Sotschi. Man muss Bogdana Matsotska nicht kennen, wenn man nicht gerade an einer Dissertation über den ukrainischen Alpinskisport arbeitet. Im Weltcup bisher nicht sonderlich in Erscheinung getreten, war sie bei den Olympia-Rennen 26. in der Super-Kombination, 27. im Super G und 43. im Riesentorlauf. Doch in diesen Tagen wurde die 24-Jährige zur Ikone der Opposition in Kiew. Sie hat Sotschi verlassen und auf ihr Antreten im Slalom verzichtet - "aus Solidarität mit den Kämpfern auf den Barrikaden des Maidan und aus Protest gegen die kriminellen Aktionen gegen die Demonstranten und gegen die Verantwortungslosigkeit des Präsidenten (der Ukraine, Anm.) und seiner Lakaien-Regierung", so steht es auf der Facebook-Seite ihres Vaters und Trainers Oleg Matsotski.

Laut Mark Adams, dem Kommunikationschef des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), seien danach weitere Athleten des 43-köpfigen ukrainischen Teams abgereist, wie viele, blieb vorerst unklar. In der Hauptstadt ihres Heimatlandes wüten blutige Kämpfe zwischen pro-westlichen Regierungsgegnern und den Sicherheitskräften, auch eine am Mittwochabend von Präsident Wiktor Janukowitsch und den Oppositionsführern ausgerufene Waffenruhe hielt nicht lange. Dass Janukowitsch für sie die Schuld daran trage, daran lässt Matsotska keinen Zweifel. Sie sei "sehr wütend" auf den Präsidenten, der "die letzten Hoffnungen der Nation in Blut ertränkt" hätte. Unter diesen Umständen wolle sie ihr Land nicht mehr bei Olympia vertreten.
Verhängnisvolle Netzwerke
So sehr das IOC die Vorgänge rund tausend Kilometer nordwestlich bisher auszublenden bemüht war, so sehr haben sie Sotschi nun erreicht - und das IOC auf dem falschen Fuß. Am Mittwoch hatte dieses einen Antrag des nationalen Olympischen Komitees der Ukraine, als Gedenken an die Opfer in der Heimat bei den restlichen Bewerben einen Trauerflor tragen zu dürfen, nach Aussage von NOK-Chef Sergej Bubka (die allerdings später von Adams dementiert wurde) abgewiesen. Bubka, einst Stabhochsprung-Weltrekordler und danach Parlamemtsabgeordneter für Janukowitschs "Partei der Regionen", hatte versucht, das Team zur Einheit und alle Parteien zum "friedlichen Dialog" aufzurufen, IOC-Präsident Thomas Bach die Sportler dafür gelobt, ihr Land "mit großer Würde" zu vertreten und zu zeigen, "dass Sport Brücken bauen kann".
Dass es bei eher vagen Worten blieb, überrascht nicht angesichts der (sport-)politischen Netzwerke im Hintergrund. Schließlich ist Olympia-Gastgeber Russland nicht unbeteiligt an den Ausschreitungen, die erstmals aus Protest gegen die engere Bindung Kiews an Moskau, die Putin und Janukowitsch gemeinsam vorantreiben wollten, aufflammten. Janukowitsch genießt weiterhin die Rückendeckung seines russischen Amtskollegen - und auch Bach pflegt nicht erst seit Sotschi 2014 beste Kontakte zu Putin. Mehr noch: Der Kremlchef, den das "Handelsblatt" kürzlich als "einflussreichsten Sportpolitiker der Welt" adelte, galt als einer der Königsmacher des 60-jährigen Deutschen bei dessen Wahl zum IOC-Präsidenten im September des Vorjahres.
Unmittelbar nach dem Votum rief er ihn an, um zu gratulieren, man versprach einander gute Zusammenarbeit, "um die Spiele zu einem Erfolg zu machen". Und ungeachtet der Kritik von Menschenrechtsorganisationen, die das Anti-Homosexuellengesetz sowie die Menschenrechtsverletzungen in Russland anprangerten und Bach etwa als "Steigbügelhalter Putins" bezeichneten, ließ der IOC-Chef bisher keine Gelegenheit aus, um die Spiele und dessen geistigen Vater zu loben. Dieser habe "mit großem persönlichen Engagement dazu beigetragen, dass die Athleten hervorragende Bedingungen vorfinden", erklärte er kürzlich. Das mag sogar stimmen. Sportpolitisch wurden die Spiele aber zu einem Desaster für das IOC. Auch dafür ist Bogdana Matsotska ein Symbol.