Aufgabe von Ashleigh Barty, Verzicht von Naomi Osaka, Nicht-Antreten von Simona Halep, Ausscheiden von Aryna Sabalenka, Serena Williams und nun auch Sofia Kenin: Während es die Topspieler bei den Herren abgesehen von Dominic Thiem teilweise mit Ach und Krach zwar, aber doch, zumindest bis ins Achtelfinale der French Open geschafft haben, hat sich das Feld bei den Damen bereits ordentlich gelichtet. Mehr und mehr rückt damit eine Frau ins Blickfeld, die im vergangenen Jahr in Roland Garros so richtig aufgetrumpft hat - die dennoch bis vor kurzem keiner so richtig auf der Rechnung für eine erfolgreiche Titelverteidigung hatte: Iga Swiatek, 20 Jahre alt und erste Polin, die ein Grand-Slam-Turnier gewinnen konnte, ist plötzlich Topfavoritin auf den Sieg. Im Viertelfinale trifft die Weltranglistenneunte und höchstgereihte noch im Bewerb befindliche Spielerin auf die Griechin Maria Sakkari, die Bezwingerin Kenins.
Swiatek hatte ihre Hochform bereits vor den French Open in Rom gezeigt, als sie sich im Finale mit 6:0, 6:0 gegen Karolina Pliskova durchsetzte. In Paris hatte sie vor einem Jahr sensationell und ohne Satzverlust den ersten Major-Triumph geschafft. Da sie auch 2021 noch keinen Satz abgegeben hat, hat sie hier nun 22 Sätze en suite gewonnen.
War die Polin im vergangenen Jahr noch eine der großen Überraschungen in einem an Überraschungen nicht armen Turnier, hat sie spätestens mit ihrem 6:3, 6:4-Sieg über die aufstrebende 18-jährige Ukrainerin Marta Kostjuk gezeigt, dass sie auch als Favoritin dem Druck standhalten kann. Für selbstverständlich nimmt sie ihre Erfolge aber nicht. "Es ist eine große Sache. Ich habe zwar letztes Jahr gewonnen, aber im Viertelfinale eines Grand-Slam-Turniers zu stehen, ist nichts Alltägliches", sagt sie. "Ich bin wirklich stolz. Aber ich habe auch gute Unterstützung."
Vertreterin der neuen Generation
Dazu zählt nicht nur ihre eigene Entourage, auch mit French-Open-Rekordsieger Rafael Nadal - der ebenfalls im Viertelfinale steht und dort auf Diego Schwartzman trifft - verbindet sie eine Freundschaft, auf die sie immer wieder verweist, andere aktuelle oder ehemalige Topspieler zählen inoffiziell zu ihrem Fanklub. "Ich liebe es, Iga Swiatek zuzuschauen", schrieb etwa Andy Murray während des Achtelfinales auf Twitter. Die 20-Jährige ist Teil der neuen Generation, die die gewisse Beliebigkeit, die man dem Spitzen-Damen-Tennis bisweilen - wenn auch nicht ganz zu Recht - unterstellt, auslöschen könnte.
Auch Kostjuk wird nicht zuletzt von Swiatek selbst eine große Zukunft prophezeit, dazu kommt die erst 17-jährige Cori Gauff, die es erstmals in ihrer Karriere ein Major-Viertelfinale erreicht hat. Und auch von Sakkari könnte man in Zukunft noch einiges hören. Mit 25 Jahren zählt sie zwar nicht mehr zu den ganz Jungen, ihr Viertelfinaleinzug - der erste einer Griechin überhaupt - hat sie aber zumindest in ihrer Heimat ebenfalls in die Schlagzeilen gehievt.
Favoritin ist und bleibt dennoch Swiatek. In ihrem Stil vereint sie Kraft, Technik und Variabilität; noch bemerkenswerter ist aber die mentale Stärke, die ihr in den vergangenen beiden Jahren von einer Sportpsychologin eingetrichtert worden war. Die Erwartungen niedrig, das Level hoch halten, lautet seither ihr Credo.
Die Liebe zum Sport kommt freilich nicht von ungefähr. Als Tochter eines Olympia-Teilnehmers im Rudern war dieser schon von Kindheit an präsent im Leben der jungen Polin. Sie selbst griff ab dem Alter von sechs Jahren - es war gerade jene Zeit, in der ihre Landsfrau Agnieszka Radwanska den Durchbruch schaffte - lieber zum Tennisschläger und schlug sich nach und nach an die Spitze zunächst bei den Juniorinnen, nun bei den Damen, durch.
Nun könnte sie sogar zur ersten Frau seit Justine Henin-Hardenne 2007 werden, die ihren French-Open-Titel erfolgreich verteidigt. Sie selbst will freilich noch nicht darüber reden, viel lieber lässt sie Taten sprechen. Doch die Konkurrenz ist kleiner geworden - und insgeheim die Erwartungshaltung wohl doch auch größer.