Pyeongchang. (may) Dem Olympia-Debakel von Park City im Jahr 2002 folgte der Aufstieg der Superadler: Nicht weniger als neun Mal in Serie - von 2005 bis 2013 - gewannen die rot-weiß-roten Skispringer Teamgold bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften. Schon vor vier Jahren in Russland endete die Ära der Dominanz von Thomas Morgenstern, Andreas Kofler, Gregor Schlierenzauer, Wolfgang Loitzl und Co. mit Silber hinter Deutschland - der einzigen Springermedaille in Sotschi. Doch am Montag kam es im Sprungzentrum zu Pyeongchang noch schlimmer: Nach dem vierten Platz im Mannschaftsbewerb bleiben die ÖSV-Adler erstmals seit Salt Lake City 2002 gänzlich ohne Olympiamedaille.
Ein Totalabsturz, der sich abgezeichnet hatte. Die Hoffnung, dass Stefan Kraft, Manuel Fettner, Michael Hayböck und Schlierenzauer doch noch Flügel wachsen, erwies sich am Montag als trügerisch. Lediglich nach dem Auftaktsprung von Kraft - im Vorjahr noch großer Saisondominator mit WM-Doppelgold und dem überlegenen Gewinn der Generalprobe auf dem Olympiabakken - befand sich die Equipe von Heinz Kuttin als Dritter auf Medaillenkurs.
Doch schon zur Halbzeit betrug der Rückstand auf das Trio Polen/Deutschland/Norwegen, das sich eine hochklassige und packende Konkurrenz um Gold, Silber und Bronze lieferte, gut 50 Punkte. Ein Wunder, sprich also ein Fehler oder Sturz eines Konkurrenten, wäre nötig gewesen, damit die Ehre der Superadler-Epigonen noch zu retten gewesen wäre. Das Wunder blieb aus. Während sich Norwegen erstmals Olympiagold holte (vor Deutschland und Polen), blieb für Österreich nur Blech - fast 100 Punkte fehlten auf Bronze. Ein Spiegelbild der Saison.
Womit nun die Diskussion um Cheftrainer Kuttin gewiss nicht aufgehalten werden kann. Er hatte zwar als Nachfolger des erfolgreichsten Skisprung-Trainers aller Zeiten, Alexander Pointner, von Anfang an einen schweren Stand, mit dem vorjährigen Siegeslauf von Kraft aber ein kommodes Dasein im Adlerhorst. Doch im Bestreben, die einsame Spitze Kraft heuer zur breiten Springer-Phalanx auszubauen, ist er gescheitert. Schon bei der Vierschanzentournee erlebte der Kärntner Ex-Weltmeister sein Waterloo, als es erstmals seit 40 Jahren kein ÖSV-Adler in die Top Ten schaffte (Hayböck wurde 14.). Doch Kuttin vertröstete die Öffentlichkeit mit Floskeln, wonach seine Burschen an sich gut drauf seien, nur Kleinigkeiten fehlten und es nur eine Frage der Zeit wäre, bis wieder der Knopf aufginge. Allein, Olympia rückte näher, aber die Form fand nicht zurück ins rot-weiß-rote Springerlager. Erst nach der nächsten Enttäuschung bei der Skiflug-WM in Oberstdorf, die ebenfalls medaillenlos zu Ende gegangen war, wechselte Kuttin vom Zuckerbrot- in den Peitsche-Modus und polterte Richtung seiner Athleten. "Irgendwann reicht es, sie können viel mehr. Du musst arbeiten, Vertrauen geben, du musst aber auch einmal einen Tritt in die Hintern geben." Gefruchtet hat dieser Tritt jedenfalls nichts, nach dem verpatzten Auftakt auf der Normalschanze hätte es Hayböck, der einzige konkurrenzfähige ÖSV-Springer aktuell bei Olympia, auf dem großen Bakken drauf gehabt, die Medaille zu holen - doch ein verpatzter zweiter Sprung ließ ihn auf Rang sechs zurückfallen.
Womit ein Jahr vor der Heim-WM in Seefeld ordentlich der Hut brennt: Von hinten kommt wenig nach, die Arrivierten sind verunsichert, der Superstar a. D. Schlierenzauer kommt wahrscheinlich nie wieder auf die Sprünge, flugtechnisch fehlen auf die Top-Nationen momentan Welten. Ob Kuttin das Team nach diesem Pleitenjahr zu den Titelkämpfen führen darf, ist unwahrscheinlich. ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel gab, bezeichnenderweise vor dem Teambewerb, nur eine Jobgarantie für Kuttin aus. Nicht eine Postengarantie: "Ich sage es ganz klar: Wir schmeißen den Kuttin nicht raus." Die Chance, wie 2002, nach dem Olympia-Absturz Tabula rasa zu machen, wäre jetzt da.