Moskau. (sir) Wenn übertrieben taktisch und defensiv geführte Fußballspiele als Rasenschach bezeichnet werden, was ist dann eine von beiden Spielern vorsichtig geführte Schachpartie? Brett-Chelsea? Wie das Finale der Champions League geht jedenfalls auch die Schach-WM am Mittwoch beim Stand von 1:1 ins Elferschießen, ein Tiebreak mit bis zu vierzehn Schnell- und Blitzschachvarianten.

Titelverteidiger Viswanathan Anand und der israelische Herausforderer Boris Gelfand haben von den zwölf Partien bisher nur jeweils eine gewinnen können, alle übrigen endeten Remis. Dabei hatten beide Protagonisten sehr wohl die eine oder andere überraschende Variante für den Titelkampf in der Moskauer Tretjakow-Galerie vorbereitet, doch beide hatten fast immer auch die richtigen Antworten parat.

Vor allem Anand erwies sich mit seiner Verteidigung als überaus wehrhaft, bis Gelfand in der siebenten Partie der erste volle Punkt mit Weiß gelang und die Halbslawische Verteidigung des Inders einbrach - der erste Sieg der erste Teilerfolg. Doch da ist Schach wie der Fußball. Der Jubel verleitet zum Übermut.

Und Gelfand attackierte Anand in der achten Partie weiter, noch heftiger. Er gab den Takt vor, spielte Züge, über die sich die Kommentatoren wunderten, ihn für seinen Mut zwischendurch auch lobten. Doch nach nur 17 Zügen war plötzlich alles vorbei. Gelfand übersah, dass Anand mit einem simplen Zug seine Dame in Gefangenschaft nehmen konnte. Dem Israeli war klar, dass für ihn nicht einmal ein Remis möglich sein wird, und er gab auf.

Frühes Remis-Angebot

In den verbleibenden vier Partien stand dann wieder eher die Verteidigung im Vordergrund, keinem Spieler gelang ein entscheidender Vorteil, nichts, das mit dem Könner zweier derartige Meister des Schachs nicht souverän verteidigt werden konnte. Vielleicht hätte Anand in der vorletzten Partie die Chance gehabt, vielleicht kam sein Remis-Angebot an Gelfand zu früh.

Denn der Israeli hatte 40 Minuten benötigt, um einen Bauern um ein Feld nach vorne zu rücken. Anand hatte auf dem Brett zwar keinen Vorteil, sehr wohl aber auf der Uhr. Er wird seine Gründe für ein Remis gehabt haben, mutmaßten die Beobachter. Denn eine WM ist stets auch ein Duell auf mentaler Ebene. Deshalb beginnt eine WM viele Wochen vor dem ersten Zug mit der detaillierten Vorbereitung auf den Gegner, seine Spielart und mögliche Überraschungen.

Gelfand, der Herausforderer, der sich vor einem Jahr beim Kandidatenturnier qualifiziert hatte und damit die erste Chance auf einen WM-Titels erhielt, hatte sich in den österreichischen Alpen auf den Titelkampf in Moskau vorbereitet. Und er wird sich wohl auch gezielt für das am Mittwoch anstehende Tiebreak präpariert haben. Viswanathan Anand gilt als Meister des Schnellschachs, zwölfmal hat er den Weltmeister-Titel bei dieser Variante des Spiels gewonnen.

Im Tiebreak kann aber alles passieren, wie im Elferschießen, auch die nervliche Anspannung ist eine andere. In Moskau geht es um rund zwei Millionen Euro. Gewinnt Gelfand, wäre er der erst 16. Weltmeister. Dabei fand die erste WM im Jahr 1886 statt.