die Arena fasst aktuell 114.000 Menschen, 4.000 mehr als das 2020 eröffnete Sadar-Patel-Cricket-Stadion im indischen Ahmedabad. Bemerkenswert ist: Mit Ausnahme des Stadions in Pjöngjang rangieren die meisten großen Fußballstadien auf den hinteren Plätzen, werden vor allem von den großen American-Football-Arenen an Kapazität übertroffen. Camp Nou, Heimstätte des FC Barcelona, fasst rund 99.000 Fans und rangiert an 12. Stelle, das Wembley-Stadion in London mit 90.000 Sitzen an 18. Ähnlich viele Zuschauer beherbergte übrigens auch das Wiener Prater-Stadion in den 1950er Jahren. Aktuell sind es 50.865.

Klar ist: Eine reine Sportstätte, wie etwa Europacup-Turniere, Olympische Spiele oder Weltmeisterschaften suggerieren, waren und sind diese Stadien auch heute nicht. Ihre teure Bauweise, die hohen Betriebskosten, aber auch der immer stärker werdende Umweltgedanke machen es nötig, dass sich die Auftraggeber nachhaltige Konzepte für eine Nach- und Zusatznutzung überlegen müssen (es sei denn, der Auftraggeber ist ein ölreiches Emirat). Besonders prädestiniert sind Stadien für Großveranstaltungen wie Papstmessen oder Pop-Konzerte, wobei älteren Semestern wohl noch der Auftritt von Papst Johannes Paul II. 1983 im Wiener Praterstadion oder das "Live Aid"-Konzert von Queen, Madonna und Co., das simultan im Londoner Wembley-Stadion und im John-F.-Kennedy-Stadium in Philadelphia veranstaltet wurde, ein Begriff ist. Mit 172.000 Fans in den Stadien und 1,5 Milliarden Zusehern im TV war es eines der größten Konzerte der Popgeschichte.

Wie groß die Kapazitäten geworden sind, hat nicht zuletzt die anhaltende Pandemie gezeigt - wenn auch aus anderer Perspektive. Ein leeres Stadion übt nun einmal eine ganz andere Wirkung auf den Betrachter aus als eines, das bis auf den letzten Platz belegt ist. Wer schon einmal ein Geisterspiel besucht hat, dem wird der freie, fast erschlagende Blick auf das Meer aus Sitzplätzen ebenso im Gedächtnis geblieben sein wie die ungewöhnliche, nur durch ein paar Zurufe unterbrochene Stille. Überhaupt scheint die Stille in Stadien ein Indikator für Krisenzeiten zu sein. Diese Feststellung trifft für Pandemien ebenso zu wie für Naturkatastrophen, Kriege und Flüchtlingsbewegungen, die in allen Teilen der Welt dazu führen, dass meistens als Erstes notstandbedingt die Ovale des Sports in provisorische Krankenanstalten, Notunterkünfte sowie neuerdings in Test- und Impfzentren umfunktioniert werden.

Sammellager, Gefängnis und (wieder) Hinrichtungsstätte

Aber nicht nur. Eine besonders grausame Praxis stellte und stellt die "Nutzung" von Stadien als Gefangenenlager sowie Exekutionsstätte dar. Eine besonders tragische Rolle spielte etwa das oben erwähnte, im Jahr 1928 errichtete Stadion im Wiener Prater, das von den Nationalsozialisten ab 1939 als Kaserne, Planungsbüro und Sammelstelle für die Deportation von Juden missbraucht wurde. Die Gefangenen waren unter menschenunwürdigen Bedingungen in den Gängen von Sektor B unterhalb der Tribünen eingesperrt, bis sie ins Konzentrationslager Buchenwald deportiert wurden. Ähnlich tragische Szenen spielten sich auch 1942 im Velodrome d’Hiver in Paris ab, nachdem man hier rund 8.000 Juden zusammengetrieben und mehrere Tage lang ihrem Schicksal überlassen hatte. Die meisten, die das Martyrium überlebten, wurden ins Konzentrationslager Auschwitz verschleppt.

Wie im alten Rom als Hinrichtungsstätte missbraucht werden einige Arenen in Nordkorea oder im Iran, aber auch die afghanischen Taliban führten einst ihre Gefangenen in Sportstadien dem Henker vor. Um die gewünschte abschreckende Wirkung zu erzielen, werden die Erschießungen und Hängungen nicht selten vor Zuschauern vorgenommen. In China wiederum werden bisweilen die Verkündung der Todesurteile - verbunden mit einer entwürdigenden Zurschaustellung der Delinquenten - öffentlichkeitswirksam vor tausenden Menschen in Sportstadien vorgenommen. Als die chinesische Justiz etwa kurz vor den Olympischen Sommerspielen 2008 in Peking neuerlich tausende Hinrichtungen vornehmen ließ, hagelte es internationale Kritik, aber mehr schon nicht.

Auf den Stadion-Laufbahnen des alten Griechenland wären solche Exekutionen undenkbar gewesen - schon gar nicht während der Olympischen Spiele. Vielleicht stünde es der Welt von heute gut an, sich an den Griechen ein Beispiel zu nehmen und ihre Sportstätten wieder als das zu begreifen, was sie ursprünglich einmal waren: ein Heiligtum.