Wenn die Ziele revidiert werden müssen, kann das vielerlei bedeuten - im Fall der österreichischen Skispringerinnen aber bedeutet es nur eines, und das nur positiv. Denn besser, als es Chiara Hölzl, Eva Pinkelnig und Co. in dieser Weltcup-Saison machen, geht’s fast nicht mehr. Vor Beginn dieses Winters wäre eine solche Serie, wie sie Österreichs Skispringerinnen derzeit hinlegen, bei allem Optimismus nicht einmal für sie selbst denkbar gewesen. "Wenn mir das einer gesagt hätte, hätte ich gesagt: ,Du spinnst‘", hatte etwa Hölzl vor wenigen Tagen noch gemeint - und das war, bevor sie die rot-weiß-rote Armada mit zwei Siegen beim Heim-Weltcup in Hinzenbach angeführt hatte. Einen "vorderen Platz im Nationencup" hatte wiederum ÖSV-Cheftrainer Harald Rodlauer als Ziel vor der Saison angegeben, zudem aber gemeint: "Die großen Favoritinnen sind andere."

"Aus jedem Springen lernen"

Nun sieht die Sache freilich etwas anders aus. Im Nationencup kommt derzeit kein anderes Team an Österreichs Springerinnen heran, im Einzel-Weltcup hat Hölzl als sechsfache Saisonsiegerin - vier Erfolge gelangen zudem zuletzt en suite - 90 Punkte Vorsprung auf die zuletzt dominierende Norwegerin Maren Lundby. Dennoch erklärte die 22-jährige Salzburgerin Hölzl zuletzt in Hinzenbach zur Überraschung vieler, der Gesamtweltcup sei nicht einmal ihr Hauptziel. Wichtiger sei es, "aus jedem Wettkampf zu lernen und zu schauen, dass man aus einem Wettkampftag zufrieden rausgeht". Möglicherweise ist es diese Unbekümmertheit, die Österreichs Damen derzeit zum Nonplusultra im Weltcup macht. Während die Herren den Schaden mannschaftlicher Ungeschlossenheit immerhin durch den Weltcup-Führenden Stefan Kraft sowie gelegentliche Ausreißer nach oben (wie den siebenten Platz von Gregor Schlierenzauer in Willingen) in Grenzen halten können, sind es Hölzl und Co., die die rot-weiß-roten Fahnen im Springerzirkus hochhalten. Am Samstag waren vier ÖSV-Adlerinnen in den Top Ten, am Sonntag durch Hölzl (1.), ihre Zimmerkollegin Pinkelnig (2.), Jacqueline Seifriedsberger (6.), Lisa Eder (7.), Daniela Iraschko-Stolz (8.) und Marita Kramer (11.) gleich sechs in den besten Elf. Eine solche, sich im Ergebnis widerspiegelnde Kompaktheit hat es bisher bei den Skispringerinnen noch nie gegeben. "Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll, es ist einfach ein Traum", sagt Hölzl, die das gemeinsame An-einem-Strang-Ziehen im Team als Puzzleteil zum Erfolg sieht, dazu. "Ich will jetzt alles aufsaugen und genießen, dann geht es eh erst in zwei Wochen weiter." Vorerst können sie und ihre Kolleginnen sich nämlich eine kleine Verschnaufpause gönnen, erst in knapp zwei Wochen wird der Damen-Weltcup mit einem Team- und einem Einzelbewerb in Slowenien fortgesetzt.

Seefeld als Initialzündung

So oder so kommt der Höhenflug der ÖSV-Athletinnen, die schon vor dem Heimwochenende in Hinzenbach 20 Stockerlplätze durch vier verschiedene Sportlerinnen gefeiert hatten, zur passenden Zeit - nämlich jener, in der dem Damen-Skispringen eine Bedeutung beigemessen wird, die ihm lange verwehrt geblieben war. Der laufende Weltcup beinhaltet erstmals Bewerbe auf Großschanzen - und davon gleich neun an der Zahl -, bei der nordischen WM im vergangenen Jahr in Seefeld hatte das Teamspringen - nach einigem Hin und Her - Premiere gefeiert. Dass es dort mit Edelmetall in allen Bewerben so gut für die Österreicherinnen gelaufen ist, sieht Cheftrainer Rodlauer als eine Art Initialzündung für die aktuellen Erfolge. "Da haben die Mädels gesehen, was möglich ist." Und in dieser Tonart könnte es auch weitergehen. Denn aktuell ist der internationale Skiverband FIS drauf und dran, das Programm für die kommenden Titelkämpfe 2021 aufzustocken und für die Frauen noch attraktiver zu machen. Auf Vorschlag Norwegens soll es dann nämlich erstmals einen Großschanzenbewerb für die Springerinnen geben. Der ÖSV hat sicher nichts dagegen. "Wir haben Fliegertypen", sagt Cheftrainer Rodlauer. Die größte Herausforderung scheint demnach derzeit zu sein, dass diese auch auf dem Boden bleiben. Aber wenn die Ziele in diese Richtung revidiert werden müssen, ist es nicht viel, das falsch läuft.