Duisburg. (art) Andere würden es vielleicht einen schweren Fall von Midlife-Krise nennen. Birgit Fischer schließt das gar nicht aus, sie formuliert es nur anders. Sie sei in einer Umbruchsphase gewesen, als sie sich entschied, wieder mit dem Kanusport anzufangen: Die Geschäfte unter anderem in der eigenen Paddelschule liefen gut, die Kinder waren erwachsen und Garten und selbstrenoviertes Haus auf Vordermann gebracht. "Da kommt man halt manchmal auf dumme Gedanken und denkt: Mach doch mal was anderes, mach doch mal wieder Sport", erzählt sie im Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". "Der eine fängt an zu malen, der andere geht auf Reisen, und der Dritte fängt wieder an zu paddeln."

Und weil sie eben für Sport als reines Freizeitvergnügen nie wirklich viel überhatte, sondern es gewohnt war, sich Ziele zu setzen, nahm sie sich gleich das höchstmögliche vor: noch einmal an Olympia teilzunehmen. Wenige Tage vor Nennschluss am Sonntag meldete sie sich für die deutschen Ausscheidungsrennen im April an. Bis zuletzt hatte sie das im Unklaren gelassen, allerdings seit ihrem Entschluss im Vorjahr, wieder sportmäßig ins Boot zu steigen, und ihrer eher vorsichtshalber abgegebenen Registrierung im Doping-Kontrollsystem so viel trainiert wie kaum jemals zuvor.

Irgendwann geht’s bergab

Birgit Fischer hätte das längst nicht mehr nötig, sie ist 50 Jahre alt und Deutschlands höchstdekorierte Olympionikin mit acht Goldenen und vier Silbernen. Wer weiß, wie viele es sein würden, hätte die DDR nicht die Spiele 1984 boykottiert. Als sie vier Jahre davor in Moskau das erste Mal olympisches Gold holte, war ihre Nichte Fanny, die die Familientradition fortsetzen und in Abwesenheit der Grande Dame des deutschen Kanurennsports 2008 in Peking gewinnen sollte, noch nicht einmal auf der Welt. Die hat übrigens aus Mangel an Motivation schon längst ihren Rücktritt erklärt, die Tante fährt noch immer. Oder besser: wieder einmal.

Denn Fischer fand es schon immer faszinierend, die eigenen Grenzen auszuloten, das Experimentieren mit sich selbst sei der Reiz an ihrem Projekt, sagt sie. Dabei ist sie sich aber auch bewusst, dass sie langsam, aber sicher auch für andere als Forschungsobjekt herhalten könnte. Bis jetzt sei ihre Leistung nach ihren oft jahrelangen Karriereunterbrechungen, unter anderem der beiden Kinder wegen, immer besser geworden. "Aber ich vermute mal, dass auch bei mir die Kurve irgendwann nach unten geht, sonst würde man mich wahrscheinlich auf den Seziertisch legen und gucken, was da eigentlich los ist", sagt sie zur "FAZ".

Was da schon wieder los ist, fragen sich derweil auch die Konkurrentinnen, die nicht gerade vor Freude aus dem Boot hüpfen dürften, wenn sie Fischer in einem sehen. Auch Nationaltrainer Rainer Kießler äußert sich verhalten zu den Plänen der 50-Jährigen, die jahrzehntelang die Frontfrau des Verbandes gab, mit diesem aber öfters aneinandergeriet. "Ich lasse mich überraschen, was sie auf dem Wasser bringt. Wir wollen in London in der Weltspitze mitfahren. Wir haben Birgit Fischer über Jahre nicht im Kanu gesehen, es wird sich zeigen, ob sie es schafft", sagt Kießler. Euphorisch klingt das nicht, aber das kann man ihm kaum verdenken. Schließlich würde es der (Nachwuchs-)Arbeit des Verbandes kein allzu gutes Zeugnis ausstellen, sollte eine 50-Jährige, deren einzige Trainer das Gefühl und die Erfahrung sind, den Gegnerinnen aus einer anderen Generation um die Ohren fahren.

Harte Qualifikation

Fischer nimmt derlei Gerede gelassen, das hat sie schon mit 42 vor Athen gehört. Und am Ende gehe es ja gar nicht um das Alter, sondern einzig und allein um die Leistung. Die muss zunächst bei den Qualifikationsrennen im Einer passen, danach werden die bestmöglichen Boote zusammengesetzt.

Dass sie dabei sein wird, ist also nicht gesagt. Bei Australiens 29-jährigem Ausnahmeschwimmer Ian Thorpe, der sich nach vier Jahren Pause für Olympia in Schwung bringen wollte und scheiterte, hat man gesehen, wie schief so was gehen kann. Andererseits hat sich das Schwimmen auch mehr verändert als der Kanusport und Fischer die Gesetze der Biologie sowie den Jugendwahn schon öfters Lügen gestraft. Sollte es dennoch nicht hinhausen, wäre das auch kein Beinbruch. Dann wird eben weiter am Haus gebastelt, in der Paddelschule gearbeitet und in einsamen Stunden auf den See gefahren und die Natur fotografiert. Das andere ist ja nur ein Experiment. So ein "dummer Gedanke" halt.