Doha. (art) Das war’s dann wohl mit dem Friedensnobelpreis, den Joseph Blatter so gerne hätte. Der Weltfußballverband Fifa, in seinem Selbstverständnis ein Weltverbessererverband, gerät rund um die WM 2022 in Katar immer mehr unter Druck. Nicht nur, dass die Vergabe unter nach wie vor höchst umstrittenen Bedingungen stattfand und beinahe täglich über den Zeitpunkt des Turniers gestritten wird, weil man - mit einiger Verspätung, aber immerhin - draufgekommen ist, dass ein Fußballturnier bei 50 Grad Celsius jeglichen Sinns entbehrt, enthüllte nun auch noch ein "Guardian"-Bericht Schockierendes: Bei den Bauarbeiten für die Stadion- und Infrastrukturprojekte sollen menschenunwürdige Arbeitsbedingungen herrschen, die Rede ist von Zwangsarbeit und "moderner Sklaverei".
Laut dem Bericht, der sich auf Dokumente der nepalesischen Botschaft in Doha stützt, seien zwischen Juni und August 44 Gastarbeiter aus Nepal an Herzattacken oder Arbeitsunfällen gestorben. Die indische Botschaft wiederum berichtet von 82 Todesfällen ihrer Landsleute in den ersten fünf Monaten des Jahres und 1460 dokumentierten Beschwerden über die Arbeitsbedingungen.
Katar, ein Land mit rund 1,7 Millionen Einwohnern, ist in den Vorbereitungen für die WM auf die Gastarbeiter, hauptsächlich aus Nepal, Sri Lanka und Indien, angewiesen. 90 Prozent der Arbeitskräfte kommen aus dem Ausland. Und laut Schätzungen braucht es noch rund 1,5 Millionen weitere Arbeiter, um die enormen Stadion- und Infrastrukturprojekte mit Kosten von rund 100 Milliarden Dollar zu stemmen.
Vermittler Teil des Problems
Eines davon ist das ambitionierte Lusail-Stadtentwicklungsprojekt, bei dem eine ganze Stadt samt dem 90.000 Zuschauer fassenden Finalstadion aus dem Wüstenboden gestampft wird. Gearbeitet wird dort jetzt schon im Akkord - unter welchen Bedingungen, enthüllt nun der Report: Hitze, Schlafmangel, unhygienische Unterbringungen und keine Verfügbarkeit von Trinkwasser machen die Arbeit zur lebensgefährlichen Tortur - doch Möglichkeiten, diese zu beenden, haben die Gastarbeiter kaum. In vielen Fällen haben sie Schulden bei Rekrutierungsagenten, warten aber oftmals vergebens auf ihren Lohn. Dazu werden laut dem Bericht die Pässe der Arbeiter eingezogen, um sie am Weggehen zu hindern. "Wir würden gerne gehen, aber die Firma würde das nicht zulassen", wird ein anonym bleibender Nepalese im "Guardian" zitiert. "Wenn wir davonlaufen, gelten wir als illegal und können keinen anderen Job bekommen."
"Fifa hat versagt"
Aidan McQuade, Direktor von Anti-Slavery International, spricht in diesem Zusammenhang Klartext: "Diese Arbeitsbedingungen und die erschütternde Anzahl an Toten unter schutzlosen Arbeitern gehen über Zwangsarbeit hinaus zur Sklaverei von früher, in der Menschen wie Objekte behandelt wurden", sagt er. Man könne angesichts dessen nicht mehr von einer Gefahr sprechen, dass die WM 2022 auf Zwangsarbeit aufgebaut werden könnte - "es passiert bereits jetzt".
Die derzeit laufende Diskussion über die Terminierung der WM kann Umesh Upadhyaya, Generalsekretär des nepalesischen Gewerkschaftsbundes, indessen nicht mehr hören: "Jeder spricht über die Auswirkungen der Hitze auf ein paar hundert Fußballer, aber jeder ignoriert das Elend, das Blut und den Schweiß tausender Gastarbeiter, die Stadien bauen sollen, die ein Vielfaches länger halten müssen als ein Fußball-Match." Harte Kritik gibt es daher auch an der Fifa, die trotz früherer Warnungen bisher keinen Handlungsbedarf gesehen hat. "Wenn es der Fifa wirklich ernst ist", meint Sharan Burrow, Generalsekretärin des internationalen Gewerkschaftsbundes ITU, "müsste sie ihren Einfluss für menschenwürdige Arbeitsbedingungen geltend machen - oder den Gastgebern die WM entziehen." Die Fifa habe schon im November 2011 versichert, sie werde sich für bessere Bedingungen einsetzen, "sie hat versagt", urteilt Burrow.
Die Fifa zeigt sich indessen ähnlich wie das WM-Organisationskomitee "besorgt" und verweist auf weitere Gespräche sowie die Exekutiv-Komitee-Sitzung Ende kommender Woche, in der man die Causa besprechen wolle. Auf der offiziellen Tagesordnung findet sich zu dieser speziellen Problematik allerdings kein Punkt.