Wien. (art/apa) Korruption, Terminchaos, sterbende Arbeiter auf den WM-Baustellen: Katar kommt aus den negativen Schlagzeilen nicht heraus. Nachdem der "Guardian" vor knapp zwei Wochen einen Bericht über die schockierenden Arbeitsbedingungen der Gastarbeiter auf den Baustellen für die Fußball-WM 2022 veröffentlicht hat, gehen die Wogen hoch. Menschenrechtsorganisationen und Gewerkschafter fordern eine Neuwahl des Austragungsortes, auf Einladung des ÖGB machte der internationale Gewerkschaftsbund bei einer Veranstaltung am Montagabend in Wien auf die Problematik aufmerksam. "Es gibt in Katar keine gewerkschaftlichen Rechte, keine Tarifverhandlungen und schreckliche Arbeits- und Lebensbedingungen für die Arbeiter", sagte Ramesh Bardal, ein Jurist, der für die nepalesische Gewerkschaft Gefont - Nepal stellt einen hohen Prozentsatz ausländischer Arbeitskräfte in Katar - tätig ist.
Das zugrunde liegende Problem sei das Kafala-System, das migrantischen Arbeitern die Ein- und Ausreise nur über einen Bürgen möglich. Das ist in der Regel der Arbeitgeber, der für die Dauer des Aufenthalts oft die Papiere einzieht und dem die Arbeiter dadurch mehr oder minder ausgeliefert sind. In arabischen Golfstaaten wie Katar, wo rund 90 Prozent der Arbeitskräfte aus dem Ausland kommen, ist dieses System Usus - es wird sowohl bei Arbeitern als auch bei Hausangestellten und sogar im Profifußballbereich angewendet.
Weil es der Prinz so will
Auch Abdeslam Ouaddou, ein 57-facher marokkanischer Teamspieler, suchte sein Glück in der Wüste, in der Spieler oftmals mit horrenden Summen geködert werden. Doch was er nach einem ersten erfolgreichen Jahr, in dem er 2011 Meister mit der Regierungsmannschaft Lekhwiya Sports Club wurde, vorfand, war ein "barbarisches System", erzählte er nun in Wien. Denn als er nach gewonnener Meisterschaft und zwei Jahre vor Auslaufen seines Vertrages aus dem Urlaub zurückkehrte, wurde ihm kurzerhand mitgeteilt, dass man ihn zum Katar Sports Club transferieren würde. "Man hat mir gesagt, das ist eine Entscheidung des Prinzen, und darüber wird nicht diskutiert." Also wechselte Ouaddou - und die Probleme fingen an. Der Klub habe sich nicht an Vereinbarungen wie beispielsweise, die Zahlungen für sein Haus zu leisten, gehalten und ihm nach einer schwachen Saison mitgeteilt, dass man den Vertrag beenden werde. Ouaddou wehrte sich - erfolglos. "Ich war nicht mehr auf der Teamliste, wurde von der Homepage genommen und habe keinen Lohn mehr erhalten." Nach sechs Monaten ohne Gehalt drohte er, eine Menschenrechtsorganisation einzuschalten. Immerhin bekam er nach rund einem Monat Wartezeit ein Ausreisevisum - "dabei haben sie mir aber gesagt, dass sie sicherstellen werden, dass sich mein Fall sechs bis sieben Jahre hinziehen werde." Dann wäre der marokkanisch-französische Doppelstaatsbürger 40 Jahre alt und seine Karriere wohl so oder so zu Ende. Doch noch hofft Ouaddou, der seit der Vertragsauflösung im November auf Vereinssuche ist, auf ein positives Ende. Er hat die Fifa eingeschaltet und wartet auf Konsequenzen. "Die Fifa muss den Verein bestrafen, damit dieser Wahnsinn ein Ende hat."
Für ihn zähle die Signalwirkung, denn wie ihm dürfte es vielen Profis ergehen. Die internationale Fußballergewerkschaft Fifpro geht von einer hohen Dunkelziffer an Spielern aus, die in Katar festsitzen und sich aus Angst vor Repressionen durch ihre Arbeitgeber nicht zu melden trauen. Ouaddou wird jedenfalls nicht so bald in die Wüste zurückgehen: "Die Katarer glauben, sie können sich alles erlauben und alles kaufen: Hochhäuser, Unternehmen, schöne Autos - und eben Menschen."