Wien. (art) Glühende Drähte, rauchende Köpfe, und dann war die Katze aus dem Sack respektive die Pressemitteilung heraußen: Das Uefa-Exekutivkomitee hat einstimmig beschlossen, Gianni Infantino bei der Wahl zum Präsidenten des Weltfußballverbandes Fifa am 26. Februar uneingeschränkt zu unterstützen, hieß es darin. Gianni Infantino? Hieß der Kandidat der europäischen Konföderation bis dahin nicht Michel Platini? Doch über den aktuellen Uefa-Präsidenten verlor man in der nunmehrigen Erklärung kein einziges Wort - und dieser Umstand alleine sagte vielleicht mehr als tausend Zeilen. Denn offenbar glaubt man mittlerweile auch in der Uefa-Zentrale in Nyon nicht mehr an eine (zeitnahe) Rehabilitierung des Franzosen, der bis vor wenigen Wochen noch als logischer Nachfolger des Noch-immer-Fifa-Chefs Joseph Blatter gegolten hatte, dann aber selbst mit Korruptionsvorwürfen und mit einer 90-Tage-Sperre durch die Ethikkommission konfrontiert wurde.
Der Eindruck, dass die Luft für Platini immer dünner wird, sollte sich wenige Stunden nach der Bekanntgabe der Kandidatur Infantinos bestätigen: Wie Platinis Anwälte mitteilten, wurde ein Einspruch des 60-Jährigen gegen seine Suspendierung abgelehnt. Während sich seine Entourage dennoch nach wie vor kämpferisch zeigte, seine Integrität wiederherstellen zu können, musste für die Uefa ein Plan B her, um am Ende nicht ohne eigenen Kandidaten dazustehen. Schließlich beklagen die Europäer schon seit langem, innerhalb der Fifa von den großen anderen Blöcken zerrieben zu werden.
In Infantino will man nun einen geeigneten Mann gefunden haben, man sei sicher, dass er "die Qualitäten hat, die es braucht, um die großen Herausforderungen anzugehen. Er kann die Organisation auf einen Weg der Reformen führen, um die Integrität und Glaubwürdigkeit wiederherzustellen", heißt es in der Stellungnahme. Infantino selbst sprach im Anschluss ebenfalls von der Notwendigkeit von Reformen. "Im Falle einer Wahl würde ich diese Veränderungen mit jenen vorantreiben, die eine Fifa wünschen, die eines Dachverbandes der weltweit populärsten Sportart würdig ist", erklärte er. Tatsächlich trauen ihm viele den Willen dazu zu. Der 45-jährige Italo-Schweizer hat als Uefa-Generalsekretär seine Managerqualitäten bisher ebenso bewiesen wie seine Loyalität. Und sein Know-how als gelernter Jurist kann wohl auch nicht schaden, wenn es gilt, einen Scherbenhaufen aus Korruptionsvorwürfen aufzukehren. Dennoch geht Infantino - so er nicht doch noch zurückzieht, sollte Platini seinen Namen bis dahin reinwaschen können - nur als Außenseiter ins Rennen um das wichtigste Amt im Weltfußball. Insgesamt haben acht Kandidaten ihre Bewerbung abgegeben, allen voran der Südafrikaner Tokyo Sexwale, der sich vor allem als Anti-Apartheid-Aktivist und im Fußball als Mitorganisator der WM 2010 einen Namen gemacht hat, und der bahrainische Scheich Salman bin Ibrahim Al-Khalifa.
Der 49-Jährige genießt die Unterstützung des kuwaitischen Scheichs Al-Sabah, der mit seinem Netzwerk in der Sportpolitik als Königsmacher gilt. Allerdings werfen ihm Nicht-Regierungsorganisationen Menschenrechtsverletzungen im Rahmen der Niederschlagung von Anti-Regierungsprotesten sowie eine Mitschuld an der Inhaftierung und Folterung von Fußballern vor, was er selbst vehement dementiert.
Zwanziger legt nach
Seine Wahl würde also in jedem Fall Diskussionen nach sich ziehen - dabei hat die Fifa ohnehin schon genug Probleme. Etliche frühere und aktuelle Führungspersönlichkeiten - neben Platini auch Blatter selbst - sind suspendiert, in der Schweiz und den USA wird gegen einige ermittelt. Zudem kommen die anhaltenden Vorwürfe der Korruption bei der Vergabe von Weltmeisterschaften, zuletzt rückte auch der Deutsche Fußballbund in den Fokus. Vom Bewebungskomitee für die WM 2006 flossen 6,7 Millionen Euro an die Fifa, die, wie der DFB einräumte, möglicherweise zweckwidrig verwendet worden seien. Den Vorwurf des Stimmenkaufs haben zwar alle Beteiligten brüsk zurückgewiesen, Ex-DFB-Präsident Theo Zwanziger hat die Gerüchte aber zuletzt befeuert. Nach einem Treffen mit ihm veröffentlichte die "Bild" am Dienstag ein Dokument aus dem Verfahren gegen den pleitegegangenen Rechtevermarkter ISL, in dem neben einem mit dem 5. Juli 2000 datierten Geldtransfer über 250.000 US-Dollar handschriftlich der Vermerk "Dempsey!" steht. Einen Tag später war die WM vergeben worden, Deutschland setzte sich mit 12:11 Stimmen gegen den Favoriten Südafrika durch - der inzwischen verstorbene Neuseeländer Charles Dempsey hatte sich seiner Stimme enthalten.