Es ist eine hierzulande beinahe in Vergessenheit geratene Sportart, die dieses Wochenende in Hoogerheide in den Niederlanden zur jährlichen Weltmeisterschaft lädt: Cyclocross. Die Rennen wären nicht weiter erwähnenswert, verspräche die Veranstaltung nicht eines der aktuell spannendsten Duelle des Sports. Am Sonntag (15 Uhr) werden nämlich jene zwei Herren an der Startlinie stehen, die Cyclocross nachhaltig geprägt und auf ein neues Niveau gehoben haben: Mathieu van der Poel und Wout van Aert, bekannt auch von Giro, Tour de France und den großen Klassikern im Frühling. Auf der Straße gehören sie zur absoluten Elite, die Cross-Szene aber dominieren sie. Auch in dieser Saison. Den übrigen Fahrer werden wohl am Sonntag, wieder einmal, nur Statistenrollen zukommen.
Cyclocross hieß früher im deutschsprachigen Raum Querfeldein. Eine treffende Bezeichnung zwar, aber nicht mehr zeitgemäß. Cyclocrossrennen finden auf einem ein bis drei Kilometer langen Rundkurs statt. Kurze, giftige Anstiege, riskante Abfahrten, enge Kurven und ständig wechselnde Untergründe von Sand über Matsch, Wald- und Wiesenwege bis Asphalt sind charakteristisch. Gelegentlich müssen die Räder geschultert werden, zum Beispiel wenn es über Stiegen geht oder der Untergrund so tief ist, dass das Radfahren nicht mehr möglich ist. Für Sonntag ist regnerisches Wetter angesagt.
Olympische Hoffnungen
An der Startlinie wissen die Fahrer noch gar nicht, wie viel Runden sie absolvieren müssen. Denn die tatsächlich zu fahrende Rundenanzahl wird erst nach den ersten zwei Schleifen festgelegt. Aktuell gibt es Bestrebungen, Cyclocross ins olympische Programm aufzunehmen. Es gibt jedoch zwei Probleme: Es handelt sich um eine im Winter ausgetragene Spielart des Radsports. Die Saison beginnt im Herbst und endet im Februar. Im dichten Kalender der Sommerspiele ist allerdings ohnehin kein Platz. Bei Winterspielen müssen jedoch sämtliche Bewerbe entweder auf Eis oder auf Schnee ausgetragen werden. Matsch gilt nicht. Deshalb testet der Internationale Radsportverband beim Weltcup im italienischen Val die Sole gerade Schneerennen.
In Belgien und in den Niederlanden, wo es selten schneit, ist Cyclocross ähnlich populär wie der alpine Skisport in Österreich. Während der Cross-Saison strömen abertausende Fans zu den Rennen und säumen den Parcours. Es herrscht Volksfeststimmung. In Österreich fristet Cyclocross hingegen ein Schattendasein. Bei den Staatsmeisterschaften Mitte Jänner in Langenzersdorf war das Publikumsinteresse quasi null. Bei den Damen siegte Nadja Heigel, das heimische Aushängeschild schlechthin. Sie gewann 2018 bei der U23-Weltmeisterschaft auch die Bronzemedaille. Sie wird im Frauenrennen in Hoogerheide am Samstag starten, ihr Bruder Philipp Heigel dann am Sonntag bei den Männern. Vom großen Duell an der Spitze wird er wenig mitbekommen.

Sonst werden alle Augen auf den Niederländer Mathieu van der Poel und den Belgier Wout van Aert gerichtet sein. Beide sind 28 Jahre alt und kennen einander gut. Sehr gut sogar. Sie waren schon als Kinder Rivalen. Seit Beginn der Statistik-Aufzeichnungen vor rund elf Jahren steht es im direkten Querfeldein-Duell 119:60 für Van der Poel, der bisher auf vier WM-Titel kommt, sein ewiger Rivale auf drei. Dabei sind die Duelle auf Nachwuchs-Ebene nicht mitgerechnet.
Auch auf der Straße sind beide Weltklasse
Aussagekräftiger ist allerdings die aktuelle Saisonbilanz. Jedes Mal, wenn beide bei einem Wettkampf antraten, gewann auch einer der zwei. Van Aert sechsmal, Van der Poel viermal. Letzterer hatte zuletzt mit Rückenproblemen zu kämpfen, doch die scheinen Geschichte zu sein. Die Experten sehen diesmal Van Aert ganz leicht im Vorteil, der Niederländer hat jedoch das letzte direkte Duell gegen Van Aert mit einem riskanten Überholmanöver kurz vor dem Zielstrich für sich entschieden.
Beide sind nicht nur im Gelände eine sichere Bank, sondern zählen auch auf der Straße zur Weltklasse. Mathieu van der Poel hat zwei Mal die Flandern-Rundfahrt und einmal das Amstel-Gold-Race gewonnen, auch Wout van Aert hat mehrere Klassiker zu Buche stehen und ist neunfacher Etappensieger bei der Tour de France. Vor zwei Jahren schaffte er in Frankreich ein seltenes Bravourstück. Er gewann die schwerste Bergetappe, dann ein Zeitfahren und zum Abschluss das brettlebene Schlussstück nach Paris, die für Sprintspezialisten geschaffen ist.
Vom Gemüt her ist Van Art vielleicht eine Spur besonnener und berechnender. Van der Poel ist risikofreudiger und angriffslustig, auch emotionaler. Verliert er, was bei ihm so viel bedeutet wie Platz zwei, kann er bitterlich weinen, während Van Aert auch dann noch freundlich lächelt. Sie respektieren einander, pflegen einen distanziert-freundlichen Umgang miteinander, Busenfreunde sind sie freilich nicht.
Wem der Kurs in Hoogerheide eher liegt, ist schwer zu sagen. Es ist ein flacher, schneller Kurs, gespickt mit einer technisch äußerst kniffligen Schrägfahrt nicht allzu weit vor der Ziellinie. Diese Passage könnte entscheidend sein. Van der Poel dürfte, wenn dies bei ihm überhaupt möglich sein sollte, besonders motiviert sein. Die Weltmeisterschaften werden nicht nur in seinem Heimatland ausgetragen, sondern auch in Hoogerheide, dem Geburtsort seines Vaters Adrie van der Poel. Der war 1996 selbst Cyclocross-Weltmeister und ist heute Teil der Betreuerteams seines Sohnes.
Das jährliche Cross-Rennen in der niederländischen Gemeinde trägt ihm zu Ehren den Namen GP Adrie van der Poel, sein Sohn Mathieu konnte es bereits fünf Mal gewinnen, Van Aert noch nie. Zum dritten Mal wird auf dem Kurs in Hoogerheide statt des Weltcup-Rennens die WM veranstaltet, zuletzt war dies 2014 der Fall. Den Titel in der U23-Klasse holte damals aber Wout van Aert. Van der Poel musste sich mit Bronze begnügen.