Mit einem großen Abwesenden beginnt am Sonntag die 49. Schach-WM. Weltmeister Magnus Carlsen verzichtet freiwillig auf ein Antreten und somit auf die Titelverteidigung. Im kasachischen Astana werden sich stattdessen der Russe Jan Nepomnjaschtschi und der Chinese Ding Liren um die Krone der Schach-Welt duellieren. Carlsen hatte den jüngsten WM-Kampf 2021 gegen Nepomnjaschtschi klar für sich entschieden, seit 2013 ist der 32-jährige Norweger souveräner Weltmeister. Diese Ära geht nun zu Ende.

"Es ist schade, dass Carlsen nicht dabei ist. Das ist absolut eine Entwertung und nicht das Gleiche", sagt Markus Ragger, als Weltranglisten-114. der mit Abstand beste Österreicher, im Gespräch mit der Austria Presse-Agentur. Carlsen, Gewinner von insgesamt fünf WM-Duellen, begründete seine Entscheidung mit fehlender Motivation. Er gilt weiterhin als der beste Schachspieler der Gegenwart, in der Weltrangliste liegt Carlsen unangefochten an der Spitze. Sein Fokus liegt derzeit aber eher auf dem Online-Schach, seiner Rolle als Streamer und Schach-Botschafter. "Im Prinzip steht außer Frage, dass er der beste Spieler der Welt ist", betont Ragger, auch wenn das nicht bedeute, dass ihn niemand in einem WM-Match besiegen könnte. Der 30-jährige Ding, der als Zweiter des Kandidatenturniers der Herausforderer vom Carlsen-Rückzug profitierte, könnte indessen der erste chinesische Schach-Weltmeister werden. In die großen Fußstapfen von Carlsen will er allerdings nicht unbedingt treten. "Ich mag es nicht, zu berühmt zu sein", sagte Ding zuletzt der "Zeit Online". Carlsen habe die Krone abgegeben, Schach dadurch "an Glanz verloren", betonte der Großmeister.

"Russischer Einfluss enorm"

Ragger erwartet jedenfalls einen spannenden Wettkampf. Ding sei "unglaublich willensstark und diszipliniert", ihm fehle aber der internationale Austausch. Zum Kandidatenturnier war er ohne Sekundant, also Unterstützer, angereist, für Ragger "schockierend". Bei der WM wird Ding aber jemanden bei sich haben. Ganz anders ist die Lage bei Nepomnjaschtschi. Der 32-jährige Russe mit dem Spitznamen "Nepo" kennt das Gefühl einer Schach-WM bereits, auch wenn vor zwei Jahren eher Frust dominierte. Gegen Carlsen war er mit 3,5 zu 7,5 unterlegen. Das sei für ihn laut Ragger trotzdem "eine unglaublich wertvolle Erfahrung" gewesen.

In 14 Partien bis zum 29. April will es der Sieger des Kandidatenturniers dieses Mal besser machen, im Falle eines Gleichstands gibt es ein Tiebreak. Der Sieger erhält 1,2 Millionen Euro, für den Verlierer gibt es noch 800.000 Euro. Nepomnjaschtschi wird zudem unter neutraler Flagge antreten, im März 2022 hatte er sich in einem offenen Brief vom russischen Angriffskrieg in der Ukraine distanziert. Trotzdem könnte ein möglicher WM-Triumph des leichten Favoriten einen faden Beigeschmack haben. "Schach ist in der russischen Tradition sehr wichtig. Die Fide-Führung hat sehr enge Russland-Kontakte, der russische Einfluss ist enorm", erklärt Ragger. Der russische Weltverbandspräsident Arkadi Dworkowitsch versuche einen Mittelweg zu finden, das sei aber nicht einfach.

Ob und wann Österreich wieder einmal einen Weltmeister stellen wird, nachdem der aus Böhmen stammende Wilhelm Steinitz von 1886 bis 1894 der erste offizielle Schachweltmeister war, bleibt abzuwarten. "In Jugendklassen ist es auf jeden Fall möglich, wir haben sehr viele talentierte Jugendspieler", sagt Ragger und nennt etwa den 13-jährigen Lukas Dotzer. Man merke die "stetige Verbesserung", in der allgemeinen Klasse sei es allerdings schwieriger. "Das wird noch dauern, bis wir da wieder eine Chance haben." Einen kleinen Hoffnungsschimmer gibt es aber immer. Ragger: "Vor 25 Jahren wäre die Antwort auf die Frage, ob Norwegen bald einen Weltmeister haben wird, wahrscheinlich ‚Nein‘ gewesen."