Wien. Im Ring ist Marcos Nader kalibriert wie eine gut geölte Maschine. Er hämmert mit seinen eingepackten Fäusten verschiedene Kombinationen in die hochgehaltenen Schlagpölster: Pratzentraining mit Trainer Otto Ramin im Boxklub "Bounce" in Wien-Ottakring. Eine abrupt geschlagene Gerade, ein Haken, jeder Schlag Naders sitzt. Sein Punch ist extrem schnell.

Samstagnacht wird es für Marcos Nader, Österreichs größte Hoffnung im Boxsport, endgültig ernst. Im Multiversum Schwechat fordert der 23-jährige Wiener erneut den Spanier Roberto Santos heraus. Es geht um die EU-Meisterschaft im Mittelgewicht. Das erste Duell von Nader mit Santos hatte am 2. November des Vorjahres im Multiversum ein Unentschieden gebracht, wodurch Santos den Titel behalten durfte. Es war das erste Remis für den noch ungeschlagenen Nader nach zuvor 16 Siegen in Serie. "Es ist der Schlüsselkampf seiner Profikarriere, aber das weiß er", sagt Sigi Bergmann, Boxreporter-Legende, der natürlich den Kampf für ATV kommentieren wird. Ein zweites Unentschieden käme einer Niederlage gleich.

Nader ist als exzellenter Techniker bekannt, an der Power des Mittelgewichtlers (Gewichtsklasse bis 160 Pfund beziehungsweise 72,574 Kilo) wird aber noch gezweifelt. "Es gibt verschiedene Typen von Boxern, so wie es in der Musik bei der Oper den Koloratursopran oder einen klassischen Wagner-Sänger gibt. Ein Wagner-Sänger mit unglaublicher Power ist er noch nicht. Marcos ist aber erst 23 Jahre alt, schaut gut aus, ist ein eleganter Boxer. Er hat einfach alles, was ein Publikumsliebling braucht", sagt Bergmann.

Perfektes Umfeld

Nader boxt, seit er denken kann, mit 18 Jahren bekam er bereits einen Profivertrag beim mächtigen deutschen Promoter Sauerland. Seitdem wurde er gepusht, Karrierekämpfe stehen aber im Boxsport nur allzu selten im Kalender. Mit einem Sieg würde sich der Linksausleger Nader unter die ersten Drei der Europa-Rangliste verbessern und damit die Tür zu einem EM- oder WM-Kampf aufstoßen. "Wenn man beim Team Sauerland unter Vertrag ist, kann es nur das Ziel geben, Champion zu werden. Ich hab’ jetzt die Chance auf dieses Rematch, dafür bin ich schon sehr dankbar. Drück verspüre ich aber nicht, im Gegenteil. Ich freue mich, dass die Menschen in Österreich aufmerksam werden", sagt Nader.

Sein Umfeld ist voll fokussiert auf Boxen, sein Vater Roman ist Präsident des österreichischen Boxverbandes, sein Bruder und Trainer Daniel eröffnete 2005 den "Bounce"-Boxklub. Damals stand der heimische Boxsport am Abgrund, die großen Erfolge lagen Jahrzehnte zurück, es fehlte an Perspektiven und an Protagonisten. Das Herzstück der neuen, 120 Quadratmeter großen Halle ist ein Lonsdale-Boxring aus England samt Echtzeitvideoanalyse auf einem riesigen Flachbildschirm, dazu gibt es zwei Trainingshallen inklusive Kraftkammer, Ausdauer- und Regenerationsbereich. Die Naders haben nichts am Hut mit dem Klischee der Boxklubs in stinkenden Kellern mit fahlem Licht. "Bounce", ein Vorzeigeprojekt und ein Lichtblick für Wiens Box-Szene. Sich voll auf das Training konzentrieren kann Marcos Nader aber nur dank Sauerland. Die Zeiten, als Boxer mit einer geregelten Arbeit nebenbei große Erfolge feierten, sind längst vorbei.